Dienstag, 19. März 2024

Archiv


Im Spannungsfeld von Mythos und Moderne

Eigenwillige Dramaturgie kennzeichnet die Konzertoper Henzes rund um Hippolyt, um den auf vielen Ebenen verschiedene Frauen kämpfen. In Luzern ist die musikalische Umsetzung sehr erfreulich.

Von Jörn Florian Fuchs | 09.09.2010
    Mit etwas Verspätung erreicht das in deutschen Landen ausführlichst gefeierte Henzejahr nun also auch die Schweiz.
    Eigentlich hatte man den alten Opernrecken Henze vor ein paar Jahren bereits abgeschrieben, da gab es bei den Salzburger Festspielen sein äußerst pittoreskes Märchenstück "L'Upupa", in dem ein Wiedehopf im Zentrum steht. Doch dann wollte die Berliner Lindenoper unbedingt etwas Neues, Frisches – und Henze lieferte 2007 seine "Phaedra".

    In Luzern gibt es zu Beginn ein paar Geräusche per Zuspielband, dann treten junge Leute von heute auf und sprechen Textfragmente aus dem "Hippolytos" des Euripides. Plötzlich beginnt ein Teil der Truppe zu tanzen, ein anderer vollzieht archaisch anmutende Gesten. Erst nach einer Viertelstunde beginnt die eigentliche Oper. Die Protagonisten durchleben nun eine Vielzahl von Emotionen und Situationen, Regisseur Stephan Müller hält dabei alles in der Schwebe zwischen klar erkennbarer Gegenwart und der Überzeitlichkeit des Mythos, wodurch reichlich Binnenspannung entsteht.

    Die Sänger werden fast alle durch Schauspieler bzw. Tänzer verdoppelt, was gut zur Struktur der Oper und zum Libretto Christian Lehnerts passt. Es geht nämlich auch in Musik und Text um Verdoppelungen, Spiegelungen, Verwandlungen. Wird zu Anfang die Vorlage noch recht genau und beinahe handgreiflich erzählt, gerät man im zweiten Teil des Abends in ein Zwischenreich auf gleich mehreren Ebenen. Hippolyt, der zuvor ob seiner Liebe zu Artemis von der eifersüchtigen Aphrodite einem tödlichen Spiel ausgesetzt wurde, meldet sich als eine Art Proto-Homunculus zurück, sehr langsam wird er seines Schicksals gewahr und erkennt die unfreiwillige Liebe der Stiefmutter Phaedra. Auch in diesem Jenseits kämpfen übrigens Phaedra, Artemis und natürlich Aphrodite weiter um ihn.

    Erst ganz am Schluss erscheint der Minotaurus als Monstrum ex Machina und bereitet dem 'Spuk' ein Ende: Ja, das Schicksal der Sterblichen sei bisweilen seltsam und auch böse Kräfte gebe es, aber man lebe am besten einfach halbwegs vergnügt weiter, so lang es eben geht.
    Die eigenwillige Dramaturgie dieser, wie Henze sagt, Konzertoper stellt große Herausforderungen an die Regie. Insofern ist Stephan Müllers vorsichtige, teilweise recht installative, Herangehensweise vermutlich das einzig Richtige, wirklich großes Musiktheater entsteht so allerdings auch nicht.

    Sehr erfreulich war die musikalische Umsetzung der sehr bunten Partitur, Mark Foster animierte das Luzerner Sinfonieorchester zu ebenso präzisem wie dynamischem Spiel. Henze verwebt eine Vielzahl von Idiomen zu oft eher kammermusikalischen Passagen, einerseits klingt vieles luftig-transparent, andererseits gibt es reichlich schiefes Blech und grobes Schlagwerk inklusive Asiengongs. Die Gesangslinien sind, vor allem bei den Damen, von exquisiter Qualität.

    Olga Privalova stattete die Titelfigur mit hinreißendem Schmerzensmelos aus, Utku Kuzuluk überzeugte als Hippolyt, Sumi Kittelberger gab die Aphrodite mit knisternder Vokalerotik und dazu adäquatem Spiel. Eigenwillig ist die Besetzung der Artemis durch einen Countertenor, hier punktete Yaniv d'Or mit formschöner Phrasierung und dem Verzicht auf allzu schrille Töne. Boris Petronje schließlich gab den Minotaurus mit wunderbarem Orgelbass.