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Im Namen des guten Benehmens

"Werteschule" - diesen angestaubt anmutenden Namen haben zwei Frauen für ihr Coaching-Seminar gewählt. Sie wollen Kindern das gute Benehmen lehren. Grundwerte wie Dankbarkeit und Respekt stehen dabei an oberer Stelle.

Von Christina Selzer | 05.07.2011
    Altmodisch klingt das Wort "Werteschule", aber modern ist das Outfit. Hinter dem hehren Begriff verbirgt sich - ein Coaching-Seminar. Zwei resolute Frauen in schicken Hosenanzügen veranstalten es. Christine Pfeiffer und Maria Katschke, beide Mitte 40, warten auf ihre Kunden. Heute sind das Kinder im Alter zwischen 8 und 10 Jahren.

    "Das scheint ein Thema zu sein, das polarisiert und den Zeitgeist trifft. Wir sind so eine schnelllebige Gesellschaft, die Kinder sind immer unterwegs, jetzt haben wir auch noch die Ganztagsschule. Da ist wenig Zeit für Tradition und Wertevermittlung",

    erklärt Christine Pfeiffer nickt beifällig. Auch ihr ist schlechtes Benehmen ein Dorn im Auge.

    "Wir haben uns geärgert über das Verhalten im Supermarkt, Kinder, sie tyrannisieren ihre Eltern, weil sie ihren Willen nicht kriegen. Sie bedanken sich zum Beispiel nicht für das Essen, das die Mutter gekocht hat oder probieren es nicht einmal. Oder sie rebellieren zu Hause. Das ist eine Respektlosigkeit, das kann nicht angehen, dass das heutzutage unsere Kinder sind."

    Sie selbst sei zu Hause in Portugal erzkatholisch erzogen worden, erzählt sie. Als Kind fand sie das gar nicht so toll. Doch heute sei sie froh über die erlebte elterliche Strenge. Wer gute Manieren hat, kommt auch im Leben weiter, glaubt auch Christine Pfeiffer.

    An diesem Wochenende lernen Kinder "Werte" - in einem Tagungsraum des Vier-Sterne-Hotels Landgut Horn pro Kopf für 169 Euro. Sechs Mädchen und ein Junge sitzen an einem großen Tisch. Sie kommen alle aus dem gutbürgerlichen Stadtteil Horn beziehungsweise aus dem Nachbarstadtteil dem Oberneuland.

    "Was stellt Ihr euch unter Werten vor?"

    Christine Pfeiffer schreibt die Wörter auf. Die Kinder melden sich brav, alle haben eine Idee. Die Lehrerin ist zufrieden: Ihre heutigen Kunden bringen die richtige Einstellung mit. Sie hält einen Vortrag über Werte.

    "Dazu gehören Freundschaft, Liebe, Bescheidenheit, Tapferkeit im Kampf ist auch ein Wert. Disziplin, Respekt, Pünktlichkeit"

    Die Kinder schauen sie mit großen Augen an. Harter Stoff für 10-Jährige. Mit dem Wert "Tapferkeit im Kampf" können sie wahrscheinlich wenig anfangen. Dafür stürzen sie sich nach der Theorie begeistert in die Rollenspiele, die nun folgen: Der besten Freundin geht es schlecht, sich braucht Beistand. Man ist aber schon mit der neuen Nachbarin zum Kino verabredet: Eine moralische Zwickmühle. Ein unsportliches Kind stellt sich beim Weitsprung so ungeschickt an, dass es sich den Fuß verknackst. Wie geht nun wertebewusstes Handeln? Und dann der Klassiker: Eine ältere Dame steigt in den überfüllten Bus.

    "Wir haben gelernt, wie man sich verhält, wenn es einem anderen schlecht geht und man ihn dann nicht auslacht. Immer hilfsbereit sein."

    Die Eltern warten schon vor der Tür. Catharinas Mutter, Antje Scheinhardt glaubt zwar nicht, dass ihre Tochter eine grundlegende Unterweisung nötig hat, aber:

    "Es ist gut, wenn mal ein anderer den Fokus lenkt."

    Und Wiebke Giebel-Bock, eine andere Mutter, glaubt, dass einige etwas Erziehung dringend nötig haben. Sie beobachtet in den gutsituierten Stadtteilen wie Horn und Oberneuland eine Art Wohlstandsverwahrlosung:

    "Im Tennisverein habe ich es oft erlebt, dass Kinder sich benehmen wie die Axt im Walde."

    Das kann den "Werteschülern" nicht mehr passieren: Die Kinder aus Oberneuland benehmen sich wie in der Häschenschule dressiert. Schön gerade stehen, die Sonnenbrille abnehmen, wenn man jemanden begrüßt. Im Bus für ältere Menschen aufstehen. Und auf dem Schulhof nicht über Schwächere lachen. Morgen kommt dann der Knigge fürs richtige Essen mit Messer und Gabel dran. Eine "Werteschule" soll es sein, es ist bestenfalls eine Benimmschule.