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Im Zeichen der Apokalypse

Christliche Fundamentalisten rufen zum Mord an Ärzten auf, die sich an Abtreibungen beteiligen, islamische Fanatiker feiern den Mord an den Opfern des 11. September, jüdische Orthodoxe rechtfertigen den Mord an Palästinensern als fromme Tat – alles im Namen Gottes, Allahs oder Jahwes. Die militante Auseinandersetzung um die Mohammed-Karikaturen hat den Streit der monotheistischen Religionen um den Alleinvertretungsanspruch auch wieder auf die politische Tagesordnung gesetzt.

Ein Beitrag von Bernd Leineweber. Redakteurin am Mikrofon: Karin Beindorff | 13.02.2006
    Die Idee der multikulturellen Gesellschaft sei gescheitert, heißt es hierzulande, kulturelle und religiöse Differenzen seien nur zum Preis der Anpassung überbrückbar, Leitkultur müsse zum verbindlichen Maßstab gemacht werden, eine Leitkultur, die mehr umfasse als die demokratische Verfassung. In diesen Forderungen schwingt immer mit, dass anderen Kulturen, insbesondere der islamisch-arabischen, die Fähigkeit zu demokratischem Denken und Handeln per se abgesprochen wird.

    Erzkonservative Katholiken, die mit Zähnen und Klauen die männliche Alleinherrschaft in der Kirchenhierarchie verteidigen, kritisieren nun die fehlende Gleichberechtigung islamischer Frauen. Dabei könnte ein Blick in die eigene christliche Geschichte und Gegenwart leicht zeigen, dass es mit der aufgeklärten religiösen Toleranz in Europa und den USA auch nicht immer weit her war und ist. Gerade in den USA, der westlichen Führungsmacht, nimmt der Einfluss der Evangelikalen ständig zu und mit ihnen der Glaube an biblische Prophezeiungen und Endzeitmythen. Mit dem apokalyptischen Wahn und seinem Einfluss auf Politik, Glauben und Terror in allen drei monotheistischen Religionen befasst sich das neue Buch von Victor und Victoria Trimondi. Bernd Leineweber hat "Krieg der Religionen" für uns gelesen:

    Beitrag Bernd Leineweber

    Das Buch zum Film – unter dieser Rubrik könnte man das vorliegende Buch besprechen, wenn man nicht bestimmte Bilder in den Nachrichten als Realität nehmen müsste: Der "Krieg der Religionen", wie der Titel lautet, ist kein Film, sondern er scheint tatsächlich stattzufinden. Jedenfalls ist dieser Titel mittlerweile zur Schlagzeile avanciert, was bis vor kurzem noch undenkbar war. Denn, so versicherten Politiker, Wissenschaftler und gemäßigte Vertreter der Religionen schon, als der weniger umstrittene Begriff des "Kampfs der Kulturen" mit dem Terrorismus als neuer Form des Krieges in Zusammenhang gebracht wurde, es handle sich bei diesem Phänomen nicht um einen Krieg zwischen den Kulturen oder gar Religionen. Es gehe vielmehr um wirtschaftliche und politische Auseinandersetzungen zwischen den reichen Ländern des Westens und den armen Ländern vornehmlich des arabisch-islamischen Raums. Die Menschen in diesem Raum würden aus geopolitischen und historischen Gründen und wegen des israelisch-palästinensischen Konflikts besonders empfindlich auf die westliche Hegemonialstellung reagieren.

    Die gegenwärtige Debatte zeigt zur Genüge, dass es nicht leicht ist, sich in dieser Frage ein Urteil zu bilden. Umso hilfreicher kann das vorliegende Buch sein, weil es Stellung bezieht. Die Autoren gehen von seriösen Erhebungen aus jüngster Zeit aus, wonach 59 Prozent der US-Amerikaner überzeugt sind, dass wir in der von der biblischen Apokalypse angekündigten Endzeit leben, und ein Viertel glaubt, der 11. September sei in der Bibel vorausgesagt worden. 63 Prozent aller US-Bürger betrachten die Bibel als das wörtlich zu verstehende "Wort Gottes", d.h. als Geschichtsbuch über die realen Ereignisse der Menschheitsentwicklung von ihren Anfängen in der Schöpfung bis zu ihrem Ende durch verheerende Vernichtungskriege und dem Sieg des Messias über den Anti-Christ. Die Bibel gilt als Handlungsanweisung - auch für Politiker. Daher halten die Trimondis der These vom "Modernisierungsrückstand" oder der "Modernisierungsblockade", in der sich der arabisch-islamische Raum befinde, entgegen:

    "Angesichts des politisch so entscheidenden Einflusses, den die christlichen Fundamentalisten in der amerikanischen Gesellschaft haben und auf die US-Politik ausüben, reicht es nicht mehr hin, den Krieg mit dem islamischen Fundamentalismus als einen Konflikt zwischen einer progressiven, säkularen Modernen auf der einen Seite und einer regressiven, religiösen Tradition auf der anderen zu definieren."

