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Im Schneckentempo durch die Sächsische Schweiz

Dresden hat die älteste und größte Raddampferflotte der Welt. In diesem Jahr feiert die Sächsische Dampfschiffahrtsgesellschaft ihren 175. Geburtstag. Zweimal im Jahr fahren sie auch über die tschechische Grenze - ein 12-Stunden-Vergnügen vor bisweilen atemberaubender Landschaft.

Von Iris Riedel | 03.07.2011
    Bei diesem Ton macht das Herz aller Bewohner des Elbtals von Meißen bis zur sächsisch-tschechischen Grenze einen kleinen Sprung. Durch die etwa 50 Meter breite Elbe wühlt sich ein historischer Dampfer mit schmuckem weißen Anstrich. An jeder Seite schlürfen rote Schaufelräder das Wasser ein und spucken es hinten als weißen Schaum wieder aus. Auf dem Deck winken Menschen und auf einer Leine vom Heck zum Bug flattern bunte Fähnchen. An der Spitze des Schiffes, an dessen Bord ich an diesem trüben Montagmorgen gehe, prangt die Fahne der Tschechischen Republik. Denn heute drehen wir nicht wie sonst vor der Grenze um, sondern fahren weiter elbaufwärts von der Sächsischen in die Böhmische Schweiz. Am Fuße der Festung Königstein betreten wir über einen langen Steg den Dampfer "Dresden". Die Maschine im Schiffsbauch schnauft bereits und Maschinist Enrico Kießling verleiht ihr mit dem Poliertuch noch den letzten Schliff.

    "Ja, das gehört täglich dazu. Das ist bei so einer Dampfmaschine eben so. Muss ja alles glänzen, die Fahrgäste wollen das ja gerne so sehen."

    Nur wegen der Fahrgäste?

    "Ach, Berufsehre!"

    Enrico Kießling wird den Fahrgästen als "mit dem Schiff verheiratet" vorgestellt. Fakt ist, dass er seit 1995 die Dampfmaschine der "Dresden" hegt und pflegt und ihn sein Herzblatt ganz schön früh aus den Federn holt.

    "Wir haben um sechs angefangen mit arbeiten. Was haben Sie als Erstes gemacht? Ja, den Kessel angeheizt und die Maschine flott gemacht, damit es dann pünktlich losgehen kann mit den Fahrgästen."

    Punkt 8 Uhr 30 sind alle 280 Passagiere eingeschifft und es heißt "Leinen los!".

    Der Steuermann wickelt am Vordeck das Drahtseil auf die Winde, mit dem das Schiff gerade noch am Ufer vertäut war.

    Der Maschinenraum bekommt das Startsignal und plötzlich wird es hektisch. Die Schaufeln patschen ins Wasser, fassen, schieben und stemmen den Koloss gegen den Strom. Ein letzter Gruß aus dem Schornstein, oder der "Röhre", wie er im Schifferjargon heißt, und wir verlassen das Städtchen Königstein Richtung tschechische Grenze. Hinter uns in 400 Meter Höhe thront die Festung. Angesichts dieser Erhabenheit kann man sich leicht vorstellen, dass es die einzige Festung in Sachsen ist, die noch nie eingenommen wurde.

