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Im Namen der Öffentlichkeit

Nach vier Wochen Pause geht der Prozess gegen Jörg Kachelmann weiter. Besonders die parteiische Berichterstattung vieler Medien während eines laufenden Prozesses sorgt für Sorgenfalten. Denn sowohl die Integrität Kachelmanns als auch die des möglichen Opfers mussten leiden.

Von Brigitte Baetz | 18.01.2011
    "Wenn ich auf irgendwelchen Veranstaltungen mit Leuten ins Gespräch komme, die beim Fernsehen arbeiten, die fragen: Was mach ich denn, wenn eine Praktikantin behauptet, ich hätte sie angefasst? Was mach ich denn dann, dann bin ich erledigt. Und das ist wahrscheinlich der Preis, den man in einer Mediengesellschaft zahlen muss, wenn man in dieser Mediengesellschaft groß raus kommt. Dann wird man da zerlegt, wenn ein Schatten auf einen fällt."

    Sabine Rückert berichtet für die Wochenzeitung "Die Zeit" über den Kachelmann-Prozess. Der Schweizer, der den früher eher drögen Wetterbericht zu einer eigenen Mini-Fernsehshow gemacht hat und mit seiner skurril-freundlichen Art zum Liebling der Zuschauer wurde, steht seit März vergangenen Jahres unter dem Verdacht, eine langjährige Freundin vergewaltigt zu haben. Mehr als vier Monate saß er in Untersuchungshaft, seit dem 6. September wird im Landgericht Mannheim verhandelt, ein Ende ist noch nicht abzusehen. Morgen wird der Prozess fortgesetzt.

    Die Vergewaltigung in einer Beziehung ist ein Delikt, das schwer aufzuklären ist, da es meist keine Zeugen gibt. Wie es wirklich war, wissen eigentlich nur die beiden Beteiligten – zumal, wenn eindeutige Spuren fehlen, wie im Fall Kachelmann. Umso wichtiger: die Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers, beziehungsweise die des mutmaßlichen Täters. Und hier bildeten sich Teile der Presse relativ schnell eine Meinung – zumal, nachdem herausgekommen war, dass der Fernsehmoderator mehrere Liebesbeziehungen gleichzeitig führte.

    "Noch bevor überhaupt Anklage erhoben worden ist, gab es ja schon eine extreme Vorberichterstattung. Nicht mal diese Frauenzeitschrift Brigitte hat sich entblödet, die Leserinnen zu fragen: Ist er schuldig oder nicht? Das ist etwas Unglaubliches."

    Marianne Wichert-Quoirin, lange Jahre Chefreporterin des Kölner Stadtanzeigers:

    "Es gab in früheren Zeiten kurz vor Beginn eines Prozesses auch immer Vorfreisprüche, Vorverurteilungen, aber in diesem Maße nicht. Es scheint so, dass die ganze Mediengesellschaft sich geteilt hat. Die einen sagen, er ist unschuldig und da müssen wir was dafür tun und die andere Seite: Er ist schuldig. Und es gibt ein wunderbares Nord-Süd-Gefälle: Die "Zeit" und der "Spiegel" sind eher der Auffassung, dass Herr Kachelmann zu Unrecht dieses Verbrechens beschuldigt wird. "Bunte" und "Focus" bringen alles Mögliche zutage. "Focus" mit Auszügen aus Ermittlungsakten und die "Bunte", indem sie diese Zeuginnen honoriert und befragt und auch zur Schau stellt."

    Wie Bunte-Chefredakteurin Patricia Riekel erklärte, seien Exklusiv-Verträge dieser Art nichts Besonderes. Was das allerdings mit seriöser Berichterstattung zu tun hat, fragt man sich, zumal im Pressekodex zu lesen ist:

    Die Berichterstattung über Ermittlungs- und Gerichtsverfahren dient der sorgfältigen Unterrichtung der Öffentlichkeit über Straftaten und andere Rechtsverletzungen, deren Verfolgung und richterliche Bewertung. Sie darf dabei nicht vorverurteilen.

