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Immer dem Magnetfeld nach

Biologie. – Fledermäuse gehören zu den wenigen Säugetieren, die fliegen können, und darüber hinaus zu den wenigen fliegenden Wirbeltieren, die in der Dämmerung oder nachts aktiv sind. Um sich zurechtzufinden nutzen sie offenbar zwei Navigationssysteme: Für die Nahbereichsortung und Jagd ihr berühmtes Ultraschall-Echolot, für die Orientierung über größere Distanzen ähnlich wie die Zugvögel das Erdmagnetfeld. So berichten es jedenfalls Biologen im Fachblatt "Nature".

Von Michael Gessat | 08.12.2006
    Testkandidat für Richard Holland von der amerikanischen Princeton University war die insektenfressende Große Braune Fledermaus. "Groß" ist dabei allerdings relativ; Eptesicus fuscus, so der zoologische Name, bringt es nur auf eine Rumpflänge von etwa zehn Zentimetern und auf ein Gewicht zwischen 15 und 25 Gramm. Da blieb den Forschern bei der möglichen Technik für die Freilandverfolgung der Flattertiere nicht eben viel Auswahl. Holland:

    "”GPS-Empfänger, die selbst die Position ermitteln und mitprotokollieren könnten, sind momentan zu schwer für alle Tiere, die kleiner sind als eine Taube. Es gibt da auch ein satellitengestütztes System namens "Argos", sehr erfolgreich etwa bei der Erforschung der Albatrosse im Einsatz; das ist auch zu schwer. Und ein GPS-Peilsystem in der Größe einer Uhrenbatterie, wie es im Film "Der Da-Vinci-Code" vorkommt, das existiert leider in Wirklichkeit nicht.""

    Richard Holland klebte den Fledermäusen deshalb Miniaturfunksender mit nur einem halben Gramm Gewicht auf den Rücken. Anschließend wurden sie in der Abenddämmerung ein wenig durch die Gegend gefahren. Und dann in der Dunkelheit, genau 20 Kilometer nördlich von ihrem Schlafplatz freigelassen. Für die Ortung und Verfolgung per Funkpeilung war ein Institutskollege mit Pilotenschein in einem Kleinflugzeug zuständig. Und ganz als wären sie Brieftauben: Die ersten fünf flogen schnurstracks südwärts, Richtung Heimat. Zwei weiteren Fledermausgruppen wurde die Sache so einfach nicht gemacht. Die Biologen setzten sie bis zu ihrem Abflug, eine Dreiviertelstunde vor bis eine Dreiviertelstunde nach Sonnenuntergang, einem Magnetfeld aus. Einem gedrehten Magnetfeld: Für die erste Gruppe wich es um 90 Grad im Uhrzeigersinn vom realen magnetischen Norden ab. Für die zweite Gruppe genau umgekehrt, um 90 Grad gegen den Uhrzeigersinn. Auch diese Tiere flatterten nach der Freisetzung schnurstracks los, nur jetzt in verkehrte Richtungen: die erste Gruppe nach Osten, die zweite nach Westen. Holland:

    "”Und das ist sehr interessant: Wenn die Fledermäuse nur einen magnetischen Kompass benutzen und den nicht anhand des Sonnenuntergangs kalibrieren würden, dann wären sie, einmal aus dem künstlichen Magnetfeld heraus, einfach wieder zur Normalität übergegangen. Und wären dem normalen Verlauf des natürlichen Magnetfelds gefolgt und richtig geflogen. Was sie machen, ist also folgendes: Der Sonnenuntergang ist normalerweise ziemlich genau im Westen, und sie gleichen diesen geographischen Bezugspunkt mit der Richtung des Magnetfelds ab.""

    Genau wie Zugvögel übrigens; und das Ganze ist auch sinnvoll, wenn man nicht gerade experimentierenden Wissenschaftlern in die Hände fällt: Die zusätzliche Kalibrierung hilft normalerweise, lokale Magnetfeldabweichungen zu kompensieren; vor allem die so genannte Deklination, die Abweichung zwischen magnetischer und geografischer Nordrichtung. Wie die Orientierung am Erdmagnetfeld anatomisch gesehen funktioniert, das ist auch bei diesbezüglich wesentlich besser erforschten Arten erst ansatzweise geklärt. Manche Tiere haben magnetische Partikel eingelagert und nutzen diese offenbar im Sinne eines Nord-Süd-Kompasses. Bei Vögeln spielt sich die Sache möglicherweise im Auge ab, sie scheinen Magnetfeldlinien gewissermaßen zu sehen. Was die Fledermäuse angeht, kann auch Richard Holland über weitere Details einstweilen nur spekulieren:

    "Bemerkenswert ist, dass manche von unseren Fledermäusen, die zunächst in die falsche Richtung flogen, dies später noch in der gleichen Nacht korrigierten."

    Vielleicht lag es an der relativen Nähe zu ihrem Schlafplatz, dass sie irgendwann das Gelände an bestimmten Merkmalen wiedererkannten. Ob aber schlicht per Auge im Restlicht von Mond oder Sternen, ob per Geruch, per Ultraschall, oder doch wieder per Magnetsinn, an der lokalen Magnetfeldcharakteristik einer Gegend, in der sie schon einmal gewesen waren? Die Biologen tappen hier einstweilen noch völlig im Dunkeln.