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Immun gegen die Pharmalobby

Während Politiker und Krankenkassen Maßnahmen gegen Ärztekorruption fordern und so die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern wollen, wendet sich die Berliner Charité an die zukünftigen Ärzte: In einer speziellen Seminarreihe werden Medizinstudenten im Umgang mit Pharmavertretern geschult.

Von Jens Rosbach | 03.01.2013
    Berliner Charité, im Bettenhochhaus der berühmten Klinik. Philipp Briem, 24 Jahre alt und Medizinstudent, eilt zu einem ungewöhnlichen Seminar: einem Seminar über die Tricks der Pharma-Lobbyisten. Das Thema brennt dem zukünftigen Arzt unter den Nägeln.

    "Man merkt es ja andauernd im Krankenhaus oder in den Arztpraxen kommen sie vorbei. Und auch die Studenten werden schon beeinflusst. Es gibt ja kleine Geschenke, Kugelschreiber oder mal ein Glühwein umsonst oder solche Geschichten auf jeden Fall. (Reporter: Selbst erlebt?) Ja, selbst erlebt, hier an der Charité. Da gibt’s dann halt ein Stand irgendwie vor einem Unterrichtsgebäude, wird dann eben Glühwein ausgeschenkt und man kann sich für gewisse Newsletter oder solche Geschichten dann anmelden."

    Im Seminarraum – hoch über der Berliner City – referiert ein Dozent in rotem T-Shirt, aufgerissenen Jeans und Trekking-Schuhen: Linus Grabenhenrich, 34 Jahre alt. Der Kinderarzt und Allergieforscher klärt über Geheim-Studien der Arzneihersteller auf.

    "Wir als Fachöffentlichkeit wissen gar nichts über diese Daten. Die schlummern in irgendeinem Pharma-Datenarchiv. Die liegen irgendwo. Die sind auch nicht öffentlich."

    Verschwundene Forschungsarbeiten, dubiose Studien-Designs und aufgebauschte Statistiken – Grabenhenrich warnt die Studierenden nicht nur vor unseriösen Praktiken der Industrie. Sondern auch vor Ärzten, die sich für das Medikamenten-Marketing einspannen lassen. Der Dozent hat das mehrfach selbst erlebt.

    "Wo ich selbst als junger Arzt in der Blutgerinnungs-Sprechstunde war, wo relativ viel Geld fließt und viele Pharmafirmen auf mich zukamen und gesagt haben: Ja, ich bezahle Ihnen gerne mal auch ne Reise nach hier und dort für einen Kongress oder wissenschaftlichen Vortrag oder so was. Man fühlt sich natürlich geschmeichelt als Experte da mitkommen zu dürfen. Wundert sich dann, dass man in der Business-Class mitfliegen darf. Und begreift nicht, warum ich als junger Arzt, der eigentlich gar keine große Entscheidungskompetenz im klinischen Alltag hat, trotzdem mit relativ viel Aufwand bedacht werde."

    Die Berliner Pharma-Wächter wissen: Mitunter bieten die Lobbyisten den Ärzten sogar bares Geld an. Die Mediziner sollen dafür – angeblich - Daten über die Wirksamkeit von Präparaten erheben. Oder sie erhalten gut dotierte Beraterverträge. Im vergangenen Jahr versuchte sogar eine Arzneifirma, den Leiter der kritischen Seminarreihe, Peter Tinnemann, zu ködern. Dem Gesundheitswissenschaftler wurden 400 Euro geboten, damit er eine Stunde lang ein "Experten-Interview" gibt.

    "Eine charmante Dame, die mich am Telefon sehr freundlich angesprochen hat. Und 400 Euro, die man nebenbei mal eben so verdienen kann, ohne dass irgendjemand etwas davon mit bekommt."

    Bezahlte Beraterverträge, bezahlte Kongresse - der 45-jährige Experte ist entsetzt, dass sich Ärzte sogar die eigenen Fortbildungen von der Industrie finanzieren lassen.

