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Im Zeichen des Tanzes

Jedes Jahr im Sommer finden in der schottischen Hauptstadt Edinburgh die Internationalen Festspiele statt. Drei Wochen lang Oper, Kunst, Musik, Theater und Tanz. Langweilig und wenig neu kam Christian Spucks Ballett "Die Rückkehr des Odysseus" daher. Ganz anders hingegen die lange nachwirkenden Bilder der katalanischen Compagnie von Cesc Gelabert.

Von Wiebke Hüster | 25.08.2009
    Selten kam ein Ballett mit einem anspruchsvolleren Sujet dämlicher daher als Christian Spucks "Die Rückkehr des Odysseus". Alle Elemente dieser Aufführung sind auf die Erfüllung eines unterdurchschnittlichen Unterhaltungsanspruchs ausgerichtet. Der Stuttgarter Hauschoreograf Spuck muss irgendwo im Keller seines Verstandes gesessen haben, als er dieses Ballett entwarf.

    Entstanden für das ausgezeichnet tanzende Ensemble des Königlichen Balletts von Flandern, mogelt sich das Stück um seinen Erwartungen weckenden Titel mit altbackenen Tanztheaterscherzen herum und verbreitet ansonsten eine nicht näher klassifizierte Melancholie. Zur hochkulturellen Untermalung der Probleme von Odysseus' allein gelassener Gattin Penelope erklingen Häppchen aus verschiedenen Opern Henry Purcells.

    In dunkle Anzüge von der Stange gekleidet umkreisen die Freier Penelope, die auf halber Spitze leidet und ihr rot gefärbtes Haar wirft, als wär's ein Stück von Pina Bausch. Die Freier sind alle gleich langweilig und so verwechselbar, dass man am Ende nicht mehr weiß, was sie nun mit welchem von ihnen genau hatte – manche dürfen sie auf den Rücken legen, andere nicht ...

    Weil irgendein Restgespür für Ödnis den Choreografen davon abgehalten hat, die Besetzung allein aus Penny und den sieben Langweilern bestehen zu lassen, kommt noch eine hysterische Tante im goldenen Kostüm vor, die wohl Athene darstellen soll und ab und zu watschelt unter Szenenapplaus ein Mann in nichts als einem Tutu, Schwimmflossen und Taucherbrille über die Bühne. Irre witzig! Diese Tanztheaterszenen werden mit Populärmusik des 20. Jahrhunderts atmosphärisch hochgezogen.

    Und dann gilt es da noch ein Corps de ballet zu beschäftigen, für das die Handlung eigentlich keine Aufgaben vorsieht. Macht nichts, nennen wir sie Hofgesellschaft. Die Mädchen tragen kurze Plisseeröckchen und Spitzenschuhe und tanzen so eine Art gedämpften Forsythe-Stil.
    Selten war Eklektizismus so langweilig.

    Das einzige, was man dieser Aufführung zugute halten möchte, ist dass es jedes Stück schwer gehabt hätte, gegen die lange nachwirkenden Bilder der katalanischen Compagnie von Cesc Gelabert anzukommen. Der Choreograf aus Barcelona stellte in Edinburgh sein im Frühjahr uraufgeführtes Händelstück "Conquassabit" und die Premiere "Sense Fi" zu einer Auftragskomposition von Pascal Comelade vor. Gelabert steht jetzt sein 30 Jahren als Tänzer in eigenen Werken auf der Bühne und muss zu den wenigen Ausnahmetänzern unserer Zeit gezählt werden.

    Sein geschmeidiger, eleganter, Stil, in dem sich leidenschaftlich ausgreifende Bewegungen, überraschend aufblitzender Witz und verhaltene Melancholie zu einer ungeheuer ausdrucksreichen und nuancierten Darstellungskunst verbinden, ist einzigartig im zeitgenössischen Tanz.

    In seinen neuen Stücken entlässt er sein Publikum nicht eine Sekunde aus der Aufmerksamkeit für seine bezwingende Gestik. Sowohl "Sense Fi" - "Ohne Ende" - als auch "Conquassabit" thematisieren die schöpferische Macht im Zentrum spannungsreicher Kräfte. Wie einen Schatten zieht Gelabert einen Tänzer anfangs hinter sich auf die Bühne, einen Schatten, der dann seine Bewegungen ganz übernehmen wird, sodass der Choreograf wieder im Dunkel verschwinden kann. "Sense Fi zeigt die kampflose Variation dieses Prozesses. "Conquassabit" - was soviel wie Schütteln, Konvulsionen, aber auch Beschleunigung bedeutet, ist das dramatische Gegenstück dazu.

    Die Musik fährt wie ein Sturm über die Bühne, Gelabert tanzt entfesselt im Zentrum und das Ensemble wird zersprengt wie von einem letzten mächtigen Windstoß. Die Arien und Psalmen Händels hat Gelabert nach dem Thema ausgesucht – in ihnen gibt es stets Beschleunigungen und Zurücknahmen.

    Das visuelle Gegenstück dazu bildet Lydia Azzopardis wundervoller riesiger silberner Aushang, dessen gekringelter Stoff eine Patina wie ein sehr altes Gemälde besitzt und so dem Stück eine geheimnisvolle Zeitentiefe verleiht. Wird das schwere Tuch herabgelassen, ist es wie ein Paradiesgarten, den die Tänzer betreten können, um den Stürmen eine Zeit lang nicht ausgesetzt zu sein. Nur für Gelabert, den charismatischen Mittelpunkt der Bühne, gibt es keine Ruhe.

    Unablässig wechselt er die Gestalt, die Dynamik, die Stimmung, vorwärtsgetrieben von einer Ästhetik, die so zwingend ist wie reflektiert, so spontan berührend wie lange nachwirkend.