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Im Land der Kuna-Indianer vor der Karibikküste Panamas

Flughafen Panama City, morgens halb sechs. Anstatt parfümierter Gucci- Brillenträger sitzen dunkelhäutige Indios in der Wartehalle. Die Frauen tragen Beinschmuck aus bunten Perlen um die nackten Unterschenkel. Ihre schwarzen Haare sind im Nacken kurz. Eine hat einen goldenen Ring durch die geschwungene Nase. Zwei Männer tragen schmale Transporttaschen aus Plastik herein. Bunt gefiederte Hähne krähen darin um ihr Leben.

Von Claudia Fried | 06.01.2008
    Propeller werden lauter, die Verkleidung zittert im Flugzeug, ein einfacher grüner Vorhang schwingt mit den ruppigen Stößen, er trennt die Passagiere vom Flugkapitän.

    Mit einer alten Propellermaschine und einer Stunde Verspätung verlassen wir die Hauptstadt Panamas. Unter Schütteln und Dröhnen erreichen wir in nur 30 Flugminuten Carti. Eine Insel des Archipels San Blas, eine Kette von etwa 340 Inseln und Heimat von 40.000 Kuna-Indianern. Die Hähne und die meisten Indios aus der Wartehalle sitzen nicht im Flugzeug. Sie sind, erfahre ich später, mit einem Jeep auf der Dirtroad durch den Dschungel gefahren, in sechs Stunden zu einem Bruchteil der Flugkosten.

    Am Strand von Carti glaubt man noch nicht an das von Freunden versprochene Paradies auf Erden. Der Unrat der Zivilisation treibt mit der Brandung ans Ufer. Plastiktüten, Bierdosen, ein abgerissener Puppenarm. Zum Glück wartet Archimedes Fernandes am Steg auf uns. Er bringt uns mit seinem schweren Einbaumboot über die glatte See zu seiner Heimatinsel Yantupu. Trotz der frühen Morgenstunde herrscht reges Treiben auf dem Wasser. Alles Einbaumboote, die meisten mit Paddel ausgestattet. Nur eines hängt schief im Wind, das bunte Segel aus hunderten Flicken zusammengenäht. Es scheint zu kentern, so knapp über der Wasseroberfläche schwebt der Mast. Das Ruder in der Hand des Seglers zur Finne geworden, steuert Richtung Festland. Vermutlich sei er auf dem Weg zum Fluss oder zu einer anderen Insel, meint Archimedes, um seine Felder zu bestellen.

    Die Kunas leben traditionell von der Landwirtschaft und der Fischerei. Sie bauen Bananen, Yucca an. Vornehmlich eine Selbstversorgung, und sie tauschen untereinander sobald sie zu wenig von einer Sache haben.

    Buchstäblich auf dem Trockenen sitzen die Inselbewohner, was Trinkwasser angeht. Beinahe täglich rudern deshalb die hageren Indiomänner über die glatte See, um in einem Fluss ihre leeren Plastiktanks mit Süßwasser zu füllen.

    Wir erreichen Yantupu, die Heimatinsel von Archimedes. Sie ist so groß wie zwei Fußballfelder, eng bebaut mit Hütten aus Bambus, und Schilf. Schmale Sandwege führen an kleinen Vorgärten vorbei, die mit bunten Blumen geschmückt sind. Davor hocken Frauen in traditioneller Kleidung mit Wickelrock und bunten Blusen, ihre Kinder rennen in Unterhemden herum, und freuen sich über unser Erscheinen.

    In der Mitte des Dorfes steht das Kongresshaus, Veranstaltungsort für Feste und Tagungsstätte der Häuptlinge, die die Geschicke der Dörfer lenken. Alle Sailas, so heißen die Häuptlinge in der Sprache der Kunas, bilden zusammen den Kulturkongress, das höchste Gremium im Land der Kuna-Indianer. Der Kongress wählt nicht nur Abgeordnete, die das semiautonome Volk gegenüber der panamesischen Regierung vertreten, sondern hat die Aufgabe, sorgsam über die Traditionen der Kunas zu wachen.