    Die Justiz arbeitet langsam, Medien allerdings schnell. Das Privatleben des Jörg Kachelmann hörte mit seiner Verhaftung am 20. März vergangenen Jahres auf, privat zu sein. Die Zeitschrift Focus druckte Erkenntnisse aus den Ermittlungsakten, die wiederum von anderen Medien zitiert wurden. Die Bild-Zeitung veröffentlichte private SMS des Moderators. Aber auch die Integrität des möglichen Opfers musste leiden. Im Internet ließ sich die Auswertung des Computers der Frau nachlesen. Auch ihre Identität blieb für findige Internetnutzer nicht lange geheim. Sie musste unter Polizeischutz gestellt werden.

    Im kommerziellen Fernsehen deuteten Psychologen die Körpersprache Kachelmanns, noch bevor er angeklagt war. Es traten ehemalige Geliebte auf, und Prominente aus der zweiten Reihe stellten Mutmaßungen darüber an, wieso der Moderator sich nicht mit einer Frau begnügen mochte. Gleichzeitig wurde sein Haftalltag minutiös geschildert. Täglich gab es neue Enthüllungen. "Focus" druckte das Tagebuch der Klägerin ab. Und während sich der Boulevard vor allem auf die Essgewohnheiten im Gefängnis und das ehemalige Liebesleben Kachelmanns konzentrierte, zitierte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" aus den Vernehmungsprotokollen und analysierte Gerichtsgutachten, die die Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers in Zweifel zogen – und das alles, bevor die Hauptverhandlung begonnen hatte.

    "Die ganze Burda-Presse zum Beispiel hat sich von vornherein auf die Seite der Staatsanwaltschaft geschlagen, so war mein Eindruck. Also, das war keine abwägende Haltung, dass man gesagt hat, die sagen das und die Verteidigung sagt auch etwas anderes, sondern: Da war eine Berichterstattung zu registrieren, die quasi wie ein verlängertes Sprachrohr der Staatsanwaltschaft aussah, und eine solche Situation, die dient natürlich dazu, dass eine Polarisierung innerhalb der Medien dann stattfindet."

    Gisela Friedrichsen, Gerichtsreporterin des "Spiegel":

    "Als dann der Spiegel zum ersten Mal über dieses Gutachten, über diese Glaubwürdigkeit der Aussage dieser Frau berichtet hat, sah das so aus, als wären die einen gegen Kachelmann und die anderen sind für Kachelmann. (...) "Der Spiegel" ist nicht für Kachelmann, sondern hatte damals nur versucht, auch die andere Seite zu Gehör zu bringen, nachdem die Staatsanwaltschaft eben so wirklich in einer unglaublich einseitigen Weise die Öffentlichkeit informiert hat."

    Oskar Gattner, Staatsanwalt am Mannheimer Landgericht, wies gegenüber dem ZDF zurück, dass es eine einseitige Informationspolitik gegeben habe.

    "Wir haben uns da von Anfang an beschränkt auf eine relativ zurückhaltende Medienpolitik, und das haben wir auch durchgehalten."

    Während die Journalisten vom "Spiegel" versuchten, die Aktenlage möglichst objektiv und ohne Schuldzuweisungen darzustellen, bezog die Zeitschrift "Bunte" – die wie der "Focus" im Burda-Verlag erscheint - eindeutig Partei gegen Kachelmann. Bezeichnend ein Editorial der Chefredakteurin Patricia Riekel mit dem Titel "Wer einmal lügt" - wer so viele Frauen belogen habe, der sage auch sonst die Unwahrheit, so der inhärente Vorwurf. Riekel griff auch Gisela Friedrichsen persönlich an, die in einer Fernsehsendung Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Kachelmanns langer U-Haft geäußert hatte.

    ... diese Gesprächsrunde zeigte, wie weit die manipulative Kraft des Jörg Kachelmann reicht. So weit, dass eine ausgezeichnete Journalistin wie Spiegel-Reporterin Gisela Friedrichsen ihn als "Luftikus" verharmloste.

