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Im Vorfeld der Gefahr

Frankfurt am Main, Mainzer Landstraße, nur ein paar hundert Meter vom Hauptbahnhof entfernt. Hier haben sich indische Software-Firmen niedergelassen, Fluggesellschaften aus aller Welt bieten Billigflüge an, die Schnellrestaurants offerieren orientalische Spezialitäten.

Von Ludger Fittkau | 10.03.2004
    Hier, im multikulturellen Herz der Main-Metropole, betreibt Reinhard Marx sein Anwaltsbüro. Seit Jahren hat sich der Jurist auf Asylverfahren und allgemeines Ausländerrecht spezialisiert. Der 11. September 2001, die Anschläge auf das New Yorker World-Trade-Center und das Pentagon in Washington, haben seine Arbeit als Rechtsanwalt verändert.

    Die deutschen Antiterrorgesetze beeinflussen inzwischen in vielen Fällen Asylverfahren oder auch Einbürgerungsanträge, stellt Reinhard Marx in der alltäglichen Praxis fest. Zum Beispiel durch die wesentlich größeren Kompetenzen von politischer Polizei und Geheimdiensten in den Asylverfahren:

    Das ist eine Ausuferung der Kompetenzen, der Eingriffsmöglichkeiten, und es zerstört ja auch das notwendige Vertrauen der Flüchtlinge in die Instanzen, die über den Antrag befinden. Wir bekommen das ja nicht so schlagartig mit, die Rechtskultur wandelt sich immer langsam.

    Zu diesem Wandel der Rechtskultur haben die Antiterrorgesetze für Reinhard Marx eindeutig beigetragen. Sie haben für ihn eine Tendenz verstärkt, die er im deutschen Ausländerrecht schon seit Jahren beobachtet:

    Ausländer werden hierzulande zunehmend ausschließlich mit polizeirechtlichen Mitteln behandelt. Die Gefahrenabwehr bestimmt immer mehr das Denken der Behörden, mit denen Ausländer hier zu tun haben, kritisiert der Frankfurter Anwalt. Den Ausländern wird auf den Ämtern vielfach mit administrativer Kälte begegnet:

    Die brauchen nur einmal eine Frist versäumt haben, einen Tag zu spät zur Behörde kommen, dann sind sie sofort vollziehbar ausreisepflichtig. Auch wenn sie 20 Jahre lang hier gelebt haben. Da sehen Sie dieses Sicherheitsdenken, dieses starre, bürokratische polizeirechtliche Denken, was den Ausländern eine Integration in die hiesigen Verhältnisse sehr, sehr erschwert.

    Doch genau dieser Integration sollte das Ausländerrecht in Deutschland eigentlich dienen. Daran erinnert der Gießener Rechtsprofessor und ehemalige hessische Landesdatenschützer Friedrich von Zezschwitz. Das Ausländerrecht sei zwar historisch aus dem Polizeirecht entstanden, aber:

    Man kann nicht sagen, dass es reines Polizeirecht ist. Sondern es war immer auch die Erwägung, die jetzt bei den Beratungen im Vordergrund stehen: wie weit lassen wir Ausländer in das Bundesgebiet einreisen?

    Mit den Beratungen meint von Zezschwitz den aktuellen politischen Streit um ein Einwanderungsgesetz. Auch hier spielt das Thema des polizeilichen Handelns im Vorfeld einer möglichen terroristischen Gefahr eine Rolle. Vor allem die CDU/CSU-Opposition bekräftigt die schon nach dem 11.September 2001 erhobene Forderung, Ausländer schon bei dem Verdacht abschieben zu können, sie könnten eine terroristische Vereinigung unterstützen. Wolfgang Bosbach, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion:

    Uns geht es darum ,die Möglichkeit im Ausländerecht zu schaffen, dass wir Ausländern schon dann die Einreise nach Deutschland verweigern, bzw. wenn sie sich schon im Inland aufhalten, den Aufenthalt zu beenden, notfalls durch Abschiebung, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass jemand einer terroristischen Vereinigung angehört oder eine solche unterstützt.

