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"Im öffentlichen Dienst wollen wir keine Zweiklassengesellschaft haben"

Vor der neuen Tarifrunde im öffentlichen Dienst verteidigt der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes Klaus Dauderstädt die Forderung nach 6,5 Prozent mehr Gehalt für die Beschäftigten der Länder. Die gute Konjunktur habe den Ländern deutlich höhere Steuereinnahmen beschert, so Dauderstädt.

Klaus Dauderstädt im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 05.01.2013
    Jürgen Zurheide: Die Gehaltsforderungen für die Beschäftigten der Länder im öffentlichen Dienst sorgen schon vor der Tarifrunde für Ärger. Einzelne Finanzminister sagen, 6,5 Prozent, das geht gar nicht, das gibt unsere Haushaltslage, unsere Kassenlage nicht her. Auf der anderen Seite verweisen natürlich die Mitarbeiter in den Landesbehörden darauf, dass sie jetzt einen ordentlichen Schluck aus der Pulle brauchen, zumal die Bundesbeschäftigten und die kommunalen Beschäftigten im vergangenen Jahr, als für sie verhandelt wurde, 6,3 Prozent herausgeholt haben und die Landesbediensteten jetzt sagen, für uns gilt das auch, was für die anderen schon gegolten hat. Ich habe vor der Sendung mit dem Chef des Deutschen Beamtenbundes, Klaus Dauderstädt, über dieses Thema gesprochen und habe ihn gefragt: 6,5 Prozent ist das nicht ein bisschen happig?

    Klaus Dauderstädt: Die Forderung ist nicht hoch, die Forderung ist gleich hoch wie bei dem bereits abgeschlossenen Tarifgeschäft mit Bund und Kommunen. Die Arbeitgeber haben sich entschieden, in unterschiedlichen Zeitpunkten und getrennt zu verhandeln im öffentlichen Dienst, deswegen wollen wir für unsere Mitglieder bei den Ländern gleiche Ergebnisse erzielen, wie bei Bund und Kommunen bereits erfolgt. Und dort haben wir einen Abschluss im Gesamtvolumen von 6,3 Prozent durchgesetzt. Das ist eine hohe Hürde, die werden wir versuchen, gegenüber den Ländern auch umzusetzen.

    Zurheide: Die Stimmung bei den Mitgliedern ist damit natürlich, die Erwartungshaltung, völlig klar: Die wollen das. Damit stehen Sie eigentlich mehr unter Druck als die andere Seite. Ist das eine schöne Ausgangsposition? Doch eher nicht.

    Dauderstädt: Die ist eine Ausgangsposition, die bei Gewerkschaften üblich ist. Denn die Mitglieder vergleichen natürlich immer andere Abschlüsse auch und haben einen Erwartungshorizont, was denn für ihren Bereich gerechtfertigt ist. Im öffentlichen Dienst wollen wir keine Zweiklassengesellschaft haben zwischen dem Bund auf der einen Seite und den Kommunen und den Ländern auf der anderen Seite. Zumal, wenn ich die Übertragung auf die Beamtenschaft noch hinzufüge, bei den Kommunen das Problem entsteht, dass die Arbeitnehmer schon einen Abschluss in der Tasche haben mit 6,3 Prozent, die Beamten aber am Abschluss der Länder hängen werden. Und deswegen auch hier eine Gleichbehandlung sinnvoll ist.

    Zurheide: Jetzt kann man das ja alles nachvollziehen, was Sie sagen. Nur, Sie wissen auch, die Haushaltslage der Länder ist deutlich anders als die bei anderen Stellen, zumal beim Bund. Die Personalkosten bei den Ländern sind deutlich höher, die Schuldenbremse steht im Grundgesetz, da kommt keiner drum herum, zumindest will es im Moment auch niemand andenken. Wie wollen Sie das durchsetzen? Die Länder gehen jetzt schon auf dem Zahnfleisch.

