Dienstag, 19. März 2024

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Immunabwehr
Die Tricks der Tomaten gegen den Teufelszwirn

Der Teufelszwirn ist eine parasitäre Schlingpflanze. Sie entzieht anderen Pflanzen alles, was sie zum Leben brauchen. Doch bei einer Pflanze beißt sie sich die Zähne aus: Die Tomate erkennt den Feind und initiiert Abwehrreaktionen. Wie diese Superabwehrkräfte genau funktionieren, weiß Markus Albert von der Universität Tübingen.

Markus Albert im Gespräch mit Ralf Krauter | 29.07.2016
    Ein Teufelszwirn wächst windenartig um einen Grashalm
    "Der Teufelszwirn entzieht anderen Pflanzen Wasser, Nährstoffe, auch Zucker oder Carbohydrate", sagt Markus Albert. (imago)
    Ralf Krauter: Der sogenannte Teufelszwirn, der Botanikern hierzulande auch unter dem Namen Kleeseide bekannt ist, ist eine parasitäre Schlingpflanze. Wo sie auftritt, überwuchern netzartige Gespinste die Nutzpflanzen auf Äckern und Feldern – und führen insbesondere in Entwicklungsländern oft zu dramatischen Ernteeinbrüchen. Von Tomatenpflanzen ist allerdings schon länger bekannt, dass sie über effiziente Abwehrmechanismen verfügen, mit denen sie sich vor den Attacken des Teufelszwirns schützen. Wie genau die Tomaten das machen, das haben Forscher der Universität Tübingen jetzt im Detail untersucht und beschreiben ihre Ergebnisse heute im Fachmagazin "Science". Was sind das für Schlingpflanzen, die sich an Tomaten die Zähne ausbeißen.
    Markus Albert: Also, dieser Pflanzenparasit wächst verbreitet im asiatischen Raum, ist aber auch hier in Mittel- und Ost- und Südeuropa beheimatet und war früher sehr oft ein Problem bei Leinanbau, heute ist es hier bei uns in Deutschland ein kleineres Problem, allerdings kann man ihn durchaus noch finden. Und was besonders ist an dieser Pflanze, sie wächst eben ohne Blätter, ohne Wurzel, macht keine Fotosynthese und ist hauptsächlich auf andere Pflanzen angewiesen.
    Krauter: Das heißt, die schlängelt sich um deren Stiel oder Stängel herum und saugt den quasi raus, um an Nährstoffe zu kommen?
    Albert: Ja, ganz genau, sie wächst also so windenartig um die Stängel von anderen Pflanzen, vorwiegend krautigen Pflanzen, und bildet dann Organe aus, mit denen sie sich direkt quasi mit dem Wirt verbinden kann, mit dem Leitgewebe der Wirtpflanze, und entzieht Wasser, Nährstoffe, auch Zucker oder Carbohydrate, also alles, was so eine Pflanze auch zum Leben braucht.
    "Tomate kann sich aktiv gegen diesen Befall von Teufelszwirn wehren"
    Krauter: Was machen jetzt Tomatenstauden, um sich vor diesen Schlingpflanzen zu schützen?
    Albert: Also, es ist schon vor längerer Zeit beobachtet worden, dass die Tomate sich aktiv gegen diesen Befall von Teufelszwirn wehren kann. Das kann man mit bloßem Auge erkennen, da gibt es leichte Bräunungsreaktionen direkt an den Stellen, wo diese parasitische Pflanze versucht, in die Wirtpflanze einzudringen. Das ist so eine Art Korkgewebe, die zum Schutz dient. Und Folge ist auch oft, dass der Parasit abstirbt, also so binnen zwei Wochen sieht man dann, dass diese parasitische Pflanze nicht überleben kann und stirbt, und der Tomate geht es erstaunlich gut.
    Krauter: Das Erstaunliche ist: Die Tomate hat diese Fähigkeit, fast alle anderen Pflanzen haben sie offenbar nicht. Also, warum funktioniert dieses Erkennen und Abwehren dieser parasitären Schlingpflanze nur bei der Tomate?
    Albert: Das war genau die Frage, die wir uns auch gestellt haben. Und wir haben eben aus dem Feld der Pflanzen-Mikroben-Interaktionen, also mit Bakterien und ähnlichen Pilzen, da wissen wir, dass es Mechanismen gibt, dass Pflanzenzellen Feinde erkennen können. Allerdings, die Erkennung von Pflanzen war noch nicht bekannt. Und wir haben dann nach genetischen Analysen herausfinden können, dass ein Rezeptorprotein existiert, speziell in der Tomate, und das kann ganz genau ein Muster erkennen oder eine Struktur, das in dieser parasitischen Pflanze auftritt. Und als Folge von dieser Erkennung kann die Tomate ihre Immunabwehr aktivieren und es kommt dann zu diesen Effekten, die wir mit bloßem Auge beobachten können.
    Krauter: Das heißt, die Tomate verfügt über einen Rezeptor, der auf ein bestimmtes Eiweißmolekül wahrscheinlich reagiert, das diese Schlingpflanzen produzieren oder in ihren Zellen haben?
    Albert: Ganz genau, so sieht es aus. Also, wir haben eine Struktur oder ein Muster, ein Protein, das in der Zellwand von diesen Parasiten auftritt, und dann einen Zelloberflächenrezeptor in der Tomate, der speziell die Struktur erkennt, als fremd erkennt auch, als Feind erkennt und dann einfach diese Abwehrreaktionen initiiert.
    "Dieser Rezeptor, der erklärt das Rätsel noch nicht ganz alleine"
    Krauter: Jetzt hat ein Fachkollege von Ihnen, der Ihre Arbeit kommentiert hat, geschrieben, dass die Entdeckung dieses Rezeptors, der den Tomaten die Feindberührung ja sozusagen anzeigt, ein großer Durchbruch ist, weil er hilft zu verstehen, wie Pflanzen Gefahren in ihrer Umgebung spüren. Könnte man diesen Spürsinn der Tomaten künftig auch anderen Nutzpflanzen beibringen, damit auch die sich vor Attacken schützen können?
    Albert: Also, wir haben da auch eine Reihe von Versuchen gestartet und haben unter anderem zeigen können, dass zumindest bei nah verwandten Pflanzen das funktioniert. Inwieweit wir das jetzt auf andere Nutzpflanzen noch anwenden können, das muss man individuell herausfinden für jede eigene Pflanzenspezies, denn es kann ja sein, dass noch andere Komponenten fehlen. Dieser Rezeptor, der erklärt das Rätsel noch nicht ganz alleine. Also, es gibt durchaus noch weitere Komponenten, die fehlen und die wir auch noch entdecken wollen in weiteren, zukünftigen Arbeiten.
    Krauter: Was glauben Sie, wie weit in der Zukunft liegen mögliche Anwendungen Ihrer Entdeckung in einer künftigen Pflanzenbiochemie?
    Albert: Also, ich denke, in einigen Fällen sollte das sofort funktionieren, das heißt, man könnte wahrscheinlich mit Arbeitsaufwand von einigen Monaten, vielleicht einem Jahr schon Erfolge erzielen. Allerdings ist auch davon auszugehen, dass es andere Fälle gibt, wo das nicht so schnell und einfach funktioniert, da bedarf es natürlich noch weiterer Aufklärungen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.