    Ein Beispiel dafür, worum es Bosbach geht, liefert ein Gerichtsverfahren in Hamburg, das vor wenigen Wochen für Schlagzeilen sorgte:

    Der Staatsschutzsenat des Hamburger Oberlandesgerichtes sprach am 5.Februar den Marrokaner Abdelghani Mzoudi vom Vorwurf frei, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein und Beihilfe zum Mord in über 3000 Fällen geleistet zu haben .

    Mzoudi war vorgeworfen worden, sich als Mitglied der islamistischen Hamburger Studentengruppe um den Attentäter Mohammed Atta an den Vorbereitungen der Anschläge am 11.September 2001 beteiligt zu haben.

    Im Zweifel für den Angeklagten - so begründete das Hamburger Gericht den Freispruch für Mzoudi. Terroristische Handlungen, so der Vorsitzende Richter Klaus Rühle, konnten nicht bewiesen werden.

    Die Bundesanwaltschaft hat Revision angekündigt. Der Hamburger Noch-Innensenator Dirk Nockemann von der Partei Rechtsstaatlicher Offensive will Mzoudi möglichst schnell abschieben. Das findet auch die Zustimmung des CDU-Rechtspolitikers Wolfgang Bosbach:

    Denn Mzoudi ist ganz unstreitig ein ganz gefährlicher Mann. Er hat eng mit den Terroristen kooperiert. Ich lass jetzt mal offen, ob er von den Anschlagsplanungen wusste oder nicht, er war in Afghanistan, er hat sich ausbilden lassen, hat eine Schießausbildung absolviert. Meines Erachtens würden diese Punkte schon rechtfertigen, Ausweisung und Abschiebung, denn ich kenne keinen vernünftigen Grund, warum wir einen solchen gefährlichen Extremisten weiter in Deutschland dulden sollten.

    Für Wolfgang Bosbach liefert der Fall Mzoudi Argumente dafür, dass die deutschen Terrorbekämpfungsgesetze immer noch nicht scharf genug formuliert worden sind:

    Nach der geltenden Rechtslage muss ein Beleg vorliegen für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder der Unterstützung einer solchen. Beleg ist, mit Verlaub, nichts anderes als Beweis. Beweisen kann man aber eine Tat wahrscheinlich erst dann, wenn bereits ein Attentat geschehen ist. Unserer Überzeugung nach muss das Gesetz dahingehend geändert werden, dass eine Ausweisung schon dann erfolgen kann, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt oder einer solchen Vereinigung zuarbeitet, mit ihr kooperiert.

    Die Legalisierung einer solchen so genannten ”Verdachtsausweisung” könnte durchaus an bestimmte Regelungen im deutschen Strafrecht anknüpfen, glaubt der renommierte Giessener Rechtsprofessor Friedrich von Zezschwitz.

    Wir haben so einen Begriff in der Strafprozessordnung schon, den hinreichenden Tatverdacht. Das ist die Schwelle, bei der die Staatsanwaltschaft mit Ermittlungen anfängt. Aber diese Schwelle könnte man natürlich auch bei Ausländern theoretisch anwenden, dass man sagt: Wenn ein hinreichender Tatverdacht vorhanden ist, ohne dass der schon manifest ist, dann ist eben der Punkt gekommen, wo abgeschoben werden kann. Aber Gesetz ist das nicht, und deswegen geht es nach geltendem Recht nicht.

