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Immer weniger Kinder, immer mehr Alte

Immer weniger Junge, immer mehr Alte, die demografische Entwicklung bringt viele Veränderungen mit sich. Wie ändern sich die Beziehungen zwischen den Generationen? Dieser Frage wurde auf einer Tagung des Deutschen Jugendinstituts zum Thema "Kinder und Jugendliche im Generationengefüge" nachgegangen.

Von Isabel Fannrich | 10.11.2011
    Außerhalb der Familie haben Jung und Alt gegenwärtig eher selten und unfreiwillig miteinander zu tun. Die Psychologin Sigrun-Heide Filipp hat solche zufälligen Begegnungen inszeniert, aber auch internationale Versuche ausgewertet. Sie interessiert die Frage, wie Menschen verschiedenen Alters, die sich nicht kennen, miteinander kommunizieren. Wie wird einem 70jährigen geantwortet, der nach dem Weg fragt? Wie einem 30jährigen? Wie erklärt ein Verkäufer dem jungen und dem alten Menschen einen Radiowecker?

    Die Tests ergaben, dass die Älteren anders behandelt und häufig mit einer sogenannten sekundären Babysprache angeredet wurden, erzählt die Professorin von der Universität Trier. Dabei ließen sich die jüngeren Versuchspersonen in ihrer Sprechweise unbewusst von einem negativen Altersstereotyp leiten:

    "Das bedeutet konkret, dass sie sich eine sehr patronisierende, also eine sehr vereinfachende und eher von oben herab gerichtete Sprechweise angewöhnt haben ober anlegen, weil sie offenbar davon ausgehen, dass ältere Menschen eher Defizite haben im Hören, im Verstehen, vielleicht auch Defizite haben in der Informationsverarbeitung. Und all dieses ist (...) nicht bewusst, sondern das ist Teil des negativen Altersstereotyps. Und dann spricht man lauter, dann spricht man langsamer, dann wiederholt man die Sätze, dann hat man eine sehr einfache grammatische Struktur et cetera."

    Kurze Sätze, eine hohe Tonlage, distanzlose Berührungen. Der fremde alte Mensch werde nicht für voll genommen. Wissenschaftler wie Filipp sprechen von einem Teufelskreis, weil sich die Senioren der äußeren Wahrnehmung anpassen. Die Defizite, die andere bei ihnen vermuten, stellen sich ein: Sie fühlen sich alt.

    Tatsächlich erreichen Frauen und Männer heute ein höheres Alter, was nach Meinung der Psychologin eine Gefahr birgt.

    "Und in dem Moment, wo alte Menschen immer älter werden, dann entsprechen sie ja auch sehr viel stärker diesem negativen Stereotyp, nämlich dass sie in der Tat hilfebedürftig sind oder nicht mehr gut verstehen etc. und kognitive Einbußen haben bis hin zu demenziellen Erkrankungen. Und in dem Maße, wo das Alter seine negativen Seiten mehr und mehr offenbart, auch jetzt im zeitlichen Verlauf, um so mehr werden die nicht-alten Menschen natürlich auch dazu eingeladen, sich in einer so altersstereotypisierten Weise gegenüber den alten Menschen zu verhalten."

    Dem widerspricht Sabine Walper, Professorin für Pädagogik an der Ludwig-Maximilians-Universität München:

    "Da denke ich muss man sehen, dass in früheren Zeiten, noch vor wenigen Jahrzehnten, Leute gleichen Alters weitaus weniger gesund und fit waren, als das heute der Fall ist. Also insofern: Selbst wenn die ältere Generation jetzt nach chronologischem Alter älter ist, ist sie in aller Regel noch in einem wesentlich besseren Zustand, ist gesünder, ist fitter, als das vor 50, 60 oder gar 100 Jahren der Fall war."

    Auf der Tagung lautete eine der zentralen Fragen, was die Generationen in einer stark altersseggregierten Gesellschaft noch miteinander verbindet. Leben Jung und Alt schon in zwei verschiedenen Welten?

    "Also getrennte Welten heißt ja ganz einfach, dass es ganz wenige gemeinsame Anliegen gibt zwischen diesen Altersgruppen und dass es wenige gemeinsame Ziele gibt, dass es wenig gemeinsame Vorstellungen von einem guten Leben gibt. Das kann man ja wunderbar illustrieren daran, dass Sie zum Beispiel außerhalb der Familien ja kaum altersgemischte Freizeitgruppen haben. Die einzigen Freizeitgruppen, wo Alt und Jung sich einigermaßen verträgt und auch trifft und vielleicht auch wirklich mit gemeinsamen Zielen interagiert, ist wenn Sie in ein Fußballstadion gehen."


