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Im Zweifel gegen den Angeklagten?

Die Justizminister wollen die sogenannte Sicherheitsverwahrung von Straftätern nach Ende ihrer Haftzeit stärken, hat Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bekannt gegeben. Schon jetzt sitzen 500 Menschen zum "Schutz der Allgemeinheit" in den deutschen Gefängnissen - inhaftiert auf Verdacht.

Von Matthias Becker | 05.11.2009
    "Entscheidend ist die Sicherheit der Bevölkerung. Und ich glaube, gerade bei diesem Punkt spürt man doch eine hohe Sensibilität der Menschen."

    Bei den Koalitionsverhandlungen vor drei Wochen in Berlin: Hinter verschlossenen Türen streiten CDU, CSU und FDP über ihr gemeinsames Programm für die nächsten vier Jahre. In der Arbeitsgruppe für Innenpolitik geht es dabei auch um die sogenannte Sicherungsverwahrung.

    "Wir können ja ohnehin nicht von vornherein jede Straftat verhindern, aber wenn festgestellt worden ist, dass jemand schon mal durch die Vergewaltigung einer Frau, durch den Missbrauch von Kindern aufgefallen ist, zur Rechenschaft gezogen wurde, und wenn dann die Psychiater feststellen, das hat der nicht nur einmal aus einer bestimmten Laune heraus getan, sondern hat eine bestimmte Veranlagung, der ist hochgefährlich, der wird so etwas wieder tun, dann hat die Bevölkerung zu Recht den Anspruch darauf, dass sie davor bestmöglich geschützt wird","

    … so der bayerische Innenminister Joachim Hermann. In den Verhandlungen machte sich Hermanns Partei, die CSU, für die Sicherungsverwahrung stark. Das bedeutet: Wenn ein Gericht davon überzeugt ist, dass ein Straftäter nach seiner Entlassung wieder schwere Straftaten begehen wird, bleibt er in Haft - und zwar so lange, bis er nachweisen kann, dass von ihm weniger Gefahr ausgeht. Das Bundesland Bayern fordert seit Langem, die rechtlichen Anforderungen für die Sicherungsverwahrung zu senken.

    ""In den letzten Jahren haben sich eine Reihe von Fällen in Deutschland ergeben, wo aufgrund von Gesetzeslücken, die der Bundesgerichtshof festgestellt hat, es nicht möglich war, obwohl jemand als extrem gefährlich, auch als rückfallgefährdet eingestuft wurde, trotzdem nicht dann in Sicherungsverwahrung genommen werden konnte. Solche Lücken müssen dringend geschlossen werden!"

    Im vergangenen Jahrzehnt haben die Regierungen von Bund und Ländern immer wieder versucht, "Gesetzeslücken" bei der Sicherungsverwahrung zu schließen - und regelmäßig taten sich neue auf. Oft hatten vor den Gesetzesänderungen brutale Sexualmorde und Kindestötungen die Öffentlichkeit entsetzt - und die Politik reagierte darauf, indem sie die Strafgesetze verschärfte.

    "Die Sexbestie aus dem Internet! Jetzt werden immer Details über das Privatleben des mutmaßlichen Kinderschänders bekannt. Der Mann ist 37 Jahre alt und ..."

    Vor allem die CSU treibt die Ausweitung der Sicherungsverwahrung voran. Viele in der FDP sehen die präventive Haft dagegen eher mit Unbehagen. Im Koalitionsvertrag einigte man sich schließlich auf eine Formulierung, die viel offen lässt. "Schutzlücken" sollen zwar geschlossen werden, aber:

    "Bei der gesetzlichen Regelung werden wir darauf achten, dass die Sicherungsverwahrung unter Berücksichtigung des notwendigen Schutzes der Bevölkerung ihren Ausnahmecharakter behält und auf schwerste Fälle beschränkt bleibt."

    Auch die Justizminister der Länder, die heute Mittag in Berlin zu ihrem Herbsttreffen zusammenkamen, waren sich einig, dass die bestehenden Gesetze Lücken aufweisen. Auf einen Gesetzesentwurf, den die unionsgeführten Länder unter der Führung Bayerns erarbeitet hatten, konnten sich die Minister allerdings nicht einigen. Denn der sah vor, auch Ersttäter leichter in Verwahrung zu nehmen. Dabei ist die wichtigste Voraussetzung für die Sicherungsverwahrung, dass ...

    "die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die Allgemeinheit gefährlich ist."