    Und das muss auch so bleiben, glaubt Volker Beck, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Bundestag. Der Staat habe die Pflicht, den Terrorismusverdacht in einem rechtsstaatlichen Verfahren zu erhärten:

    Ich finde immer, dass der Staat die Pflicht hat, wenn er einen Verdacht hat, dann auch die Tatsachen zu ermitteln. Das heißt nicht, dass jemand verurteilt sein muss wegen terroristischer Straftaten, sondern das, was ihn in das terroristische Umfeld zurechenbar macht, das müssen Beweise sein, die auch gerichtlich überprüfbar sind. Es kann nicht sein, dass es ausreicht, dass jemand glaubt, dass jemand irgendwo dazugehört, dann fliegt er außer Landes, obwohl sich hinterher rausstellt, das ist alles nicht wahr gewesen und dem Menschen ist unrecht geschehen. Wir müssen auch sehen, dass wir nicht wegen einer Terrorismushysterie hier Menschen erhebliche Nachteile für ihre Lebensplanung zufügen.

    Terrorismushysterie - die kann auch dazu führen, dass der Begriff des Terrors auf Gruppierungen ausgeweitet wird, die vor dem 11. September zwar mit dem Etikett 'Politischer Extremismus’ gekennzeichnet, aber eben nicht als Terror-Gruppen bezeichnet wurden. Diese Erfahrungen macht zumindest Anwalt Reinhard Marx in seiner Praxis. Zu ihm kommen immer häufiger Menschen, die rechtliche Probleme haben, weil sie zum Umfeld extremistischer Gruppen gerechnet werden, die jetzt unter Terrorverdacht stehen. Das gelte inzwischen für viele radikale politische Gruppen aus dem türkischen und arabischen Raum, so Marx:

    Nicht alles ist Al Quaida. Und da sehen sie auch, wie das ausfranst. Da ist eine Al Quaida, die mit Sicherheit gefährlich ist, und dann differenziert man nicht mehr unter den verschiedenen Organisationen. Zum Beispiel die TDKP in der Türkei hat noch nie Gewalt angewandt, schließt es aber auch für einen historischen Zeitpunkt nicht aus. Während die PKK ihren Kampf immer mit Gewalt geführt hat.

    Wo hört politischer Extremismus auf, und wo fängt Terrorismus an? Das ist keine akademische Frage, sondern ein Thema, das für den Umgang des Rechtsstaates mit Ausländern in Deutschland entscheidend ist, meint der Gießener Rechtsgelehrte Friedrich von Zezschwitz:

    Das ist natürlich eine riesige Dunkelzone. Welche Gruppierung ist nun terrorismusverdächtig und welche nicht. Und Sie kennen es ja aus allen Medien eigentlich, dass da riesige Spielräume vorhanden sind. Die einen, etwa Beckstein, sagen, die und die Gruppe aus dem islamistischen Bereich ist bereits terrorverdächtig, und andere sagen: die haben noch nichts gemacht, und die Führung als solche distanziert sich, und dann kann man jedenfalls die Gruppe als solche noch nicht verbieten. Also da ist ein großes Dunkelfeld wahrscheinlich vorhanden, was sehr unzureichend in Deutschland aufgeklärt ist bisher.

    Aufklärung soll nun vor allem der Verfassungsschutz leisten - Ausländer in Deutschland werden künftig immer mehr mit dem Geheimdienst zu tun bekommen. In enger Absprache mit den Staatsschutzabteilungen der Polizei soll der Verfassungsschutz den Ausländerbehörden und Gerichten zuverlässige Informationen darüber liefern, welche Ziele Islamisten in Deutschland verfolgen. Der Geheimdienst musste nach dem 11. September dazu allerdings erst einmal die organisatorischen Bedingungen schaffen. Friedrich von Zezschwitz, der bis 2003 als hessischer Beauftragter für den Datenschutz auch den Verfassungsschutz des Landes kontrollierte, erklärt, warum hier aus seiner Sicht großer Nachholbedarf bestand:

    Das liegt ein bisschen daran, dass der Verfassungsschutz sich im Rahmen der Inlandsaufklärung sich lange Zeit ausschließlich der rechtsradikalen Szene gewidmet hat. Und diese Bereiche Islamismus und ähnliches, mehr oder weniger –nicht ganz ausgeblendet- aber doch als zweiten oder dritten oder vierten Posten nur behandelt hat. Und jetzt ist man nach 2001 auf eine stärkere Überwachung dieser Bereiche gegangen, und das wird zur Folge haben, dass man neue Erkenntnisse bekommt und dass man sehr viel präziser sagen kann, wer ist Terrorismus-anfällig und für wen ist das völlig unproblematisch.

