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Immer der Nase nach
Der menschliche Geruchssinn ist besser als sein Ruf

Es gibt klare Unterschiede darin, wie Mensch und Tier ihre Umwelt wahrnehmen. Hunde etwa schnüffeln an jeder Ecke, Menschen erfassen die Welt mit einem Blick. Vielleicht sei das auch der Grund, warum der Geruchssinn des Menschen immer noch unterschätzt werde, argumentiert der US-Neurologe John McGann. Er fordert, der Nase mehr Beachtung zu schenken.

Von Sophia Wagner | 12.05.2017
    Eine Nase riecht an dem Verschluss eines Flakons.
    Eine Nase riecht an dem Verschluss eines Flakons. (imago/Steinach)
    "I think my favourite smell is the smell of pine trees in the morning, in the mountains."
    John McGann liebt den morgendlichen Geruch von Kiefern in den Bergen. Der Professor für Neurologie arbeitet an der amerikanischen Rutgers University, in New Jersey. Er erforscht, wie das Gehirn von Säugetieren Gerüche verarbeitet. Dabei wird er immer wieder mit einem alten Mythos konfrontiert: dass der Mensch, im Unterschied zu anderen Säugern, nicht gut riechen kann.
    "Diese Idee scheint von einem französischen Neuroanatom aus dem 19. Jahrhundert zu stammen, Paul Broca. Er hat die Gehirne verschiedener Spezies verglichen, weil er verstehen wollte, was den Menschen besonders macht. Und vor allem hat er sich für den freien Willen interessiert."
    Geruchssinn ist gut vernetzt im Gehirn
    Paul Broca glaubte, dass das triebhafte Verhalten von Tieren von ihrem Geruchsinn kontrolliert wird: Nahrung, Sex, Kampf ums Überleben. Er kam zu dem Schluss, dass Menschen nur deshalb vernünftige Entscheidungen treffen können, weil sie sich in ihrer Entwicklung von dieser Kontrolle befreit haben. Die anatomische Bestätigung fand er in einem vergleichsweise kleinen Bulbus olfactorius. Das ist eine Anschwellung an der vorderen Gehirnbasis, in der die Riechnerven der Nase enden.
    "Das war dann der Anfang einer langen Reihe von Forschung, die in diesem Sinn betrieben wurde. Dabei beruhte die Aussage Brocas nicht auf einer tatsächlichen Untersuchung des Geruchssinns, nur auf der Neuroanatomie und auf Mutmaßungen über den freien Willen und die tierische Natur des Geruchssinnes."
    Brocas Theorie wurde von Anfang an infrage gestellt, wirklich durchsetzen konnten sich die Kritiker bisher aber nicht. Und das obwohl längst klar ist, dass der Bulbus olfactorius des Menschen im Gehirn gut vernetzt ist und keineswegs kleiner, als bei anderen Tieren. John McGann startet jetzt einen neuen Versuch, den menschlichen Geruchssinn zu rehabilitieren. Dafür hat er aktuelle Forschungsergebnisse zusammengefasst.
    "Wir haben Wahrnehmungstests gemacht und dabei festgestellt, dass Menschen praktisch alles riechen können. Und dazu kommt, dass wir auch zwischen einer enorm großen Zahl unterschiedlicher Gerüche unterscheiden können!"
    Gerüche spielen eine wichtige Rolle im Leben
    Direkte Vergleiche von Menschen mit Mäusen und anderen Labortieren haben gezeigt, dass Menschen im Durchschnitt überhaupt nicht schlechter riechen. Es gibt aber anderer Präferenzen: Menschen sind zum Beispiel besonders empfindlich für eine bestimmte Komponente aus dem menschlichen Blut, aber auch für Lebensmittelbestandteile. Hunde können Urinkomponenten gut wahrnehmen.
    Theoretische Modellierungen haben sogar ergeben, dass der Mensch bis zu eine Billion Gerüche unterscheiden kann. Eine Billion! Die Zahl ist allerdings umstritten. Fest steht aber es sind viele und: Gerüche spielen wahrnehmbar eine wichtige Rolle im menschlichen Leben.
    "Als ich ein Kind war, bin ich während einer Operation aufgewacht. Ich erinnere mich noch genau an den Geruch des Narkosemittels. Und wenn ich in eine Reinigung gehe, irgendwas an dem Geruch der Chemikalien dort, erinnert mich an den Geruch des Narkosemittels. Ich kann nicht in Reinigungen gehen, meine Frau muss immer gehen und ich bleibe im Auto, weil mir von dem Geruch richtig schlecht wird."
    Studien haben gezeigt, dass die Verbindung von Gerüchen mit Erinnerungen und der Bewertung von Situationen beim Menschen stark ausgeprägt ist.
    Verlust des Geruchssinns wird oft nicht als Problem ernstgenommen
    Dazu passt, dass die Geruchsinformationen direkt vom Bulbus olfactorius an die Amygdala weiter geleitet werden. In der Amygdala laufen Prozesse ab, die für die emotionalen Bewertung und Wiedererkennung von Situationen wichtig sind. Informationen aus Augen und Ohren werden dagegen zuerst in der Thalamus Region vorgefiltert. Diese Eindrücke sind also nicht so unmittelbar, wie Gerüche.
    "Es ist nicht immer offensichtlich, weil es sich oft unterbewusst abspielt. Aber jede Person hat ihren eigenen Geruch und es ist klar, dass dieser Geruch die Personen um uns beeinflusst. Was Attraktivität angeht, aber auch andere Dinge, zum Beispiel, ob jemand ängstlich ist. Es ist ja ein alter Witz, dass man Furcht riechen kann. Vielleicht ist es kein Witz!"
    Trotz des Einflusses auf soziale Interaktionen und die Erinnerung wird ein Verlust des Geruchssinns von Ärzten oft nicht als Problem ernstgenommen. Deshalb gibt es momentan auch nur sehr wenige Behandlungsmöglichkeiten. John McGann will mit seinem Artikel verdeutlichen, dass Gerüche auch für den Mensch eine wichtige Informationsquelle sind, wenn wir sie verlieren, leidet am Ende auch die Lebensqualität.