    Dauderstädt: Die Länder haben natürlich zunächst auch einmal deutlich erhöhte Steuereinnahmen. Aus dem Gesamttopf sind sie ja auch entsprechend gut berücksichtigt worden. Wir sind uns bewusst, dass davon nicht alles in den öffentlichen Dienst fließen kann, aber wir werden der Politik die Entscheidung abfordern müssen, was ihr der öffentliche Dienst wert ist. Und wir werden dabei auch die Faktoren Laufzeit des Tarifvertrages als mögliche Kompromisslinie einerseits und auch Personalstärke, die in der demografischen Entwicklung dranhängt, mit an den Verhandlungstisch mitnehmen müssen, um zu einem Kompromiss zu kommen. Es wird nicht einfach werden. Wir haben bei den Ländern auch kein Schlichtungsabkommen, sodass wir nach den drei Runden nach Möglichkeit zu einem Ergebnis kommen müssen. Sonst stehen sehr schnell Urabstimmung und auch Arbeitskampf im Raum.

    Zurheide: Nun ist das beim Streik ja ein bisschen schwierig, zumindest für die Beamten, die Sie vertreten. Es gibt dann mobile Mittagspausen. Das Wort Streik nehmen Sie nicht so gern in den Mund, oder haben Sie da inzwischen weniger Hemmungen?

    Dauderstädt: Nein, Streik für Beamte ist ausgeschlossen. Das kann sich der Beamtenbund auch nicht vorstellen. Wir haben eine Entwicklung in der Rechtsprechung, dass Beamte, die mal gestreikt haben, wenn sie Lehrer sind, deswegen nicht sanktioniert werden dürfen, also keine disziplinarmäßige Ahndung haben dürfen. Das halten wir für falsch. Alle Beamten dürfen nicht streiken. Wir würden auch niemals die Beamten zu einem Streik aufrufen. Das gehört zum Grundsatz des Statusrechts im Beamtenrecht, der in unserer Verfassung angelegt ist.

    Zurheide: Sonst würden Sie das Beamtentum abschaffen, denn Sie sind ja eigentlich die Vertretung der Beamten.

    Dauderstädt: Das ist die Konsequenz. Wer für Beamte Streik fordert, der will das Beamtentum so, wie wir es kennen, nicht haben. Und dazu gehören wir auf jeden Fall nicht. Die Frage ist, ob sich Beamte bei Demonstrationen beteiligen können oder bei der Bekundung von Unwillen. Das ist eine andere Thematik. Da können sie ihre Mittagspause vielleicht nutzen oder sich ausstechen oder gegebenenfalls mal einen Tag Urlaub nehmen, wenn wir zu einer großen Demonstration aufrufen. Aber streiken mit Beamten werden wir natürlich nicht.

    Zurheide: Auf der anderen Seite, wenn denn dann solche Forderungen durchgesetzt würden, ich rede jetzt im Konjunktiv, um den Gleichstand herzustellen mit dem Abschluss des vergangenen Jahres, dann heißt das doch im Umkehrschluss, weil insgesamt nicht viel mehr Geld da sein wird und die Steuereinnahmen auch, sagen jedenfalls alle Vorhersagen im Moment, nicht weiter so sprudeln werden, wie das der Fall gewesen ist in der Vergangenheit, dann heißt es mehr Geld für einzelne Beamte, das heißt auf der anderen Seite weniger Stellen. Schaffen Sie das nicht genau?

    Dauderstädt: Das ist nicht unsere Zielsetzung. Wir werden aber in dieser Frage mit der Politik, sprich mit den Finanzministern als unseren Verhandlungspartnern, kämpfen müssen, was das denn bedeutet, eine Lohnerhöhung. Und ich sage noch mal, dass die Schnittstelle, wie wir das vielleicht ausgleichen können, in der Dimension, der zeitlichen Dimension eines Tarifabschlusses zu finden sein wird, aber eben auch in der Höhe und in der Frage, welche Anteile des Haushaltes mag ein Land für seinen öffentlichen Dienst investieren. Da ist eine Abwägung zwischen den Ausgabeentscheidungen da.

    Zurheide: Auf der anderen Seite sind fast 700.000 Stellen, die demnächst wegfallen, weil Menschen in Rente gehen.

    Dauderstädt: Das ist korrekt. Im gesamten öffentlichen Dienst, nicht nur bei den Ländern.

    Zurheide: Im gesamten öffentlichen Dienst, so. Und dann sagt der Bund, die Länder, wer auch immer: Dann besetzen wir eben nur noch jede zweite Stelle. Das könnte eine Konsequenz von zu hohen Forderungen sein. Sind Sie sich des Risikos bewusst?

