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Im Visier des Staates

Die EU-Kommission hat sie dazu verpflichtet: In Europa müssen Mobilfunk- und Internetanbieter Verbindungsdaten für sechs Monate speichern. Polizei und Geheimdienst können die Daten nutzen. In Polen tun sie das offenbar ohne jede Kontrolle.

Von Florian Kellermann | 18.05.2011
    Piotr Nisztor ist Redakteur der Zeitung "Rzeczpospolita". Sein Spezialgebiet: nicht öffentliche Informationen sammeln. Vor einiger Zeit recherchierte er in einem Fall von Korruptionsverdacht bei der polnischen Armee. Dabei berichtete er auch über ein Ermittlungsverfahren der Militär-Staatsanwaltschaft. Die Informationen hatte er vertraulich erhalten.

    Als Piotr Nisztor dazu von der Staatsanwaltschaft verhört wurde, sie wollte den Informanten herausfinden, traute er seinen Augen nicht. Die Ermittlerin zeigte ihm ein Blatt: Die Staatsanwaltschaft hatte sich seine sämtlichen Handy-Verbindungen aus den Tagen seiner Recherche besorgt.

    "Das war meiner Ansicht nach ein klarer Rechtsbruch. Die Staatsanwaltschaft hat das Journalistengeheimnis verletzt, das gesetzlich geschützt ist. Ich unterhalte mich mit vielen meiner Informanten am Telefon, und häufig bitten sie, das Gespräch vertraulich zu behandeln. Deshalb ist das Journalistengeheimnis für mich so wichtig."

    Die Militär-Staatsanwaltschaft will sich zu dem Vorgang nicht äußern. Piotr Nisztor hat inzwischen Strafanzeige gestellt. Als Journalist kann er sich zumindest gegen den Zugriff auf seine Privatsphäre wehren, wegen des gesetzlich garantierten Informantenschutzes. Für die meisten Polen gilt das nicht. Auf ihre Handydaten haben die Staatsorgane in Polen beinahe unbegrenzten Zugriff, so die Polizei, die Geheimdienste, die Staatsanwaltschaft, die Steuerbehörde und der Grenzschutz.

    Und diese Möglichkeit nutzen sie ausführlich: Im vergangenen Jahr fragten sie 1,4 Millionen mal Daten bei Mobilfunk- und Internetbetreibern ab, ein neuer Rekordwert.

    Als diese Zahl vor kurzem bekannt wurde, ging ein Aufschrei durch die Reihen der polnischen Datenschützer. Polen - das Land, in dem der Große Bruder Wirklichkeit wird, titelten Zeitungen in Anlehnung an die Zukunftsvisionen des Schriftstellers George Orwell vom allgegenwärtigen Überwachungsstaat. Artur Pietryka von der Warschauer Helsinki-Stiftung für Menschenrechte:

    "Handydaten zu bekommen, ist für die Polizei sehr leicht. Im Polizeigesetz heißt es nur, dass dies im Zusammenhang mit einem Verbrechen stehen muss. Als Verbrechen gilt schon eine Sachbeschädigung, wenn der Schaden umgerechnet 65 Euro übersteigt. Außerdem gibt es keine Kontrolle solcher Zugriffe, sonst würde die Polizei wahrscheinlich nicht so oft Handydaten abfragen. Das größte Problem aber ist in unseren Augen, dass die Ermittler diejenigen Personen, über die sie Daten sammeln, darüber noch nicht einmal informieren müssen."

    Niemand weiß also, zu welchem Zweck die Untersuchungsorgane 1,4 Millionen mal Daten abfragten - und zwar sensible Daten. Neben den Verbindungsnachweisen fragten die Ermittler auch danach, wo sich Personen zu bestimmten Tageszeiten aufhielten. Mobilfunkbetreiber können das verfolgen, weil sich Handys immer dort, wo sie sich befinden, mit einer Antenne des Betreibers verbinden, mit der sogenannten Basisstation. Artur Pietryka:

    "Ein Ermittler bekommt also auch sehr private Informationen. Er kann zum Beispiel feststellen, mit wem sich die untersuchte Person getroffen hat. Dabei kann herauskommen, dass jemand eine Geliebte hat oder sich an Orten aufhält, die ihn kompromittieren."

    Die Regierungspartei "Bürgerplattform" von Ministerpräsident Donald Tusk trat vor vier Jahren mit dem Versprechen an, die Rechte der Bürger zu stärken. Datenschützer sehen bisher aber nur ganz kleine Fortschritte. So gibt es inzwischen mehr Statistiken über die Operationen von Polizei und Geheimdiensten, etwa, wie viele Personen abgehört wurden. Die alarmierenden Zahlen zu den Handydaten haben Donald Tusk immerhin veranlasst, eine Expertengruppen zu bilden. Sie soll die bestehenden Gesetze überprüfen.

    Der Zeitungsredakteur Piotr Nisztor glaubt jedoch nicht daran, dass sich in Polen schnell etwas ändern wird. Trotzdem hat er für seine Strafanzeige gegen die Militär-Staatsanwaltschaft die Hoffnung noch nicht aufgegeben.

    "Die zivile Staatsanwaltschaft hat es abgelehnt, überhaupt ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Ich habe Widerspruch eingelegt. Jetzt muss sich zeigen, ob die Staatsanwaltschaft ihren Feind wirklich in uns Journalisten sucht, in denjenigen also, die Missstände aufdecken."