    Die stärkere Rolle des Verfassungsschutzes bei Angelegenheiten des Asyl- und Ausländerechtes kann in der Praxis entscheidend für die Frage sein, ob jemand ein Aufenthaltsrecht in Deutschland bekommt oder nicht. Oder ob jemand deutscher Staatsbürger werden kann oder nicht. So kommt es zunehmend vor, dass bei Anträgen auf Einbürgerung Geheimdienstinformationen maßgeblich sein können. Auch diese Erfahrung macht der Frankfurter Rechtsanwalt Reinhard Marx:

    Also ich bekomme es in Einbürgerungsverfahren mit. Dann werden dubiose Erkenntnisse des Verfassungsschutzes zitiert, gegen die sich die Betreffenden zunächst mal gar nicht wehren können, um den Einbürgerungsanspruch abzuweisen. Und ich habe jetzt einen Fall, da ist die Mandantin auf einer Großdemo am 1. Mai, und da waren auch PKK-Flaggen. Und sie hatte irgendwie ein Tuch um, was die kurdischen Farben hatte. Und reicht schon aus zunächst mal, dass man ermittelt. Es ist unglaublich!

    Als Anwalt habe er gerade mit der Rolle des Verfassungsschutzes in ausländerrechtlichen Verfahren das Problem, dass ihm nicht alle Informationen des Geheimdienstes zugänglich gemacht werden. Auch wenn die Gerichte in der Regel mit Ermittlungsergebnissen von Geheimdiensten besonders vorsichtig umgehen, trage die größere Rolle der Verfassungsschützer nicht gerade zur Transparenz des Verfahrens bei, kritisiert Marx zum Beispiel bei Asylanträgen:

    Das halte ich für einen Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze, dass Behörden auf Grundlage von Erkenntnissen, die nicht zugänglich sind, gegen die man sich nicht wehren kann und die auch der Betroffene gar nicht einsehen kann, dass auf Grundlage einer derartigen Erkenntnislage so weit reichende Eingriffe vorgenommen werden.

    Dennoch ist die stärkere Rolle der Verfassungsschützer in ausländerrechtlichen Angelegenheiten auch im politischen Berlin inzwischen weitgehend unumstritten - dafür haben die Anschläge von 11. September 2001 gesorgt. Polizei und Geheimdienste sollen mit ihrer Arbeit auch dazu beitragen, dass aufwändige Verfahren verkürzt werden - und im Zweifel schneller abgeschoben werden kann. Gefahrenabwehr  dieser Auftrag gibt den geheimen Ermittlern große Spielräume. Wolfgang Bosbach, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU:

    Hier geht es nicht um die Frage, in dubio pro reo, im Zweifel für den Angeklagten, weil es hier nicht um eine strafrechtliche Würdigung geht. Sondern hier geht es um Gefahrenabwehr, und da hat man bei der Interessenabwägung, auf der einen Seite haben die Bürger ein Interesse, vor Terroristen geschützt zu werden, auf der anderen Seite gibt es das Interesse auf weiteren Aufenthalt oder Einreise nach Deutschland. Bei dieser Interessenabwägung müssen die Sicherheitsinteressen des Landes Vorrang haben.

    Auch die Grünen, die noch vor ein paar Jahren für die Abschaffung der Geheimdienste plädierten, akzeptieren nun die neue Rolle des Amtes bei der Beobachtung der Ausländer in Deutschland. Dennoch dürfe es nicht zu einer ausufernden Gesinnungsschnüffelei kommen, warnt Volker Beck, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Bundestag:

    Es kann nicht allein auf Gesinnungsfragen ankommen. Es mag sein, dass jemand fernab des Terrorismus ist und trotzdem politisch wirre Ansichten vertritt. Da muss man schon unterscheiden. Wenn man das nicht tut, treibt man denen die Leute eher zu, als dass man hier zu einer Differenzierung kommt.

