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Im Namen des Papstes

Morgen beginnt im Vatikan der Vatileaks-Prozess. Angeklagt ist der ehemalige Kammerdiener des Papstes und ein Informatiker aus dem Staatssekretariat. Doch ein unabhängiges Verfahren nach demokratischem Vorbild werden die beiden nicht bekommen.

Von Thomas Migge | 28.09.2012
    In den Verliesen der Engelsburg wird Paolo Gabriele nicht landen. Der ehemalige Kammerdiener des Papstes wird auch in keiner modernen Zelle innerhalb des Vatikanstaates schmachten müssen, denn bis auf die Räume für Untersuchungshäftlinge gibt es kein Gefängnis im Zwergstaat der Päpste, erklärt Marco Tarquinio, Direktor von "l'Avvenire", der Tageszeitung der italienischen Bischofskonferenz:

    "Es gibt da so viele kuriose Vorstellungen über den Vatikan. Der Kirchenstaat besitzt zwar kein Gefängnis, dafür aber ein komplettes Justizsystem, wie jeder andere unabhängige Staat auch. Im Unterschied zu anderen Staaten gibt es im Kirchenstaat aber neben der zivilen eine kanonische Rechtsprechung. Das Gleichgewicht dieser Institutionen untereinander ist bei uns wie in anderen Staaten gegeben."

    Die vatikanische Judikative besteht, wie anderswo auch, aus einem Gerichtshof erster Instanz, einem Appellations-, also Berufungsgericht, und einem Kassationshof, der Entscheidungen der Vorinstanz aufheben und an sie zurückverweisen kann. Das Justizsystem des Kirchenstaats hat eine uralte Tradition. So entstanden die apostolischen Pönitentiarie bereits im 12. Jahrhundert. Das sind sogenannte Gnadenhöfe. Nach einer letzten vatikanischen Justizreform durch Johannes Paul II. werden vor diesem Gericht vor allem Fragen zur Gewährung von Gnaden, Lossprechung von Sünden und Beugestrafen behandelt, aber auch nach kirchlichem Recht ungültige Ehen aufgelöst. Dies geschieht in der bekannten Sacra Rota. Den Pönitentiarie steht der Pönitentiarregent vor: Das ist ein hoher Prälat, dem die Verwaltung des Gerichtswesens obliegt.

    Im Unterschied zu einem demokratischen Rechtssystem wie in Deutschland kann das Oberhaupt des Vatikanstaates in jeden laufenden Prozess eingreifen. Papst. Benedikt XVI. kann also, wenn er sich dazu entscheiden sollte, in jeder Phase des Prozesses gegen seinen Ex-Kammerdiener umfassend eingreifen und, theoretisch jedenfalls, das Verfahren beenden. Zum Beispiel mit einer Begnadigung. Der italienische Rechtshistoriker Dario Mancuso:

    "In dem Sinn, dass dies sämtliche Türen für einen unerwarteten Prozessverlauf öffnet. Das päpstliche Eingreifen unterliegt keiner weiteren Kontrollmöglichkeit."

    Der Papst ist innerhalb seines Staates, des Heiligen Stuhls, ein absoluter Herrscher. Als solcher kann er Entscheidungsbefugnisse in einem Prozess einer speziellen Instanz übertragen – oder sogar sich selbst. Das bedeutet, dass Urteile im Kirchenstaat nicht nur im Namen des Papstes gefällt werden, sondern er selbst unbestrittener Herr über das Justizsystem ist. Rechtsmittel gegen ein päpstliches Eingreifen in einen Prozess sind nicht möglich.

    Interessant ist, dass der Vatikan die Europäische Menschenrechtskonvention nicht unterzeichnet hat und die Todesstrafe erst 1969 formell abgeschafft wurde. Die letzten Todesurteile wurden allerdings schon 1870 ausgesprochen – kurz vor der italienischen Staatseinigung, die den Machtbereich der Päpste auf knapp einen Quadratkilometer reduzierte.