Donnerstag, 28. März 2024

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Im Reich des Unbewussten

"Die Eltern lagen schon und schliefen, die Wanduhr schlug ihren einförmigen Takt,"

Von Arno Orzessek | 31.03.2007
    beginnt Novalis' Romanfragment Heinrich von Ofterdingen von 1802. Man kann es am Ende der Ausstellung hören, hingefläzt auf einer Polsterwiese, die zu dem einlädt, was man heute Powernapping nennt, Kraftnickerchen.

    Tatsächlich hat sich Kurator Michael Dorrmann auf die Zeitspanne ab 1800 bis in die Gegenwart - und dabei auf die westliche Welt - konzentriert, um die anthropologischen Universalien Schlaf und Traum anhand von 300 naturwissenschaftlich-technischen, kulturhistorischen und künstlerischen Exponaten einzuhegen. Es geht um unseren Schlaf. Michael Dorrmann:

    "Ich habe sehr stark das Gefühl, wenn man einzelne Exponate jetzt zeigen würde, zum Beispiel den Traumfänger, den es in einigen indianischen Kulturen geben soll, dann wäre das so etwas wie Exotismus, wenn man es ohne den lebensweltlichen Zusammenhang, in dem es benutzt und praktiziert wird, zeigt."

    Die Ausstellungsarchitekten Nikolaus Hirsch und Wolfgang Lorch haben aus weißen Panelen einen organisch verspielten Innenraum mit Nebenkabinetten geschaffen, der von der Formlosigkeit des Schlafs und der Unvorhersehbarkeit der Träume inspiriert ist.

    Dabei sind die Inhalte etwa der ersten Abteilung - "Todmüde" - spektakulär. Die Umweltkatastrophe nach der Havarie der Exxon Valdez infolge von Müdigkeit ist durch ölverschmutzte Kieseln und fehlgebildete Lachse präsent. Es gibt ein Bedienpult mit "Totmannknopf", mit dem Lokführer ihr Wach- und Lebendigsein bekunden müssen. Dokumentiert werden die Wachbleiberekorde von Peter Tripp und Randy Gardner - jeweils über 200 Stunden. Michael Dorrmann:

    "Der Schlaf hat eine enorme Gewalt über uns, und diese Gewalt müssen wir uns immer mal wieder vergegenwärtigen. Und wenn wir nicht gehorchen - also in der griechischen Mythologie heißt ja Hypnos der Allbezwinger, der uns wirklich zum Schlaf niederzwingt -, kann es zu Katastrophen kommen. Also war es ganz bewusst, so einen harten Einstieg zu nehmen."

    Schlafentzug als Stasi-Foltermethode - davon erzählt in einer Audiostation Karl Wilhelm Fricke, der 1955 aus Westberlin ins Untersuchungsgefängnis Hohenschönhausen entführt wurde:

    "Man fühlt sich sozusagen im falschen Film. Man glaubt gar nicht, dass das Realität ist. Aber was wesentlich ist, ist, dass man allmählich lethargisch wird. Dass man in einer inneren Spannung lebt. Dass man furchtsam sich verhält, absolut misstrauisch."

    Der naturwissenschaftliche Beweis, dass das Gehirn niemals schläft, wurde in den Dreißiger Jahren von Hans Berger geführt. In der Abteilung "Schlafspuren" ist das allererste Schlaf-Elektroenzephalogramm von 1929 zu sehen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt indessen wird der Fortschritt der Forschung nicht mehr mit technischen Geräten dokumentiert. Michael Dorrmann:

    "Alles was nach 1960 auf den Markt kommt, das sieht einfach nicht mehr schön aus, und das verwandelt sich immer stärker nur in eine PC-Station. Und die hat jeder schon zuhause stehen."

    Schließlich Kunst. Luis Bunuels und Salvatore Dalis Ein Andalusischer Hund - der Film mit dem Rasierklingen-Augapfel-Schnitt, der nach Träumen Dalis entstand -; Katharina Sieverdings feministische Installation Mann und Maus; das Homeless Vehicle von Krzysztof Wodiczko, das den miesen Schlaf New Yorker Obdachloser aufgreift; und und und... "Schlaf und Traum" ist eine Wunderkammer, durch die man teils verträumt, teils gebannt schweift.

    Viele Einzelaspekte - Freuds Traumdeutung wird mit gerade zwei Exponaten abgehandelt - könnten eigene Ausstellungen mit höherer Auflösung abgeben. Aber das Deutsche Hygiene-Museum hat klare Vorstellungen davon, welche Stimulans auf sein Publikum wirkt. Direktor Klaus Vogel gebraucht das Wort "Volksbildung" ohne Häme:

    "Das heißt, dass wir daran glauben, dass wir mit einem etwas niederschwelligen Angebot Menschen hier hereinholen können, dass wir sie tatsächlich bilden können. Das Museum ist dafür eine klassische Stätte. Die Menschen kommen hierher, haben eine, anderthalb Stunden Zeit und das Angebot sollte in der Ausstellung zumindest so sein, dass es in diese Zeit herein passt."

    Alles Weitere übernehmen Katalog und Begleitprogramm. Das entspannte Projekt "Schlaf und Traum" wird inhaltlich rund.

    "Sandmännchen kommt geschlichen und guckt durchs Fensterlein."