    Und auch der Unionspolitiker Bosbach weiß, dass auch die Ergebnisse von Geheimdienstermittlungen im Zweifel der Überprüfung vor Gericht standhalten müssen:

    Es darf natürlich nicht Verleumdung sein, es darf nicht üble Nachrede sein. Die Tatsachen müssen stimmen. Wenn man also beispielsweise weiß, dass jemand an einer Terrorausbildung teilgenommen hat, sich um den Ankauf von Sprengstoff bemüht, dann müssen diese Tatsachen stimmen.
    Um diese Tatsachen zu bekommen, sind nach dem 11. September 2001 neue Regelungen ins Ausländerrecht aufgenommen worden, die eine starke Ausweitung der Erfassung und Speicherung biometrischer Merkmale von Ausländern ermöglichen. Auch hier werden polizeiliche Methoden wie die Erfassung von Fingerabdrücken oder DNA-Proben zum alltäglichen Handwerkszeug des Ausländerrechts, meint Friedrich von Zezschwitz:

    Was neu ist, ist die Erfassung von biometrischen Daten in sehr viel erweiterter Form, als das bisher der Fall war. Bisher wurden schon die Asylsuchenden mit biometrischen - insbesondere Fingerabdruck – Merkmalen erfasst. Und zwar gar nicht sehr, um nun Verbrecher zu fangen. Sondern einmal, weil die Asylsuchenden in der Regel, wenn sie abgeschoben wurden, ihren Pass wegwarfen und unter anderer Legende wiederkamen.

    Ursprünglich sei es dabei auch um ein Instrument gegen den so genannten "Asylmissbrauch" gegangen - die Praxis einer bestimmten Gruppe von Asylsuchenden, in mehreren Ausländerämtern gleichzeitig Sozialhilfe zu beantragen:

    Dann konnte man sie erkennen anhand der Fingerabdrücke. Das war der erste eigentliche Grund, diese biometrischen Merkmale bei Asylsuchenden zu erfassen, und dann ist das ausgeweitet worden auf die Ausländer insgesamt im Zuge der Terrorismusgesetzgebung des Jahres 2001.

    Dass solche Maßnahmen die Gefahr mit sich bringen, das Ausländerrecht künftig weitgehend den Erfordernissen polizeilichen Handelns unterzuordnen und die Ausländer zu "gläsernen Menschen" zu machen - diese Sorge hat CDU-Politiker Wolfgang Bosbach nicht:

    Nein, diese Gefahr sehe ich nicht. Denn ein Zweck, nicht der Hauptzweck, nicht der alleinige Zweck, aber ein Zweck des Ausländerrechts ist ja auch die Gefahrenabwehr.

    Diese Gefahrenabwehr seit dem 11. September immer mehr in das Vorfeld einer konkreten Gefahr zu legen - dagegen hat auch Volker Beck grundsätzlich nichts einzuwenden. Wenn grundlegende Sicherheitsinteressen des Landes berührt sind, will auch der Rechtsexperte der Grünen im Bundestag den hinreichenden Tatverdacht als Vorraussetzung für eine Abschiebung akzeptieren:

    Ich finde schon, dass man das Recht hat, Leute zurückzuschieben in Länder, wo sie herkommen, wenn sie hier Deutschland als Operationsgebiet für die Vorbereitung terroristischer Handlungen nutzen. Das müssen wir nicht hinnehmen, und da muss es nicht erst zu einer Verurteilung kommen, es reicht auch aus, wenn jemand wissentlich Geld für Terroristen sammelt, das muss ausreichen, selbst wenn das Geldsammeln als einzelne Tat womöglich gar nicht in direktem Sinne strafbar ist oder die strafrechtliche Verurteilung nicht so leicht hinzukriegen ist.