    So formuliert es das Strafgesetzbuch. Der Verurteilte bleibt wegen seines "Hangs zu erheblichen Straftaten" hinter Gittern, obwohl er seine Strafe eigentlich abgesessen hat. Alle zwei Jahre wird dann von Gutachtern geprüft, ob er weiterhin "für die Allgemeinheit gefährlich" ist. Seit 2004 kann die Sicherungsverwahrung auch nachträglich beschlossen werden. Einer von denen, die zum Schutz der Bevölkerung im Gefängnis bleiben sollen, ist Roman T., Insasse der Berliner Justizvollzugsanstalt Tegel.

    "Ja, ich bin ja wohl der Erste in Berlin mit der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Das wurde beantragt jetzt kurz vor meiner Haftentlassung. Und dann wurde das eben ganz schnell mit Gutachter … zwei Gutachter wurden bestellt. Also ich wär jetzt schon ein halbes Jahr in Freiheit."

    Roman T. ist 45 Jahre alt, ein schwerer Mann mit einer Glatze. Wegen Totschlags an seiner Ehefrau wurde er verurteilt. Seine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren hat er abgesessen. In seinem ursprünglichen Urteil war von einer Sicherungsverwahrung nicht die Rede. Aber die Gutachter und der Richter glauben, dass Roman T. einen Hang zu schweren Gewalttaten hat. Gegen diese Entscheidung legte sein Anwalt Beschwerde ein, aber der Bundesgerichtshof entschied, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung für Roman T. zulässig ist.

    "Sollte das dabei bleiben … ja, was soll man machen? Ich meine, einige, die so jetzt hier mit SV sitzen, die haben sich ja völlig aufgegeben, die siechen vor sich hin. Bloß das ist nicht mein Ding, ich werde weiter meine Arbeit machen, die ich hier habe, die gute Arbeit. Ich bin hier Zahnarzthelfer. Und da sieht man ja schon: Irgendwo stellt man mich als gewalttätig und als Bestie hin, und dann kriegt man im Gefängnis so einen vertrauensvollen Posten."

    Sein Rechtsanwalt, Sebastian Scharmer, will den Fall nun vor das Bundesverfassungsgericht bringen. Scharmer vertritt viele Sicherungsverwahrte in ganz Deutschland. Er ist grundsätzlich gegen diese Form der Freiheitsentziehung.

    "Also Sicherungsverwahrung, das wissen viele auch nicht, schließt sich an die Haftzeit an. Also man hat sozusagen die Strafe völlig verbüßt und sitzt dann präventiv in Haft; eben, um die Bevölkerung vor Straftaten zu schützen, die man als Sicherungsverwahrter begehen könnte. Das ist also immer eine Prognoseentscheidung. Die Prognose ist schlecht, und deswegen ist man präventiv in Haft und zwar eigentlich so lange präventiv in Haft, bis ein Gericht, durch einen Sachverständigen unterstützt, sagt, wir halten jemanden für ungefährlich. Und dass das ein Gericht macht, und dass sich ein Sachverständiger so weit vorwagt, ist eben relativ selten. Deswegen ist es in der Tat so, dass Sicherungsverwahrung bis zum Lebensende gehen kann, und in vielen Fällen übrigens auch geht."

    In etwa der Hälfte der Fälle geht es dabei um vorausgegangene Sexualdelikte. Aber die Maßnahme, die in der Öffentlichkeit eigentlich nur in Zusammenhang mit Vergewaltigung und Mord diskutiert wird, trifft auch andere Täter - darunter Räuber, Diebe oder Betrüger.

    "Beispielsweise habe ich einen Sicherungsverwahrten, der wegen vier Einbruchsdiebstählen verurteilt worden ist und deswegen auch die Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, weil es einfach sehr viele Einbruchsdiebstähle und auch sehr viele andere Taten in seinem Leben gab. Aber eben die Sicherungsverwahrung wurde wegen dieser Einbruchsdiebstählen angeordnet. Und er sitzt nunmehr seit 1993 bis heute in Haft und Sicherungsverwahrung. Wo ich mir die Frage stelle, das wird doch irgendwann auch unverhältnismäßig. Es wird halt alles etwas auf die lange Bank geschoben. Und das Problem ist, es werden halt immer mehr. Die Gefängnisse werden dadurch auch voller werden."