    In ganz anderer Weise funktioniert allerdings der intergenerationale Kontakt in der Familie. Zwar leben nur noch selten drei Generationen unter einem Dach, und nur bei einem guten Drittel der Familien wohnen die Großeltern in leicht erreichbarer Nähe. Trotzdem werde der Kontakt in den meisten Fällen gepflegt, sagt Sabine Walper:

    "In Deutschland sind die Beziehungen insgesamt sehr solidarisch und eng – mit Variationen, die es natürlich auch gibt. Aber im Großen und Ganzen fühlt sich die ältere Generation doch auch sehr verantwortlich für die jüngere. Es fließt viel Geld im Moment auch noch von oben nach unten. Das heißt die vergleichsweise gut gestellten Senioren investieren viel in die nachwachsende Generation, und da speziell auch in die Enkelkinder Geld, das für besondere Anschaffungen, für Auslandsfahrten (...) ausgegeben wird. Aber auch immer wieder so kleine alltägliche Zuwendungen oder die Aufbesserung des Taschengeldes."

    Die inner- und außerfamilialen Generationenbeziehungen sind in Deutschland bislang kaum erforscht.

    Zu untersuchen wäre, was die eine Seite der anderen zu bieten hat, und wie beide ihre Beziehung gestalten. Allein von großelterlicher Seite finden sich sehr ungleiche Voraussetzungen. Einerseits sind manche Großmütter und -väter noch vergleichsweise jung. Sie stehen im Beruf und können den Jüngsten nur wenig Zeit widmen. Andererseits sind in manchen Familien die Geburtsabstände zwischen den Generationen sehr groß. Die alten Großeltern kämpfen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen.

    Über finanzielle, zeitliche und gesundheitliche Ressourcen hinaus spielt auch die Qualität früherer Familienbeziehungen eine Rolle. Und wo Eltern im Normalfall eine Brücke bauen zwischen ihren eigenen Eltern und ihren Kindern, kann eine Trennung oder Scheidung diesen Kontakt belasten oder gar beenden.

    Veraltete Klischees über das Miteinander der Generationen sollten über Bord geworfen werden, fordert die Pädagogin Walper:

    "Wir haben ja oft so die Vorstellung, dass in früheren Zeiten die Generationen viel solidarischer zusammengelebt haben, viel enger miteinander verknüpft und verbandelt waren und dass da viel mehr Austausch stattfindet. Das kann man so ohne Weiteres gar nicht sagen. Sondern eher ist es so, dass durch die gestiegene Lebenserwartung heute die Generationen eine größere Chance haben, sich überhaupt wechselseitig zu erleben. Ein ganz wichtiger Punkt. Und der zweite ist auch: Dieses nicht auf den selben Haushalt zusammen gezwungen zu sein, ist auch eher eine Chance. Das ist auch etwas, was die ältere Generation bevorzugt, sozusagen die Nähe auf Distanz. "

    Der demographische Wandel und die sozialen Veränderungen greifen ineinander und verstärken sich gegenseitig. Weil weniger Kinder geboren werden, kümmern sich im Extremfall jeweils zwei Großmütter und -väter um einen Enkel. Durch Trennung, Scheidung und Stieffamiliengründung können jedoch weitaus mehr Großeltern dazu kommen. Sie werden für das Kind – bestenfalls - zum Ansprechpartner.

    "Von daher haben wir ja heute sowohl eltern- als auch großelternreiche Kinder, die sehr stark im Mittelpunkt auch für die ältere Generation stehen. Das sind aber Dinge, über die wir tatsächlich noch sehr viel mehr wissen müssten, wo wir auch noch mehr gezielte Forschung brauchen in Deutschland, um zu erkennen: Was daran ist eine gute Entwicklung, auch eine Ressource für die Kinder? Und wo wird es auch zu viel?"

    Aufgrund des Fachkräftemangels werden die Jüngeren zukünftig noch mobiler sein, die Älteren möglicherweise länger arbeiten. Damit sich Jung und Alt generell nicht noch mehr aus den Augen verlieren, müssen kreative Vorschläge her. Sigrun-Heide Filipp:

    "Wenn man das schafft, also Stichwort Fußball sage ich immer, dass man eine gemeinsame Klammer hat, oder dass alle gemeinsam den Park in Ordnung halten wollen, weil der mit so viel Unrat versehen ist. Und dass alle sagen, so, wir wollen unser Dorf schöner machen, da ist es völlig egal, wie alt jemand ist, der sich daran beteiligt. Das sind so Dinge, und da muss man möglicherweise sich noch ein bisschen mehr einfallen lassen, um diese Klammer der Gemeinsamkeit über die Generationen zu schaffen."