    Aber reicht Geldsammeln für eine Gruppe, die gewaltförmige oder terroristische Ziele verfolgt, wirklich aus, um jemanden abzuschieben? Der Rechtsprofessor von Zezschwitz macht auf ein Problem aufmerksam, das sich in diesem Zusammenhang immer wieder stellen wird. Das Problem des guten und des bösen Terrorismus:

    Das ist in der Tat ein Problem, denn wir haben lange Zeit alles, was sich etwa gegen die kommunistische Diktatur an Bewegungen richtete, kräftig, nicht nur mit Geld, sondern auch mit Ideologie und wer weiß was allem unterstützt, würden das wahrscheinlich, wenn wir zum Beispiel die Diktatur des Irak vor uns sehen, auch bezogen auf derartige Staaten tun. Da kommt man in große Schwierigkeiten der Definition, was ist guter und was ist böser Terrorismus?

    Das ist nur eine der offenen Fragen, die nach Meinung des Frankfurter Rechtsanwaltes Reinhard Marx dazu führen müssen, mit Abschiebungen als Mittel der Terrorbekämpfung sehr vorsichtig umzugehen. Eine andere, vielleicht in Zukunft noch entscheidendere Frage ist: Wo hört strenge islamische Religiosität auf, und wo beginnt ein Islamismus, der politisch gefährlich werden könnte? Wie schwierig es für Polizei und Justiz ist, im Vorfeld einer terroristischen Gefahr Wachsamkeit zu demonstrieren, ohne dabei rechtsstaatliche Grundsätze zu gefährden, zeigt sich in der Praxis vor allem beim politischen Asyl: Denn das Grundrecht auf Asyl kann wegen der polizeirechtlichen Maßnahmen zur Terror-Prophylaxe schnell jede noch vorhandene Schutzwirkung verlieren. Das kann Menschen treffen, für die politischer Schutz durch die Bundesrepublik lebenswichtig ist. Volker Beck von Bündnis 90/ Die Grünen:

    Grundsätzlich muss es dabei bleiben, dass der Verdacht nicht ausreichen kann für Sanktionen, sondern dass man dem Staat, auch wenn man in das Leben von Ausländern eingreift, die Beweislast auferlegt, zu beweisen, dass von diesen Menschen eine Gefahr ausgeht. Und man muss ihnen die Möglichkeit geben, den Verdacht zu widerlegen.

    Eine Rechtskultur, die auf Verdachtsmomenten statt auf Beweisen beruht – davor warnen auch Juristen wie Reinhard Marx, die tagtäglich mit den Problemen des Ausländer- und Asylrechts konfrontiert sind:

    Und die meisten Organisationen, die im Asylverfahren eine Rolle spielen, sind islamische Organisationen. Und da besteht schon strukturell die Gefahr, dass im Grunde genommen fast alle Organisationen dann in Verdacht geraten und auch entsprechend den Sicherheitsbehörden Verbindungen zu solchen Organisationen mitgeteilt werden.

    Gerade Abschiebungen oder Ausweisungen in Krisengebiete aufgrund eines Verdachtes, wie vor allem aus der Union gefordert – das trage nicht gerade zu einem ausländerfreundlichen und weltoffenen Klima bei, glaubt der Frankfurter Anwalt. Denn das Vertrauen der Ausländer in den deutschen Rechtsstaat, so Marx, sei zur Zeit schnell zu zerstören. Zum Beispiel beim Asylverfahren:

    Und das verdirbt, denke ich, das vertrauensvolle Klima, das erforderlich ist, für eine unvoreingenommene Behandlung des Asylgesuchs, das wird dadurch zerstört. Das ist die Verschiebung vom repressiven Rechtsstaat zum Präventionsstaat. Die Gefahr muss nur überdeutlich gezeichnet werden, ohne dass sie jemand genau definieren kann, und dann ist alles erlaubt.