    Gewaltlose Taten machen - je nach Definition und Statistik - zwischen 15 und 35 Prozent der Sicherungsverwahrungen aus. Die Verwahrung kann zu verschiedenen Zeitpunkten beschlossen werden: Sie kann im Urteil enthalten sein. Dann können die Richter die Frage nach Sicherungsverwahrung offenlassen und von der weiteren Entwicklung in Haft abhängig machen. Oder sie kann nachträglich beschlossen werden, wenn sogenannte "neue Tatsachen" darauf hinweisen, dass der Verurteilte gefährlicher ist, als zum Zeitpunkt der Urteilssprechung bekannt. Je nach Zeitpunkt und Delikt unterscheiden sich die rechtlichen Voraussetzungen. Insgesamt steigt die Zahl der Anordnungen stark an, sagt der Kriminologe Michael Alex von der Ruhr-Universität in Bochum.

    "Im Jahr 1996 waren noch 176 Menschen in der Sicherungsverwahrung in der ganzen Bundesrepublik. Dann kam im Jahre 98 das Sexualstraftäterbekämpfungsgesetz, und seitdem steigen die Zahlen kontinuierlich an. Am 31. März 2009 waren wir bei 476 Untergebrachten. Ich geh mal davon aus, dass wir jetzt also etwa bei 500 liegen."

    Die Zahl der Verwahrungen hat sich demnach innerhalb von elf Jahren verdreifacht. Für die Vollzugsanstalten, Gerichte und Gutachter bedeutet das einen erheblichen Mehraufwand. Die Gefährlichkeit der Inhaftierten muss schließlich regelmäßig geprüft werden. Treibende Kraft bei der Expansion der Präventivhaft ist die Politik, nicht die Justiz, sagt Michael Alex. Den Richtern machen die politischen Vorgaben reichlich Schwierigkeiten.

    "Ich glaube, der Bundesgerichtshof ist seit 2004 mit über 50 Fällen befasst gewesen, wo entweder die Sicherungsverwahrung angefochten worden ist oder wo die Staatsanwaltschaft in Revision gegangen ist, weil die Sicherungsverwahrung nicht angeordnet worden ist. Eigentlich sind sich alle einig, dass durch diese Flickschusterei der letzten zehn Jahre die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung dermaßen kompliziert geworden sind, dass eigentlich keiner mehr durchschaut, was da eigentlich alles wie zu regeln ist. Also der Prozess ist im Wesentlichen aus der Politik beeinflusst worden. Also wir haben … Was die Sicherungsverwahrung angeht, streitet man sich drüber, ob wir in den letzten zehn Jahren sechs oder acht Gesetzesverschärfungen gehabt haben, weil auf jeden Einzelfall mit einer neuen gesetzlichen Regelung reagiert wird."

    In der Öffentlichkeit betonen Politiker gerne, dass die Sicherheit der Bevölkerung Vorrang haben müsse vor den Rechten von Verbrechern. Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht haben allerdings auf hohen Hürden für die Sicherungsverwahrung bestanden - entgegen der eigentlichen Absicht des Gesetzgebers. Umstritten ist beispielsweise, wie schwerwiegend die Folgen bei dem Opfer sein müssen, wenn es, wie befürchtet, zu einer neuen Tat kommt. Im Herbst 2008 urteilte das Bundesverfassungsgericht, ein Sexualstraftäter müsse freigelassen werden, obwohl die Gutachter davon ausgingen, dass es wahrscheinlich wieder zu sexuellen Übergriffen kommen werde. Für eine nachträgliche Sicherungsverwahrung sei das aber nicht ausreichend. Für Bernd Carstensen, Sprecher des Bundes der Deutschen Kriminalbeamten, sind solche Fälle symptomatisch.

    "Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass, wenn dieser Sexualtäter wieder einen sexuellen Missbrauch an einer jungen Frau, Mädchen, wie auch immer macht, dass das nicht automatisch schwere körperliche oder seelische Folgen bei dem Opfer auslöst, und das ist ein Kriterium, was erfüllt werden muss, dass man Sicherungsverwahrung wieder anordnen kann. Das ist eine Rechtstheorie, die vom Bundesverfassungsgericht so vertreten worden ist - nach meiner Meinung keine gute Entscheidung."

    Der Verband der Kriminalpolizisten fordert, dass die Sicherungsverwahrung auch dann möglich sein muss, wenn ein Inhaftierter beispielweise eine Therapie verweigert. Vor allem aber müsse die Rechtslage klarer geregelt werden.