    Bis zur Grenze liegen noch eineinhalb Stunden vor uns. Mit zehn Kilometern pro Stunde schippert die "Dresden" durch eine der schönsten Flusslandschaften Europas, vorbei an schnuckeligen Fachwerkhäuschen im Tal. Darüber türmen sich die markanten Felsnadeln der Sächsischen Schweiz auf. Am Himmel ziehen Schwarzstörche ihre Kreise. "Nichts Besonderes hier", erwidert der Herr neben mir mein Entzücken. Vor uns sehen wir den Wappenberg des Nationalparks Sächsisch-Böhmische Schweiz, den Lilienstein. Ein Tafelberg, der einsam und oben abgeflacht auf einem Feld hockt, als hätte der liebe Gott seine Hutschachtel vergessen. Für heutige Begriffe im Schneckentempo läuft das Panorama der Sächsischen Schweiz vor uns ab. Früher, vor circa 200 Jahren, wäre diese Geschwindigkeit mit enorm viel Schweiß verbunden gewesen. Denn damals gab es hier die Bomätscher, die mit Stahlketten vom Ufer aus Frachtschiffe die Elbe entlang zogen. Irgendwann kamen pfiffige Ingenieure darauf, die neue Errungenschaft Dampfmaschine in der Schifffahrt einzusetzen. Kein anderer als Professor Johannes Andreas Schubert, Vater der ersten deutschen Dampflokomotive "Saxonia", konstruierte 1834 das erste deutsche Dampfschiff. Es war ein Frachtschiff, das Zucker aus einer Dresdner Zuckersiederei nach Hamburg bringen sollte, aber wegen Unwirtschaftschaftlichkeit bald eingestellt wurde. Schubert baute wenig später für die 1836 gegründete Elbdampfschiffahrtsgesellschaft "Königin Maria". Aus den Sächsischen Neuesten Nachrichten vom August 1837 wissen wir, dass sich am Tag der Jungfernfahrt die Schaulustigen an Dresdens Ufern nur so drängten, um die Explosion der "Höllenmaschine" mit eigenen Augen zu verfolgen.

    "[Alles verstummte], als gegen 10 Uhr eine dünne Esse in der ferne sichtbar wurde, die mächtige Rauchwolken ausstieß. Langsam kam das blendend weiße Schiff mit seinen vielen Kästelfenstern näher, getrieben von zwei mächtigen Schaufelrädern, die zu beiden Seiten klatschend ins Wasser tauchten. [ ... ] Am Radkasten leuchtete unter dem Sachsenwappen in Goldschrift der Schiffsname KÖNIGIN MARIA [...]"

    Die Explosion blieb aus. Und weil sie ausblieb, kann die Sächsische Dampfschifffahrt in diesem Jahr ihr 175-jähriges Bestehen feiern. Neun historische Schaufelraddampfer im Alter von 131 bis 82 Jahren schaufeln sich nach wie vor tapfer durch die Elbe und damit gehören sie zur ältesten und größten Raddampferflotte der Welt. Sie sind also ihren legendären Kollegen auf dem Mississippi mit Volldampf voraus.

    Unser Schiff nähert sich der Grenze und ich löse mich vom famosen Blick am Bug und arbeite mich zum Oberdeck vor.

    Zwar schickt der trübe Himmel ab und an Nieselregen in Richtung Erde, aber das hat die meisten Dampferenthusiasten nicht davon abgeschreckt, sich den Fahrtwind um die Nase wehen zu lassen. Ich möchte mit dem Kapitän sprechen. An der Brücke bekomme ich Bescheid, dass ich mich noch gedulden muss, der Kapitän passiere gerade seine Heimatstadt Schmilka. Kleine bunte Fachwerkhäuschen schmiegen sich in ein Nebental der Elbe. Der Ort erlangte traurige Berühmtheit durch den höchsten Pegelstand während der Jahrhundertflut im August 2002. Die Elbe stieg hier im engen Tal auf zwölf Meter an und vielen Bewohnern stand das Wasser bis in den zweiten Stock. Kurz hinter Schmilka träumt ein verwaister Grenzübergang von der Zeit vor Schengen.

    "Ich komme aus Schmilka. Mein Vater war hier Maschinist und da bin ich immer als Kind mitgefahren, und seit 1965 fahren wir jetzt, praktisch bis zur Wende sind wir die Strecke gefahren, Schandau – Usti. Im Sechstagerhythmus. Und da sind wir zwölf Mal im Monat die Strecke gefahren. Und von April bis Oktober, da können Sie sich ausrechnen, was da im Jahr rauskommt."

    Kapitän Eberhardt Herschel ist ein erfahrener Flussbär. 48 Jahre beschippert er die Elbe und mehr als 800 Mal war er schon mit dem Dampfer in Ústí. Kaum zu glauben, wenn man bedenkt, dass diese Fahrt gerade mal die fünfte seit der Wiedervereinigung ist.