    Bereits am 29. April titelte die "Bunte": "Jetzt spricht die Ex-Freundin" – die Zeugin, die ein halbes Jahr später vor Gericht erscheinen sollte, als glamouröses Cover-Girl mit Rehblick. Im September erschien eine weitere Frau auf dem Titel: "Ich bin auch ein Opfer von Jörg Kachelmann". Im November erklärte eine Catharina im selben Blatt: "Ich möchte meinen Seelenfrieden wieder haben!" Alle drei Frauen gestylt wie Fotomodelle, versehen mit Exklusivverträgen über jeweils mehrere Tausend Euro. Ihre Aussagen vor Gericht machten sie dagegen unter Ausschluss der Öffentlichkeit – um ihr Privatleben zu schützen.

    "Was die dort sagen, besagt nichts für den Prozess. Als Interviewpartnerin unterliegt man nicht der Wahrheitspflicht. Ich kann erzählen, was ich will, ich kann aufschneiden, was ich will. Wenn ich aber vor Gericht aussagen muss, unterliege ich der Wahrheitspflicht, werde notfalls vereidigt und auch wenn ich keinen Eid ablegen muss, kann ich dafür bestraft werden für die falsche uneidliche Aussage."

    Marianne Wichert-Quoirin, ehemalige Chef-Reporterin des Kölner Stadtanzeigers:

    "Aus diesem Grunde besagt das nichts, was die Damen in der Bunten geplaudert haben. Es gab mal einen Prozess vor vielen Jahren, das war der Brandanschlag in Solingen, wo vier Rechtsextremisten auf der Anklagebank saßen. Da ist eine Mutter vorher zu RTL gegangen und saß dort auf dem heißen Stuhl und hat geredet, was das Zeug hielt. Als sie im Prozess als Zeugin erschienen ist, sagte sie kein einziges Wort und berief sich auf ihr Aussageverweigerungsrecht als Mutter. Das Gericht hat sich nicht mal die Mühe gemacht, den Film von RTL anzugucken, weil sie wussten, die kann erzählen, was sie will, das hat keine Relevanz für das Verfahren. Entscheidend ist, was vor Gericht ausgesagt wird."

    Doch der Prozess selbst ist für die Medien wenig ergiebig. Wer Kachelmann reden hören wollte, der musste sich schon das Interview ansehen, das der Angeklagte der "Bild"-Zeitung gab und das bis heute im Internet zu hören ist.

    "Herr Kachelmann, Sie sind gestern aus der U-Haft entlassen worden...
    in gegenseitigem Respekt..."

    Vor Gericht schweigt der Angeklagte. Bei den Vernehmungen der Zeuginnen, die als Ex-Geliebte Aussagen über den Charakter Kachelmanns geben sollten, wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Verkehrte Welt: Während die Öffentlichkeit über das eigentlich geheime Vorverfahren ausführlich informiert wurde, bleibt die eigentlich öffentliche Hauptverhandlung ohne Erkenntnisgewinn für die sie begleitenden Journalisten.

    Unter ihnen ist auch Alice Schwarzer. Die Feministin der ersten Stunde berichtet ausgerechnet für die "Bild"-Zeitung mit einer klaren Haltung, die sie schon vor dem Prozessauftakt kundtat. (*)

    "Gott und alle Welt macht sich Gedanken in den Medien, wie es wohl Herrn Kachelmann geht, wenn er zu Unrecht belastet wird. Das ist in der Tat eine sehr ernste Frage. Das ist ja was Existenzielles. Ich lese aber kaum, wie es denn wohl dem mutmaßlichen Opfer geht, wenn es die Wahrheit sagt. Und ich habe gesagt: Danach müssen wir auch mal fragen."
    Gisela Friedrichsen (*):

    "Ja, aber sie berichtet ja ganz unparteiisch. Es ist so lächerlich, es ist so absolut lächerlich. Dass allein, wenn ich sage: Es war überfällig, dass man Kachelmann aus der Haft entlässt, aus der U-Haft entlässt, das hat nichts mit Parteilichkeit zu tun, sondern schlicht und einfach mit den Vorschriften, wann man jemand in U-Haft halten kann und wann der dringende Tatverdacht nicht mehr vorhanden ist. Ja? Es fehlt dieser Dame leider das primitivste Grundwissen über die Dinge, um die es in der Strafjustiz geht."