    Dauderstädt: Dieses Risiko haben wir vor Augen. Wir glauben aber, dass der politisch Verantwortliche sagen wird und muss, dass nicht ein genereller Personalabbau die Antwort darauf sein kann. Wir haben über Jahre hinweg in den Haushaltsgesetzen Personalreduzierungen verankert gehabt. Der Bund hat das im letzten Jahr erstmals aufgehoben und gesagt, wir sind jetzt an der Untergrenze angelangt. Um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes nicht zu gefährden, können wir nicht weiter Personal abbauen. Wir sind von 5,3 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst im Zeitpunkt der Wiedervereinigung auf 3,5 Millionen heruntergegangen. Das ist schon ein massiver Personalabbau. Man muss sich einfach fragen, ob es noch in Ordnung ist, dass Lebensmittelkontrolleure nur noch alle hundert Jahre in ein Unternehmen hineingehen, um was zu prüfen.

    Zurheide: Wobei die Zahlen sich jetzt schlimmer anhören, weil wir natürlich auch Privatisierung bei der Post hatten, die muss man rausrechnen. Aber es gibt weniger Beamte, das ist richtig. Ein anderer Punkt, die neue Annäherung zwischen Beamtenbund auf der einen Seite und Verdi, der DGB-Gewerkschaft, auf der anderen Seite. Ist das eigentlich aus Ihrer Sicht eine Erfolgsgeschichte oder gehen Sie nicht im Laufe der Zeit unter? Weil bei den Forderungen gleichen Sie sich an. Auch Sie sind ein Stück radikaler geworden, oder?

    Dauderstädt: Also die Frage der Radikalität ist eine Größenordnung, die schwer zu definieren ist. Wir haben gemeinsame Forderungen aufgestellt, was zeigt, dass die Interessen der Arbeitnehmerschaft auch sinnhaft gemeinsam vertreten werden. Wenn man getrennt antritt, kann die Arbeitgeberseite leicht nach dem Motto teile und herrsche die Gewerkschaften versuchen auseinander zu bringen. Wir haben gute Erfahrungen mit diesem Schulterschluss gemacht. Wir gehen auch nicht unter. Im Gegenteil. In der Vergangenheit war es immer mal im Streit, wer hat überhaupt am Tariftisch was zu sagen. Jetzt treten wir gemeinsam an und können unseren Mitgliedern auf beiden Seiten mitteilen, wir sind unmittelbar im Geschäft, wir verhandeln parallel miteinander mit der Arbeitgeberseite und wir führen auch die Ergebnisse gemeinsam, wenn sie erfolgreich sind, auf uns zurück.

    Zurheide: Die Sorge, dass Sie sich dann überflüssig machen, haben Sie nicht?

    Dauderstädt: Nein, auf gar keinen Fall. Unsere Mitgliederentwicklung ist auch positiv. Das ist das Erstaunliche daran, auch für die Öffentlichkeit gar nicht mehr so wahrgenommen. Wir gewinnen mehr Mitglieder hinzu.

    Zurheide: Zum Schluss noch mal wieder auf den Anfangspunkt zurück. 6,5 Prozent – warum brauchen Arbeitnehmer das jetzt in der Krisenzeit. Wir alle wissen, dass sich die konjunkturelle Lage eintrübt, wir wissen, dass die Eurokrise längst nicht vorbei ist, dass es da Risiken gibt. Und dann 6,5 Prozent? Da schütteln viele den Kopf.

    Dauderstädt: Ich sage noch mal, der Maßstab ist ein Abschluss mit den übrigen öffentlichen Händen, Bund und Kommunen, in der Höhe von 6,3 Prozent, ein Abschluss. Auch da war die Forderung 6,5 Prozent. Wir müssen zusehen, dass unsere Arbeitnehmer keine Reallohnverluste einfahren, denn wir haben Inflation, wir haben Preissteigerungen, wir haben Energiekostensteigerungen, wir haben Mietkostensteigerungen, das alles muss aufgefangen werden. Und wir haben den Anspruch, der sogar gesetzlich verbrieft ist, auf Teilhabe an der Entwicklung in der Gesamtwirtschaft.

    Zurheide: Das war Klaus Dauderstädt, der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes im Gespräch mit dem Deutschlandfund.

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