    "Zu damaligen Zeiten war der grenzüberschreitende Verkehr nur möglich mit dem Schiff, und da ballte sich alles und da wollte jeder mal in die Tschechei einkaufen gehen, da die Geschäfte etwas westlicher angehaucht waren als in Ostdeutschland."

    "Bananendampfer hieß das früher", raunt mir später ein Passagier verschmitzt zu. Heute geht es keineswegs um die Verbindung von billigem Einkauf und Vergnügen. Wir werden nicht einmal in Tschechien anlegen, geschweige denn zu einem Stadtbummel an Land gehen. Die Schleusenfahrt nach Ústí ist etwas für eingefleischte Schiffsliebhaber. Nicht ein einziges Mal löst Kapitän Herschel seinen Blick vom Fluss. Die Hand umfasst das Steuerrad und dreht es kaum wahrnehmbar mal in die eine mal in die andere Richtung.

    "Da muss man nicht viel machen am Steuerrad, oder?
    Oja, sehr aufpassen, hier im tschechischen Gebiet. Die Strecke ist hier in der Breite die Hälfte vom deutschen Gebiet. Also bei schlechten Stellen liegen wir bei 20 bis 25 Meter Fahrwasserbreite. Die möchten wir schon einhalten. Und hier gibt es keine Sandbänke, nur harte Steine. Und damit ist es nicht gut für unseren viereinhalb Millimeter starken Schiffsboden."

    Ein Schiffsführer muss den Uferbereich wie seine Westentasche kennen. Daran orientiert er sich und prägt sich ein, wie der Grund der Elbe an der jeweiligen Stelle beschaffen ist.

    "Hier ist nun eine schwierige Stelle. Teufelswasser heißt das, weil hier die Fließgeschwindigkeit sehr hoch ist und wir hier ein Gefälle von mindestens 60 Zentimeter auf einen Kilometer haben."

    Nach Schmilka haben wir etwa vier Kilometer lang Deutschland auf der rechten und Tschechien auf unserer linken Seite, weil hier der Fluss selbst die Grenze bildet. Und nicht nur der Fluss grenzt beide Seiten sichtbar voneinander ab. Man sieht es auch an den Häusern. Die schmucken, hergerichteten Häuschen auf der einen und die über die Jahre von Wind und Wetter gegerbten Villen auf der anderen Seite. Beides hat seinen Charme. Auf der linken Seite wird es dann amtlich. Flusskilometer 0 taucht hinter einem Busch auf und zeigt an, dass wir Deutschland nun endgültig verlassen. Über der schwarz umrandeten Null auf weißem Grund ist gut sichtbar ein zweites Schild mit der Zahl 730 angebracht. Exkursionsleiterin Jana Malschewski klärt die Reisenden über das Schilderdoppel auf.

    "Nun, wir Deutschen zählen noch hier den Beginn und in Cuxhaven das Ende. ... Von tschechischer Seite hat man schon komplett neue Kilometertafeln aufgestellt für die Elbe. Denn man geht jetzt nicht mehr von der Moldaumündung bei Mělník mit Kilometer 0 aus, sondern macht es andersherum. Das heißt Kilometer 0 wird Cuxhaven gesetzt und dann wird sich stromauf gearbeitet. Das heißt, wir sind hier 730 Kilometer von Cuxhaven, von der Mündung der Elbe in die Nordsee entfernt. Die Elbkilometer auf tschechischer Seite wurden alle schon umbenannt. Auf deutscher Seite hat man noch nicht angefangen, das Ganze umzukilometrieren. Warum? Man hat kein Geld."