    "Frau Schwarzer schreibt in der Bild-Zeitung primitives Zeug. Ganz einfach. Sie ist nie da. Alle Jubeljahre mal für ne halbe Stunde. Sie schreibt nichts mit, soweit ich das erkennen kann. Offensichtlich liest sie Zeitung und schreibt dann ihre Kommentare. Oder sie lässt sich was erzählen von der Bild-Zeitung. Keine Ahnung. Auf jeden Fall: Eine Recherche ist das nicht."
    Sabine Rückert von der Wochenzeitung "Die Zeit" ist diejenige, die sich unter den seriösen Journalisten am weitesten aus dem Fenster gelehnt hat. Sie hält den Fall Kachelmann für einen Justizirrtum. Wochen vor dem Beginn der Hauptverhandlung legte sie dar, warum der Moderator zu Unrecht angeklagt werde. Auch sie zitierte ausführlich aus der Aktenlage und den Gutachten, die vor Gericht noch eine Rolle spielen sollen. Die für ihre Recherchen mehrfach preisgekrönte Autorin glaubt nicht, dass es für einen Gerichtsbeobachter reiche, ausschließlich über die Hauptverhandlung zu berichten.
    "Ich finde, ein Journalist muss sich positionieren. Diese Ausgewogenheit ist ja Schein. Ich hab eine Kenntnis der Fakten, die mir eine Ausgewogenheit im Sinne von: diese Seite mal hören, eine Seite mal hören, ja gar nicht mehr erlaubt. Das Ausgewogene und das Middle-of-the-Road und so weiter, das ist ja häufig auch ein Zeichen dafür, dass der Journalist nicht weiß, was er von der Sache halten soll. Also, ich frag dann mal alle und dann kommen alle hinterher zu Wort und dann schimpft keiner. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich mich zu einem oder vor einem Prozess deutlich ausspreche und das muss der Journalist, wenn er zu der Erkenntnis gekommen ist, dass hier was schiefläuft. Er kann ja nicht so tun, als wär hier alles in Ordnung. Das ist ja nicht seine Aufgabe. Er hat ja ein Wächteramt zu erfüllen."

    Doch darf der Wächter, also der Journalist, auch selbst versuchen auf den Gerichtsprozess einzuwirken? Sabine Rückert, wie alle erfahrenen Gerichtsreporter gut vernetzt in der juristischen Szene, gilt als zumindest mitverantwortlich dafür, dass Jörg Kachelmann seinen Anwalt während des Prozesses wechselte. Sie prangerte öffentlich die zurückhaltende Strategie des ersten Verteidigers an und brachte den Namen Johann Schwenn ins Gespräch. Sabine Rückert bestreitet allerdings den Vorwurf, sie habe ihn Kachelmann vermittelt. Sie halte den Angeklagten für unschuldig, aber nicht für sympathisch. Das aber spiele keine Rolle:

    "Wenn man wegen Unsympathie eingesperrt wird, dann müsste die Hälfte der Bevölkerung im Knast sitzen oder wegen unmoralischen Lebenswandels. Das ist nicht die Aufgabe des Strafprozesses, hier als reinigende Kraft tätig zu werden. Und Herrn Schwenn kenne ich seit vielen Jahren. Und deswegen hab ich dem damaligen Verteidiger, der sich an mich gewandt hat, und der mir einen hilflosen Eindruck gemacht hat, geraten, ihn mit ins Boot zu nehmen. Das war mein Beitrag. Er hat das dann nicht getan, also der damalige Verteidiger. Und das war seine Entscheidung. Und ich hab sonst dahingehend nicht irgendwie mitgewirkt."

    Kachelmanns neuer Anwalt Johann Schwenn nutzte gleich seine ersten Verhandlungstage, um medienwirksam aggressiv gegen die Medien polemisieren, vor allem gegen die aus dem Hause Burda.