    "Die Traditionen sind beispielsweise die Sprache der Kunas, die erhalten werden soll und gepflegt, dann die Umweltfragen, traditionelle Gesänge handeln vorwiegend von der Natur und dem Leben mit der Natur. "

    Auf dem Dorfplatz bekommen wir eine Kostprobe der traditionellen Musik. Archimedes hat die örtliche Musikschule für uns und eine handvoll Touristen herbeordert. Ein Duzend Jugendlicher in einheitlicher Kleidung, die Mädchen in Wickelrock und Bluse, die Jungs in gelben Oberhemden und schwarzen Hosen drücken sich am Rande des Dorfplatzes herum. Nach und nach bilden sie einen Kreis. Dann stimmen sie ihre Panflöten und Kalibassen an, um schließlich in einer monotonen Schrittfolge einem Pas de Deux gleich, in Paaren durch die Mitte des Kreises zu tanzen. Musik mit Tanz frei stehen lassen

    Unter den Zuschauern treffen wir Ludwig Hoffmann. Er ist mit seinem Schiff seit einem Jahr im Gewässer der Kunas unterwegs, und nimmt uns mit auf seiner nächsten Reise. Laut Törnplan wollte der blonde Seemann mit dem wachen Blick längst im Pazifik sein. Doch die wunderschönen Robinson Crusoe Inseln von San Blas, das türkisfarbene Wasser und die Kunas selbst haben ihn nicht mehr losgelassen.

    "Was hier mich beeindruckt, ist wie die Menschen leben. So eine Einfachheit und Zufriedenheit, die sie dabei ausstrahlen, diese Ausdauer, die sie haben, die Ruhe bei allem was sie machen. Sei kommen nie in Hektik, es gibt offensichtlich keinen Stress, sie machen alles was sie tun mit ausgesprochener Gelassenheit."

    Das kostbare Gut Zeit scheint es hier im Überfluss zu geben. Im Kongresshaus tagen die Dorfweisen täglich, jede Entscheidung, ob jemand die Insel verlassen darf, wer wen heiratet, welches Haus er beziehen darf, entscheidet der Häuptling von Yantupu höchstpersönlich. Heute ist er mit zwei Kollegen der Nachbarinseln zusammengekommen. Die drei Häuptlinge, genannt Sailas liegen im Zentrum des einfachen Raums in Hängematten, auf Holzbänken drumherum sitzt noch eine Handvoll weiterer Männer. Nur einer im gelben kurzärmeligen Oberhemd und Basecap steht. Er ist der Medizinmann, der Kurandero. Archimedes Tochter Nixia hilft uns bei der Verständigung und fragt den Saila von Yantupu in der Kunasprache Dulegaia, worüber hier gesprochen werde.

    Nixia: "Saila, worüber wird hier gesprochen?"

    Saila: "Arbeit, Kultur, wie man in dieser Kommune leben soll, Familienprobleme, alles was die Leute in diesem Dorf betrifft, soziale fragen, wenn eine Familie nichts zu essen hat. Heute geht es um Heilpflanzen. "

    Es antwortet nicht der Saila in der Hängmatte, sondern der Kurandero. Die Sailas, klärt Nixia auf, hätten eine spirituelle Gabe, eine Verbindung zu den Göttern, deren Wille sie erspüren. In Liedern und Gesängen gebe der Saila die Entscheidung der Götter an das Volk weiter. Allerdings brauche er dafür einen Übersetzer, das sei der Kurandero.

    Bevor wir gehen, erhebt sich der Saila von Yantupu, ein gebrechlicher alter Mann mit dünnen Armen und einem ehrwürdigen Hut. Er erkundigt sich nach dem Kapitän unseres Schiffs, das uns die nächsten Tage beherbergen wird. Die Männer schütteln sich die Hände. Dann zeigt der Saila mit seinem dürren Zeigefinger auf eine einfache Wanduhr mit weißem Ziffernblatt. Sie funktioniere nicht mehr, man erhoffe sich eine Spende für ihre Reparatur. Kapitän Ludwig grinst und lädt den Saila auf sein Schiff ein, bevor wir uns verabschieden.

    Unser nächstes Ziel ist die Insel Aridup, etwa vier Segelstunden von Yantupu entfernt. Und jetzt sind wir tatsächlich im Paradies. Ringsherum liegen kleine Sandhäufchen im klaren Meerwasser, mit hohen Palmen darauf, die sich im Wind wiegen.

    Im weißen Sand liegen zahlreiche Nautilus-Muscheln, trichterförmig mit spitzen Stacheln. Die meisten Inseln sind unbewohnt. Auf Aridup lebt eine einzige Kuna Familie. Die Großmutter liegt im Schatten der Hütte in einer Hängematte und näht an einer Mola. Ein Stück Stoff in der Grundfarbe braun, das die Tierwelt ihrer Heimat zeigt. In mühsamer Handarbeit näht die Frau seit drei Wochen Schicht um Schicht verschieden farbige Stoffe aufeinander, schneidet Formen für Augen, Gefieder, Füße wieder heraus, bis Papageien, Fische, Echsen oder Vögel in sämtlichen Farben entstanden sind. Die Frauen tragen die Molas vorn und hinten auf ihren Blusen und verkaufen sie an Touristen, die mit den farbenreichen Bildern ein Stückchen vom Paradies mit nach Hause nehmen.