    Wenige Flusskilometer weiter erhebt sich vor einem Felsen, und deshalb nur vom Fluss aus sichtbar, eine Steinstatue im Bischofsgewand aus dem Gras an der Böschung. Der heilige Nepomuk. Sein Schicksal ist eng mit der Elbe verbunden. Er soll sich geweigert haben, König Wenzel über die Beichte der Königin zu berichten. Zur Strafe ließ ihn der eifersüchtige Herrscher von der Karlsbrücke in Prag in die Moldau stürzen, die bei Mělník in die Elbe fließt. Weil der Heilige Nepomuk auch der Patron der Schiffer ist, erwartet unsere ahnungslose Reisegesellschaft und ein Mitglied der Besatzung eine Überraschung. Der Arglose ist der zweite Maschinist, der an diesem Tag zum ersten Mal mit dem Schiff am heiligen Nepomuk vorüberfährt und deshalb das Ritual der Schiffstaufe über sich ergehen lassen muss – mit Rücksicht auf die umstehenden Gäste in gemäßigter Form.

    "Üblich ist sonst bei einer Taufe, dass man in alten Essensresten badet oder dem Kapitän die Füße küsst. Solche Sachen können wir heute nicht machen. Wir müssen ja noch ein bisschen fahren und wir brauchen den Maschinisten noch. Ich denke vor allem an die Essensreste. Deshalb wollen wir es heute ganz kurz machen. Ich bräuchte mal zwei kräftige Herren, die mich unterstützen."

    Zwei Freiwillige halten eine Eisenstange, die der Täufling dann in zwei Teile sägen muss. Ob es an der Vokalunterstützung des Publikums liegt oder an der guten Säge, jedenfalls ist die Arbeit binnen drei Minuten vollbracht.

    "Jetzt sehe ich dich das erste Mal ein bisschen schwitzen bei der Arbeit. Der Heiko Anton bekommt auch eine Urkunde. Er wird vom Maschinenassistenten zur hohen See zum Meister auf der Oberelbe ernannt."

    Je näher wir der ersten Stadt auf tschechischer Seite, Děčín – zu Deutsch Tetschen, kommen, desto häufiger werden die vereinzelten Villen und Häuschen durch Industriebauten abgelöst. Eine gute Gelegenheit, sich einmal von der Reling ab- und Gaumenfreuden zuzuwenden. Inzwischen ist es Mittag geworden und der Magen verlangt nach Sächsischer Kartoffelsuppe und Böhmischen Knödeln.

    Die drei großen, hell getäfelten Salons füllen sich wieder. Beim Eintreten muss ich an den Speisewagen in einem historischen Zug denken. Eine Reihe mit Tischen schmiegt sich an jede Fensterfront, Polstermöbel und Tischlämpchen mit grünen Glashäubchen sorgen für wohlige Wohnzimmeratmosphäre. Nichtsdestotrotz halten sich auch die Gäste, die einen Tisch im Innern reserviert hatten, dann doch eher draußen auf, denn die Sonne zeigt sich mit fortgeschrittener Stunde immer häufiger. Aber auch auf den Außendecks sind Tische, sodass man seinen Kaffee oder die heiße Schokolade einen Arm lässig auf die Reling gelegt schlürfen kann, ohne den Fahrtwind und das unablässige Plätschern der Schaufeln zu missen.

    Auf der linken Seite erhebt sich auf einem Felsen das Schloss Děčín über unseren Köpfen. Im 10. Jahrhundert wurde hier eine hölzerne Befestigung zur Kontrolle der Elbe-Schifffahrt errichtet. Das heutige barock-klassizistische Aussehen des Schlosses geht auf die Familie Thun-Hohenstein zurück. Die Thun-Hohensteins standen dem österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand nahe. Nachdem dieser in Sarajevo ermordet worden war, nahm die Familie die Kinder des Thronfolgers in ihre Obhut, zu sich nach Děčín. Am gegenüberliegenden Ufer erzählen verblasste Gründerzeit- und Jugendstilhäuser von vergangenen Zeiten, als die Stadt überwiegend von Deutschen besiedelt war. Einige der Passagiere stammen aus Děčín oder Ústí, aber sie waren kleine Kinder, als sie Böhmen nach Kriegsende verließen, und können sich nur noch an Schlaglichter erinnern.