    "Wenn ein Verlagshaus meint, seine Macht missbrauchen zu müssen, um ein Strafverfahren zu manipulieren, um Zeugen zu coachen, Zeugen zu bezahlen für ihre Aussagen, dann wird das nicht mehr von der Pressefreiheit gedeckt und dann wird bei solchen Einrichtungen genauso durchsucht wie bei anderen. Bisher haben Staatsanwaltschaft und Gericht keinen Anlass gegeben, die Verurteilungsgefahr für gering zu halten. Aber das ist ja nicht das letzte Wort. Das wird auch nicht in Mannheim gesprochen, da können Sie sich drauf verlassen."

    Johann Schwenn beantragte die Durchsuchung der Redaktionsräume von "Bunte" und "Focus", denen er eine "Beeinflussung des Verfahrens", die Manipulation von Zeuginnen und eine "Anstiftung zu Falschaussage" vorwirft. Sein Verdacht: Die Staatsanwaltschaft habe mit den Burda-Magazinen zusammengearbeitet und Dienstgeheimnisse verraten. Einen Vorwurf, den ein "Focus"-Sprecher als "vordergründiges Ablenkungsmanöver" der Verteidigung zurückwies.

    Das Landgericht lehnte die Durchsuchung zwar ab – und auch mit dem Gegenstand des Prozesses - Vergewaltigung ja oder nein? - hat Johann Schwenns Taktik zunächst nicht viel zu tun. Aber er hat das Meinungsklima in der Öffentlichkeit für seinen Mandanten positiv beeinflusst. Inwieweit das auch Einfluss auf das Gericht hat, lasse sich nur schwer sagen, so Gisela Friedrichsen:

    "Offiziell werden Sie nie einen Richter finden, der sagt, das hatte auf mich irgendeinen Einfluss. Jeder wird sagen: Ach, ich bin da ganz ..., das interessiert mich alles gar nicht. Man muss ja auch bedenken, dass der Einfluss durch den öffentlichen Druck ja zweierlei sein kann. Einmal kann man sagen: Vielleicht lassen sie sich ja beeinflussen und folgen diesem Druck. Aber es kann ja auch diese Gegenreaktion geben: Man rückt näher zusammen und sagt, wir lassen uns doch nicht unter Druck setzen, sondern wir machen extra das, was wir wollen."

    Die Medien aber haben so viel über den Fall berichtet, dass sich inzwischen jeder ein eigenes Bild gemacht hat. Wenn das Gericht aber dann – im Namen des Volkes - anders urteile, als das Volk es erwarte, werde das Vertrauen in die Justiz beschädigt, sagt Marianne Wichert-Quoirin:

    "Und das ist das große Problem bei dieser Vorberichterstattung und schon Verdachtsberichterstattung, die ich für ganz schrecklich halte. In Großbritannien und in Irland gibt es dagegen ein sehr gutes Mittel. Dadurch, dass in England und Irland Geschworene das Urteil fällen, die Gerichte entscheiden nur das Strafmaß, gibt es diesen Straftatbestand "Contempt of Court", das heißt Missachtung des Gerichts. Das wird mit Gefängnisstrafe bestraft. Wenn sich ein Journalist also erdreisten würde, aus den Akten vorher zu zitieren, wandert er ins Gefängnis, im Extremfall findet der Prozess nicht statt. Das Problem hat es in England gegeben, weil man sagt: Die Geschworenen sind durch die Berichterstattung so vorbeeinflusst, dass sie gar kein unabhängiges Urteil mehr fällen können."

    In Deutschland gibt es zwar keine Geschworenen mehr, aber auch im Verfahren gegen Jörg Kachelmann sind zwei Laienrichter dabei. Und mindestens einer von ihnen muss die Entscheidung über Schuld und Unschuld mittragen – und das unabhängig davon, was er in den vergangenen Wochen und Monaten in den Medien gesehen, gehört und gelesen hat.

    (*) Das Manuskript weicht in dieser Passage nach einer Autorenkorrektur von der Sendefassung ab.