    "Ich erwarte von einer Reform, dass sie wirklich handhabbar ist, dass Richter damit gut umgehen können, dass Staatsanwälte damit gut umgehen können. Eine rechtliche Vorschrift, die handhabbar und einfach ist und auch einfach umgesetzt werden kann. Ganz entscheidend muss wirklich sein, welche Gefährlichkeit geht von einem Straftäter zum Zeitpunkt aus, wo er entlassen werden soll."

    Gedacht ist die Sicherungsverwahrung für diejenigen, denen mit den üblichen rechtlichen Mitteln - mit Schuld, Strafe und Buße - nicht beizukommen ist. Ob sie aber auch wirklich nur die Hochgefährlichen trifft, ist umstritten. Der Kriminologe Michael Alex hat 77 Fälle untersucht, in denen sie zunächst nachträglich verhängt worden sind, dann aber von einer höheren Instanz verworfen wurde. Die Personen kamen frei. Aber nach durchschnittlich zweieinhalb Jahre in Freiheit begingen nur fünf erneut schwere Straftaten. 15 standen zwar wieder vor Gericht, kamen aber mit einer Geld- oder Bewährungsstrafe davon.

    "Im Grunde bewegt sich das genau in dem Rahmen, in dem nach Entlassung Menschen wieder straffällig werden. Also bei schwerer Delinquenz werden etwa 15 bis 25 Prozent, je nach Delikt, so schwer rückfällig, dass sie erneut im Gefängnis landen. Aber es ist natürlich völlig klar, man wird sagen, fünf sind fünf zu viel. Umgekehrt heißt das natürlich, um diese Fünf auch noch ausfiltern zu können, hätte man eben auch 70 weiter inhaftiert lassen müssen, die nicht wieder gefährlich sind. Soweit unsere Daten das bis jetzt tragen."

    Was also "erhebliche Gefährlichkeit" bedeutet, von der das Gesetz spricht, ist keineswegs eindeutig. Dreh- und Angelpunkt der Sicherungsverwahrung ist eine Prognose - eine Einschätzung darüber, wie sich der Entlassene in der Zukunft verhalten wird. Diese Einschätzung ist schwierig und bleibt immer unsicher. Letztlich ermitteln die Gutachter statistische Wahrscheinlichkeiten, die sie in Prozentzahlen ausdrücken. Hans-Ludwig Kröber, Leiter der Forensischen Psychiatrie in Berlin, ist einer der bekanntesten und gefragtesten Sachverständigen.

    "Prozentwerte heißen aber im Einzelfall nur, dass ein gewisser Rahmen gesetzt wird. Wenn ich sage, jemand wird mit 30-prozentiger Wahrscheinlichkeit wieder einen Mord begehen, dann haben Sie eine Information, über die Sie lange nachgrübeln können als Richter. Wenn Sie sagen: Ja, 70 Prozent reicht mir. Das heißt natürlich, dass Sie von zehn Leuten, die Sie auf diese Weise entlassen, drei hätten, die wieder einen Mord begehen würden."

    Zusammen mit anderen Wissenschaftlern bemüht Hans-Ludwig Kröber sich darum, die Aussagekraft der Kriminalitätsprognosen zu verbessern. Über eine Freilassung entscheiden zwar wohlgemerkt nicht die Gutachter, sondern Richterinnen oder Richter. In der Praxis aber folgen die meistens den Einschätzungen der Sachverständigen. Denen wiederum ist sehr bewusst, dass eindeutige Vorhersagen über einen Rückfall nicht möglich sind. Dazu kommt: Werden die Entlassenen rückfällig und begehen eine schlimme Tat, dann wird ein tendenziell positives Gutachten zum medialen Skandal. Kröber glaubt, dass der öffentliche Druck auch manche seiner Kollegen beeinflusst.

    "Man exponiert sich viel stärker, wenn man sagt, jawohl, jetzt macht mal weiter oder lasst ihn raus. Bequemer, sicher, risikofreier, risikoärmer ist es, wenn man sagt: Ja, soll der Nächste entscheiden, ich reich den Hut erst mal weiter, lasst das erst mal so. Und dann lasst den nächsten Gutachter entscheiden, ob er nun zusätzliche Freiheiten bekommt. Also dass ein Druck in diese Richtung besteht, kann man sicher nicht verneinen, und wenn man die Gutachten sieht, dann hat man hier und da auch den Eindruck, dass manche diesem Druck auch nachgeben und ängstlicher sind, als es eigentlich von der Sachlage her geboten ist."