    "An das Haus, wo ich geboren wurde, das ist direkt an der Elbe. Und so ein Stück dreihundert Meter rechts und dreihundert Meter links. Mehr weiß ich nicht, weil die Zeit ist ja darüber gegangen. Ich weiß zwar, dass früher in Aussig, jetzt Usti, früher der Anleger der Weißen Flotte war, dass das ein sehr großer, ungefähr wie in Dresden am Elbufer so ein Anleger war. Das war eine Kurstadt, eine Ausflugsstadt. Man fuhr früher dorthin. Das muss früher toll gewesen sein."

    Nach Děčín endet die böhmische Schweiz und beginnt das Böhmische Mittelgebirge. Nun säumen nicht mehr Sandsteinfelsen, sondern Vulkankegel das Elbufer. Sanfte Hügel, die sich wie an einer Perlenkette den Fluss entlangreihen. Silber, Kalk, Basalt und sogar Diamanten wurden im Böhmischen Mittelgebirge abgebaut. Der böhmische Granat ist wegen seiner blutroten bis schwarzroten Farbe ein Schmuckstück mit einer eindeutigen Botschaft, das auch der Romancier Goethe schätzte. Obwohl die Elbe eine viel befahrene Wasserstraße ist, haben wir nur wenig Gegenverkehr, meist tschechische Lastkähne, auf denen Hosen und T-Shirts auf einer Leine zum Trocknen wedeln. Von einem Ausflugsschiff winkt eine tschechische Schulklasse stürmisch und ruft zum Gruß "Ahoj!", das tschechische Wort für Hallo.

    Man sagt, es sei die Sehnsucht der Tschechen nach dem Meer, dass gerade das Volk im Herzen Europas den Schiffergruß nutzt. Einen Hauch Meer bringen Frachter Tag für Tag von Hamburg nach Böhmen, aber Dampfer sind hier kein gewohnter Anblick. Das merkt man spätestens daran, dass die Menschen noch enthusiastischer winken als die Sachsen. An beiden Ufern sehen wir Menschen, die den Fotoapparat fest umklammert neben dem Schiff herhasten, um die beste Perspektive zu erhaschen. Andere haben sich mit ihrem Stativ schon an der Strecke postiert. Etwa eine Stunde hinter Děčín liegt die Kreisstadt Ústí, zu Deutsch Aussig. Die Nordböhmische Industriestadt verfügt über den zweitgrößten Elbehafen nach Hamburg und sie birgt einen weiteren Fast-Superlativ. Die Masarykschleuse, benannt nach dem ersten tschechoslowakischen Präsidenten, ist die größte Schleuse hinter Hamburg und das Ziel unserer heutigen Ausfahrt.

    "Vorne rausgeschaut, wie sie vor uns liegt. Burg Střekov hier oben drauf. Als es im Jahr 1936 eröffnet wurde, die einen haben geschrieben, es ist das Industriekleinod schlechthin und die anderen haben gesagt das monströse Wasserwerk am Fuße der Burg Schreckenstein."

    Wer das berühmte Gemälde von Ludwig Richter "Die Überfahrt am Schreckenstein" im Kopf hat, auf dem bei violettem Sonnenuntergang ein Ruderboot unter der Burgruine die Elbe quert, der wird enttäuscht sein. Die Romantik ist der Technik gewichen. Am Fuße der schaurig verfallenen Ritterburg Schreckenstein zieht sich eine enorme Staustufe mit Wasserkraftwerk durch den Fluss. Darüber verläuft eine Fußgängerbrücke, auf der sich immer mehr Menschen sammeln und interessiert schauen, was nun mit uns passiert. Das fragen wir uns auch. Wir fahren in eine Kammer mit etwa zehn Meter hohen Wänden ein.

    Nachdem der Schiffsjunge oben auf der Mauer das Seil, an dem unser Dampfer hängt, vertäut hat, schließt sich das mächtige Eisentor hinter uns und aus Löchern an den Wänden beginnt Wasser zu fließen.

    30 Minuten lang stehen wir und schauen auf den Wasserspiegel, der in Zeitlupe ansteigt, und winken geflissentlich unseren Zuschauern auf der Brücke.

    "So liebe Gäste, vor uns geht das Tor wieder auf und damit kann es gleich losgehen ..."