    Im Hinblick auf die Kriegssituation, in der sich die USA nach Aussage ihrer politischen Führung nach dem 11. September 2001 befinden, muss also den Autoren zufolge zumindest auch von einem Religionskrieg gesprochen werden. Wie sich die bibelgläubige Endzeitstimmung des christlichen Fundamentalismus zu den anderen ausgesprochenen und unausgesprochenen Kriegsgründen im Nahen und Mittleren Osten verhält – der weltweiten Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen in den Händen von so genannten Schurkenstaaten, dem Schutz Israels, den machtpolitischen Interessen der USA, der Verfügungsgewalt über die Ölreserven in der Region -, darüber sagen sie nichts. Aber obwohl sie keine Analyse des fundamentalistischen Phänomens in diesem Buch vornehmen, sondern ein weithin unbekanntes Quellenmaterial zu den fundamentalistischen Positionen der drei monotheistischen Religionen vorlegen wollen, ist es dennoch ein politisches Buch: Sie werben nämlich dafür, die Religionen als politischen Faktor genauso ernst zu nehmen wie nichtreligiöse weltanschauliche Systeme. Diese Systeme, wie der Kommunismus und der Faschismus, teilten die Welt ebenfalls in Gut und Böse auf, riefen zur Eliminierung der politischen Gegner auf - und hegten, wie im Fall des Faschismus, apokalyptische Vorstellungen und wollten den endzeitlichen Kampf um die Weltherrschaft herbeiführen. Auf das Verschwinden der entsprechenden politischen Systeme von der weltpolitischen Bühne folgten, so die Trimondis, radikalisierte religiöse Bewegungen und Organisationen, die von ihren Anhängern ebenfalls eine uneingeschränkte, dem zivilgesellschaftlichen Selbstverständnis des Westens provokativ entgegengehaltene Gewaltbereitschaft zur Durchsetzung ihrer Ziele fordern.

    Die Politik, besonders im fundamentalistisch bisher wenig angekränkelten Europa, müsse sich also über das Wesen der Religionen aufklären. Das Buch liest sich in der Tat wie eine späte Blüte der Religionskritik der Aufklärung. Wie wenig diese überholt, sondern im Gegenteil buchstäblich brandaktuell ist, spürt man, wenn man sich bei der Zeitungslektüre in das Zeitalter der Kreuzzüge oder der Religionskriege versetzt sieht. Wie die Politiker warnen auch die Autoren die Theologen, die eschatologische Seite der drei monotheistischen Religionen, ihre fast identische "apokalyptische Matrix", nicht aus einem humanistisch schöngefärbten Verständnis der Religionen auszugrenzen. Zu diesen Religionen, so ihre These, gehört die Gewaltbereitschaft zur Vernichtung der Andersgläubigen ebenso wie eine Ethik der Toleranz und der Brüderlichkeit. Alle Versuche, die "apokalyptische Matrix" mit ihrer dualistischen Entgegensetzung von Gut und Böse und ihrer göttlich sanktionierten Aufforderung, das Böse mit allen Mitteln zu vernichten, als unchristlich, unjüdisch oder unislamisch auszugrenzen, spielen dem Fundamentalismus in die Hände. Für alle monotheistischen Religionen gilt, dass der jeweilige Gott keinen anderen neben sich duldet. Werde diese Seite der Religionen unterschlagen, können sich fundamentalistische Gruppierungen als Vertreter des wahren, unverkürzten Glaubens profilieren und sich unter bestimmten sozialen und politischen Bedingungen umso stärker Gehör verschaffen. Gerade auch die Weltökumene der Kirchen und Religionen setze sich mit diesem Aspekt der Religionen nicht auseinander. Den Trimondis zufolge

    "geht die Weltökumene von dem folgenden Szenario aus: Die in ihrem Kern guten, humanen und aufgeklärten Religionen stehen einer inhumanen, korrupten, säkularen Gesellschaft gegenüber. Der religiöse Terrorismus wird als ein Missbrauch der Religion aufgrund nicht-religiöser Motive denunziert und mit diesem Argument ausgegrenzt. Keiner möchte auf den großen, interreligiösen Treffen die gewaltbereiten und destruktiven Lehrinhalte der Glaubenstraditionen kritisch hinterfragen, miteinander vergleichen … und gemeinsam nach Auswegen und langfristigen Lösungen suchen. … Die Begründung einer pax humana aus einem allen Religionen zugrunde liegenden gemeinsamen humanistischen Wertekodex erweist sich bei einer näheren Hinsicht als eine Täuschung, wenn sie nicht mit einer klaren Distanzierung von den menschenverachtenden Inhalten bestimmter Passagen aus den Heiligen Texten einhergeht."

    Um welche Passagen aus der Bibel, der Thora und dem Koran es sich handelt und was zeitgenössische Apokalyptiker daraus machen, das kann man in diesem Buch, der bisher ausführlichsten Dokumentation zu diesem Thema im deutschen Sprachbereich, nachlesen: eine Lektüre, die ebenso das Gruseln lehrt wie die Bilder vom 11. September!

    Bernd Leineweber besprach "Krieg der Religionen" von Victor und Victoria Trimondi, erschienen im Wilhelm Fink Verlag. Das Buch hat 597 Seiten und kostet 39,90 Euro.