    "Ich kenne eigentlich keine andere Berufsgruppe, die das so auf die Spitze treibt. Die meisten Medizinerinnen und Mediziner erwarten, wenn sie zu einer Fortbildung gehen, dass danach noch ein Essen umsonst serviert wird und man am besten noch schick eingeladen wird und Ähnliches. Und das geht eigentlich gar nicht. Wir müssen unabhängige Fortbildungen haben."

    "Wir gucken uns da jetzt mal an. Könnt Ihr noch mitdenken?"

    Die Seminarreihe "Advert Retard" - "Langanhaltende Werbung" - wurde vor dreieinhalb Jahren an der Charité entwickelt - als Wahlpflichtfach für das Medizinstudium. Neben der Analyse von Forschungsarbeiten stehen auch Berichte praktizierender Ärzte auf dem Programm, die Erfahrungen mit Lobbyvertretern haben. Projektleiter Tinnemann ermutigt seine Medizin-Studenten, auch den eigenen Fachbereich unter die Lupe zu nehmen. Vor allem, wenn Professoren - indirekt - Werbung für Arzneimittel machen.

    "Und dann natürlich mit dem Hinweis, Ihr könnt ja mal Euren Dozenten fragen, was ja immer ganz spannend ist, der hat im Seminar oder bei der Vorlesung den Handelsnamen verwandt. Warum verwendet er nicht den Wirkstoffnamen? Fragt ihn doch mal, wie er dazu kommt! Und die Studierenden dann auch ihre Dozierenden fragen: Haben Sie eigentlich Interessenkonflikte? Und dann stehen die da und wussten dann zum Teil nicht: Muss ich jetzt in einer Vorlesung meine Interessenkonflikte deklarieren? Das sind schon interessante Momente."

    Doch nicht jeder Studierende traut sich, Professoren zu kritisieren. So wie Max Brauner, ein 22-jähriger Seminar-Teilnehmer.

    "Naja, weil man ja auch noch so einen Respekt vor dem Dozenten hat. Die sind ja schon in der Machtposition. Gerade wenn das so der Professor ist. Kann es ja auch schon mal geschehen, geschieht hier auch, dass man aus dem Seminar fliegt oder so. Und dann muss man da schon bei dem ein oder anderen aufpassen, also so sehr sehr kritische Fragen, die so persönliches Versagen ja dann irgendwie auch indirekt dem Dozenten vorwerfen, sind glaube ich schwierig zu stellen."

    "Du hast noch eine Frage!"

    Darf ich im Studium Werbe-Kugelschreiber annehmen? Kann ich später, als Arzt, Pharmavertreter einfach aus meiner Praxis schmeißen? Und: Auf welchen Webseiten kann ich mich unabhängig über neue Medikamente informieren? Fragen, die im Seminar diskutiert werden. Student Philipp Briem, 22, ist zufrieden.

    "Was mir noch ein bisschen fehlen würde, wäre bei einem Termin einen Vertreter der Pharmaindustrie zu hören, weil es läuft im Moment immer darauf hinaus, dass man eher contra ist, die Leute gehen halt contra gegen Pharma. Aber einfach mal einen Pharmareferenten zu haben, der seine Sicht der Dinge erzählt."

    Projektleiter Peter Tinnemann schüttelt den Kopf: Dafür habe die Industrie wohl zu viel Angst.

    "Also wir hatten am Anfang mehrfach versucht, Pharmavertreter, die persönlich bekannt waren, dazu zu gewinnen, mal bei uns zu referieren. Und die haben also jeweils ganz kurzfristig immer abgesagt."

    Auch ohne Pharma-Dozenten zieht das Seminar weite Kreise. So bauen jetzt auch andere Hochschulen, wie in Aachen und Hannover, ähnliche Ausbildungsmodule auf. Immunisiert das wöchentliche Seminar nun tatsächlich gegen das Pharmalobby-Virus? Der 20-jährige Charité-Student Tom Jäger jedenfalls zeigt sich selbstkritisch.

    "Ich bin nicht immun. Aber … ich probiere es zu sein."