Dienstag, 23. April 2024

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"Im Namen der Raute"
Berliner Kabarettgruppe "Die Distel" sticht wieder zu

Sie nennen sich gern den Stachel am Regierungssitz - die Berliner Kabarettgruppe "Die Distel". Mit ihrem neuen Programm "Im Namen der Raute" spannen sie den Bogen von Abhörskandal über die Maut bis zum Umgang mit Flüchtlingen.

Von Stephan Göritz | 02.10.2014
    Kabarett "Die Distel" im Vorderhaus des Admiralspalastes am Bahnhof Friedrichstrasse in Berlin
    Aus spröden Themen werden im neuen Programm der "Distel" starke Szenen. (dpa/picture alliance/Manfred Krause)
    Caroline Lux:
    "Sie schicken jetzt Ihre Leute los, okay? Und wenn dem amerikanischen Präsidenten in diesem Hotel irgendetwas zustößt, dann mach' ich Sie fertig."
    Amerikanische und deutsche Geheimdienstler sind in ein Berliner Nobelhotel gestürmt. Denn Merkel und Obama, die hier ein streng vertrauliches Gipfeltreffen abhalten, sollen entführt werden. Das weiß man aus umfassender Datenüberwachung.
    Terror und NSA aufs Korn nehmen
    Timo Dohley :
    "Mittlerweile ist es ja tatsächlich so, dass gewisse Reizworte in E-Mails gescannt werden."
    Darsteller Timo Dohleys verweist auf den durchaus realen Hintergrund dieses Kabarettstücks, in dem er einen der vermeintlichen Terroristen spielt. Die sind in Wahrheit harmlose Hochzeitsgäste und planen per Mail eine spaßhafte "Entführung" der Braut, was die Geheimdienste völlig falsch verstehen. Es beginnt eine turbulente Jagd, an deren Ende die Braut einen ihrer Entführer heiraten wird.
    Edgar Harter:
    "Hat doch nur sehr marginal was mit Politik zu tun. Ich weiß gar nicht, was den Autoren da durch den Kopf gegangen ist."
    Timo Dohleys:
    "Na, das ist doch die Suche, denk' ich mal, nach dem Politischen im Privaten."
    Edgar Harter:
    "Mensch, die sollen mal lieber das Politische im Politischen suchen. Hier!"
    Der Riese mit dem zerknitterten Gesicht, der immer wieder aus dem boulevardesken Spiel aussteigt und mahnt, das Politische nicht zu vergessen, ist Edgar Harter, der Senior des Ensembles.
    Timo Dohleys:
    "Ich glaube, Eddie hat hier schon an der Distel gearbeitet, da hieß unser Kanzler noch Bismarck." (Lachen)
    Urgestein Edgar Harter
    Seit 1975 ist er ununterbrochen dabei. In der DDR kämpfte er gegen die Zensoren, heute kämpft er ums Publikum. Es sitzt nicht mehr auf der Stuhlkante, gierig nach jeder Andeutung.
    Edgar Harter:
    Heutzutage hat man den Eindruck, die Leute sitzen in der Haltung da: 'Ich habe bezahlt, nu' mach mal!'
    Doch Harter gibt nicht auf.
    Timo Dohleys:
    "Wie er Pointen setzt! Wenn man ihm zuhört, kann man schon wahnsinnig viel lernen."
    Nur auf hartnäckige Nachfrage fällt Caroline Lux dann doch noch ein, wie er manchmal auch nervt.
    Caroline Lux:
    "Dass er überall Spickzettel verteilt und seine Texte manchmal nicht weiß."
    Nicht nur mit Harters Rolle als Mahner vom Dienst, auch mit seinem Spickzetteltick wird in dem neuen Stück souverän gespielt.
    Timo Dohleys:
    "Allein, es sich zu merken, wann welcher Spickzettel dran ist, erfordert mehr Konzentrationsvermögen, als sich von Anfang an den Text zu merken." (Lachen)
    Illusions- aber nicht hoffnungslos
    Seine lange Kabaretterfahrung hat Edgar Harter illusionslos werden lassen, aber nicht hoffnungslos.
    Edgar Harter:
    "Naja, das ist ja, glaub' ich, immer die Fehlannahme, dass Theater irgendetwas direkt verändern kann. Wir sind ein Tropfen im Meer des Bewusstseins."
    FDP bot gute Angriffsflächen
    Manchmal ist es für Kabarettisten ja auch gar nicht schön, wenn sich wirklich etwas verändert.
    Timo Dohleys:
    "Die FDP wurde abgewählt, das ist für mich persönlich eine große Krise, weil ich in den letzten Jahren mein Brot hauptsächlich damit verdient habe, FDP-Abgeordnete zu spielen. Jetzt wählen die Menschen die AfD, wo einem eher das Lachen im Halse steckenbleibt."
    Starke Szenen aus spröden Themen
    Doch gerade aus spröden Themen werden im neuen Distelprogramm die starken Szenen. So wenn Edgar Harter drängt, endlich jenes hinter verschlossenen Türen verhandelte Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU zu thematisieren.
    Edgar Harter:
    "Stell dir mal vor, so'n amerikanischer Konzern wird Mitinhaber eines Energieriesen hier. Dann können die sagen, unser Atomausstieg ist eine Wettbewerbsverzerrung."
    Schnell aber drängt auf der Bühne wieder Harmloses in den Vordergrund, das einem comedygeprägten Publikum nach dem Munde witzelt.
    Edgar Harter:
    "Auf die Umfrage unter jungen Frauen, ob sie gerne mit Berlusconi schlafen würden, antworteten vierzig Prozent: 'Oui, warum nicht?!', und sechzig Prozent: 'Oh non, nicht schon wieder'." (Lachen)
    Kabarett legt Finger in die Wunde
    Edgar Harter:
    "Wir können nicht ein Kabarett machen, das ganz gallig ist. Das ist der Zwang, dem wir unterliegen. Wenn die Leute nicht kommen, dann sind wir sofort pleite."
    Und das wäre schade, denn Kabarett, zeigt die Distel einmal mehr, wird gebraucht.
    Caroline Lux:
    "Es legt einfach den Finger auf die Wunde, auch wenn wir sie nicht schließen können."