    Auch an unserem Schiff legen oft Einbaumboote an, die ihre Waren anbieten. Heute ist es keine Kuna-Frau, die ihre Molas verkaufen will, sondern Apio. Er hat Tätowierungen an den Armen und hässliche Geschwüre im Gesicht. Sieht weniger wie ein Gemüsehändler aus, eher wie ein Verbrecher. Wir kaufen ihm Mangos und Kokosnüsse ab, dann fährt er weiter zu den anderen Yachten, die in Sichtweite ankern. Österreicher, Engländer und ein Schiff mit spanischer Flagge. Der Tourismus stecke noch in den Kinderschuhen, sagt Kapitän Hoffmann:

    "Es wird auf jeden Fall mehr, der Tourismus in Panama allgemein scheint noch nicht lange bekannt zu sein und das ist sehr auffällig, dass vom letzten Jahr bis heute viel mehr Leute kommen. Nicht nur Yachten, sondern auch Touristen, die per Flugzeug eingeflogen werden in diese Kuna Hotels, ist schon steil ansteigend die Kurve."

    Wohin das führen wird, ist ungewiss. Archimedes, der uns am Abend zu einem Fest mitnimmt, glaubt, dass der Kuna Kongress den Tourismus unter Kontrolle hat. Schließlich habe er Megaprojekte des panamesischen Tourismusministeriums bisher erfolgreich verhindert. Trotzdem ist Archimedes dankbar, dass der Dollar der Touristen den Kunas das Leben erleichtert.

    "Und es gibt viele, die ihre Kinder zur Schule schicken oder zum Studium nach Panama, das kostet Geld, also müssen die Eltern Geld verdienen, mehr arbeiten. Das ist durch den Tourismus möglich. Ich glaube, dass das Probleme sind die die ganze Welt hat. Trotzdem gibt es viele, die in Panama leben, wiederkommen und hier ihr traditionelles Leben weiterführen. "
    Der Widerspruch zwischen den Bestrebungen, die Kultur zu erhalten, und dennoch den Tourismus als Einnahmequelle zu nutzen, will man im sanften Tourismus lösen. Strenge Regeln verbieten Charter-Schifffahrten oder große Hotelanlagen von ausländischen Investoren. Und bisher kann man auf den Inseln auch nur in sehr einfachen Unterkünften übernachten, Hütten, wie die Kunas sie bewohnen mit Lehmboden und anstelle der Hängematte eben ein Bett.

    Zum Abschied aus San Blas dürfen wir noch an einem traditionellen Fest teilnehmen. Das letzte von drei Festen zu Ehren der Frau. Das erste findet kurz nach ihrer Geburt statt. Ein Loch wird durch die Nasenscheidewand des Babys gebohrt, wo die erwachsene Frau später ihren Nasenring trägt. Das zweite Fest ist eine Pubertätsparty im Alter von elf bis zwölf Jahren. Das dritte und größte, genannt "Inna Suit" dürfen wir miterleben. Es zelebriert das Erwachsenwerden. Das Mädchen wird symbolisch beschnitten, allerdings nur ihrer langen schwarzen Haare.

    Das Fest ist in vollem Gange als wir ankommen. Es ist im Kongresshaus, das nichts weiter beherbergt als eine Gaslampe und einen Holzbalken, auf dem die Gäste hocken und der Zeremonie folgen. Zwei Sailas stehen in der Mitte des Raums, einer spielt auf einer Art Flöte, der andere singt. Beide haben die Augen geschlossen wie in Trance und drehen sich langsam um sich selbst. Auf einmal bilden etwa 20 Leute eine Schlange, sie beginnen im Kreis zu gehen, erst langsam, dann immer schneller, klatschen in die Hände.

    Eine Kuna-Frau um die 40 torkelt herein, sie wird von ihrer Tochter gestützt, so betrunken ist sie von der Chicha, ein hochalkoholisches Getränk aus Zuckerrohr, das draußen in rauen Mengen verabreicht wird. Einige Tänzer verlassen den Raum wieder, neue kommen hinzu, das geht so stundenlang bis wir uns endlich losreißen können völlig eingelullt von dem immer gleichen Takt. Das Mädchen, merke ich erst später, dem die Zeremonie galt, habe ich nicht gesehen.