    Alle wissenschaftlichen Methoden, um Prognosen zu erstellen, führen sowohl zu "falsch Negativen" - die Gefährlichkeit wird übersehen, der Entlassene wird wieder straffällig - als auch zu "falsch Positiven" - der Gefangene würde keine neue Straftat mehr begehen, bleibt trotzdem in Haft. Die Kunst der Prognose besteht darin, beide Raten möglichst niedrig zu halten. Viele Experten gehen davon aus, dass über der Hälfte der Sicherungsverwahrten nicht wieder zu Tätern werden würde - nur weiß man eben nicht, welche von ihnen. Aber darf man einen Menschen einsperren, weil er ein "Risiko" darstellt? Hans-Ludwig Kröber findet die präventive Haft bei schweren Straftaten vertretbar.

    "Norbert Leygraf, auch ein bekannter forensischer Psychiater, hat das Beispiel gebracht: Ein offener Swimmingpool im Garten ist für Kinder gefährlich. Auch wenn kein Kind reinfällt, ist es trotzdem eine bleibende Gefahr. Und wenn jemand schwere Straftaten begangen hat, ist es eine ihm obliegende Pflicht, dafür zu sorgen, dass seine Gefährlichkeit entweder beseitigt wird oder kontrolliert wird, und insofern habe ich da keine großen Probleme mit zu sagen, wenn das Risiko halt zu groß ist, dann muss er halt bleiben, auch wenn es durchaus sein kann, dass er so vernünftig wäre, keine Straftaten zu begehen, wenn man ihm die Freiheit gewähren würde."

    Das Verfassungsgericht geht davon aus, dass die Sicherungsverwahrung nur dann angemessen ist, wenn der Betroffene in Haft die Chance hat, an seiner Gefährlichkeit etwas zu ändern, beispielsweise durch eine Therapie. Das würde bedeuten: "Behandlungsvollzug" statt "Wegsperren, und zwar für immer". Aber gerade Sicherungsverwahrten wird selten ein Therapieplatz angeboten, kritisiert Klaus Böhm, Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe.

    "Der deutsche Strafvollzug ist einseitig auf die Behandlung in sogenannten sozialtherapeutischen Anstalten ausgerichtet. Da gibt es insgesamt 51 in der Bundesrepublik Deutschland und circa 2000 Behandlungsplätze. Allein die Zahl der Gewalt- und Sexualstraftäter, die pro Jahr in Haft sind, beläuft sich auf 50.000. Meine Erkenntnis aus meiner forensischen Praxis ist, dass gerade Sicherungsverwahrte und Personen, die zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt sind, kaum ein therapeutisches Angebot bekommen."

    Denn Psychotherapien im Gefängnis dienen in der Regel als Vorbereitung auf eine Entlassung - aber die steht bei den Verwahrten eben nicht an. Dabei ist Klaus Böhm davon überzeugt, dass sich das Rückfallrisiko durch geeignete Therapien um die Hälfte senken ließe. Er betont, es gehe vor allem darum, Straftaten zu verhindern und so mögliche Opfer zu schützen.

    "Das können Sie natürlich dadurch erreichen, dass Sie jeden potenziellen Täter auf Dauer wegsperren. Dann verhindern Sie Straftaten. Das ist aber eines Rechtsstaats unwürdig. Sie müssen da den Ausgleich schaffen zwischen Opferschutz und andererseits aber auch zwischen den Rechten von Straftätern, die halt gefehlt haben. Und der Ausgleich kann nicht dadurch erreicht werden, dass man schon bei der ersten Tat also mit der schärfsten Waffe des deutschen Rechts zuschlägt. Und der Ausgleich muss dadurch erzielt werden, dass man bei der ersten Tat alles unternimmt, um die von einer Person ausgehende Gefahr durch gute Therapien zu reduzieren. Und erst wenn das fehlgeschlagen ist, dann ist es einem Rechtsstaat verhältnismäßig, dann muss man über die Sicherungsverwahrung ernsthaft nachdenken."

    500 Menschen sitzen heute zum "Schutz der Allgemeinheit" in den deutschen Gefängnissen. Wahrscheinlich werden es nun mehr werden, wenn es für die Gerichte leichter gemacht wird, die Maßnahme zu verhängen. Dass es nötig wäre, die Gesetze zu vereinfachen und transparenter zu machen, sagen hinter vorgehaltener Hand auch Juristen, die ansonsten über die Vorgaben aus der Politik keineswegs glücklich sind. Aber keine noch so klare Regelung wird das Problematische an der Sicherungsverwahrung aus der Welt schaffen: Sie inhaftiert Menschen auf Verdacht.