    Das vordere Tor öffnet sich und gibt den Blick auf einen breiten See mit Berglandschaft und kleinen Sommerhäuschen frei. Der See ist die angestaute Elbe, und weil sie nun viel tiefer ist, flutscht das Schiff geradezu aus der Schleusenkammer.

    Ein kleines Stückchen fahren wir noch flussaufwärts, bis sich eine Wendemöglichkeit bietet und dann geht es mit unglaublichen 17 Kilometern pro Stunde elbabwärts wieder zurück zur Schleuse und das Spiel beginnt von vorn. Schiff einfädeln, Tore schließen, warten. Indes hat sich eine Schar Männer um den zweiten Kapitän Andreas Weber geschart, der bereitwillig erklärt, was genau bei einer Schleusung vor sich geht.

    "Wir kommen jetzt von Oberwasser, die Elbe zu Tal, und werden jetzt runtergeschleust wieder auf den natürlichen Elbpegel. Das bedeutet, dass wir in der großen Kammer in der Schleuse liegen und hier wird das Wasser jetzt langsam abgelassen, damit wir uns wieder auf das Elbepegelniveau herablassen."

    Also erst acht Meter rauf, dann acht Meter runter. Eine feine Sache für Schiffer, weil der Fluss dadurch auch im Sommer bei Niedrigwasser schiffbar bleibt. Deshalb erwägt der tschechische Staat zwischen der deutschen Grenze und Děčín eine weitere Staustufe zu bauen. In Deutschland wird das argwöhnisch beäugt, vor allem aus Naturschutzgründen und weil viele Bürger im Elbtal vom Nutzen nicht überzeugt sind. Kapitän Eberhardt Herschel kann die neue Schleuse gar nicht erwarten.

    "Die Sommer sind wesentlich trockener geworden. In diesem Jahr war die Schneeschmelze schon im Februar, und wenn im Februar schon die Schneeschmelze ist, dann fängt im Mai schon an das Wasser runter zu tendieren in den Meterbereich und da haben wir schon Probleme."

    Mit zwei Staustufen würde unsere doppelte Schleusenfahrt mit Dampfer dann zur vierfachen Schleusenfahrt, das heißt viermal 30 Minuten Wasserfahrstuhl. Da muss man dann wirklich eine Leidenschaft für Dampfer und Schleusen haben, sonst fängt man beim dritten Mal vielleicht schon an, verstohlen auf die Uhr zu schielen. Etwas, wozu es heute keinerlei Anlass gab. Zwölf Stunden Fahrt und keine Minute Langeweile. Jeder hat den Tag auf seine Weise genossen. Der eine zielt unablässig mit seinem 30 Zentimeter-Objektiv in die Umgebung, der andere vergleicht jedes Highlight am Wegesrand mit der historischen Karte vor ihm auf dem Tisch. Eine Frau hat sich mit dem Klappstuhl am Bug postiert und notiert Eindrücke in ihr Tagebuch. Die meisten aber lehnen auf der Reling, schlürfen Kaffee und lassen ihre Blicke über die Landschaft schweifen.

    Hinweis: Wer dieses Jahr noch eine Schleusenfahrt erleben will, hat am 29. August noch einmal die Möglichkeit dazu. Nächsten Freitag (8.7.) feiert die Weiße Flotte Geburtstag und zu diesem Anlass findet eine Dampferparade statt. Das ist deshalb sehenswert, weil man nur selten mehrere Dampfer der Flotte auf einmal zu sehen bekommt, weil sie täglich an unterschiedlichen Stellen im Elbtal unterwegs sind. Und natürlich kann man auch sonst an jedem Tag der Sommersaison Dampfer fahren und das vielleicht auch mit einem Spaziergang in der Sächsischen Schweiz kombinieren, zum Beispiel auf den Lilienstein.

    Musik:
    Wenzel "Auf dem schönen Lilienstein", CD 2, Track 11
    Doppel-CD: Wenzel Solo Live
    Kompositionen und Texte: Hans-Eckardt Wenzel
    Verlag: Matrosenblau
    Vertrieb: Indigo Musik GmbH
    Gema: LC 18754