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Imperium im Netz

Autovermietungen, Restaurants, das aktuelle Kinoprogramm - und das alles auf einen Klick. Google macht es möglich und erstellt anhand gesammelter Daten auf den Nutzer abgestimmte Angebote. Privatsphäre im Netz? Fehlanzeige! Doch ist Google Fluch oder Segen der Informationsgesellschaft?

Von Peter Leusch | 11.11.2010
    "Ich gebe einfach nur Flughafen ein, Google ermittelt automatisch über meine IP-Adresse, dass ich in Paderborn bin, und rankt automatisch Seiten höher, die mit Paderborn zu tun haben."

    Wie die meisten kennt der Paderborner Medienwissenschaftler Theo Röhle die Such-maschine Google aus eigener Erfahrung: Auf die Eingabe Flughafen liefert ihm Google neben den Suchergebnissen eine Liste mit kommerziellen Links: Billigflüge, Autoverleiher, Hotels und ähnliches - alles im Raum Paderborn, alles zugeschnitten auf seine Person. Google denkt buchstäblich mit. Das sei doch prima, meinen viele, - aber diese Art von Intelligenz bezahlt der Nutzer mit einem Stück Privatsphäre, die schrumpft. Theo Röhle:

    "Wenn ich zum Beispiel auf eine Google-Werbung klicke, sei es bei Google selbst oder auf anderen Seiten, wo Google-Werbung geschaltet ist, dann komme ich auf die Seite der Werbetreibenden und meine Klicks auf diese Seiten werden weiterverfolgt bis zum dritten, vierten, fünften Klick in dieser Seite drin, und wenn das passiert, werden all die Daten, die über mich gesammelt werden, das heißt IP-Adresse und ein so genannter Cookie, wo ge-speichert ist, auf welchen Seiten ich vorher war - , wird das alles an die Werbetreibenden weitergegeben."

    Google speichert über einen langen Zeitraum die IP-Adresse des Nutzers, das heißt jene Kennzahl, über die jeder Computer im Netz eindeutig adressiert und auch rückverfolgt werden kann. Aber Google zeichnet nicht nur diese Spuren auf, Google fügt sie auto-matisch zu einem persönlichen Nutzerprofil zusammen. Genau darin liegt seine An-ziehungskraft für die Werbewirtschaft, die Google mit ihren Geldern groß und größer werden ließ - zu einem Informationsgiganten.

    Google will das gesamte Internet erfassen und in einem Index verfügbar machen. Täglich gehen bei Google drei Milliarden Suchanfragen ein, schrieb der "Spiegel" im Januar 2010, die von einer Million Servern in Rechenzentren quer über den Globus verteilt, bearbeitet würden.
    Google hat zweifellos einen neuen Standard gesetzt - für Information und Wissen im digita-len Zeitalter. Aber ist seine Information objektiv?

    Wolfgang Sander-Beuermann, der an der Universität Hannover ein Suchmaschinenlabor leitet, vergleicht Googles Ergebnisse mit denen anderer Suchmaschinen.

    "Alle Suchmaschinen liefern unterschiedliche Ergebnisse, wenn man sich auf eine Such-maschine beschränkt, kriegt man die Ergebnisse, die diese Suchmaschine liefert,
    das Entscheidende ist die Reihenfolge der Ausgabe, üblicherweise guckt man die erste Sei-te der Ausgabe an, und das was auf der ersten Seite erscheint, wird als wichtig wahr-genommen und so ist es auch gedacht von der Suchmaschine. Wenn ich nur eine Such-maschine benutze, dann sehe ich die Informationswelt immer durch die Brille - und die Weltanschauung dahinter - der Programmierer dieser Suchmaschine."

    Was gelangt auf die erste Seite, was landet unbesehen auf Seite 10? Jede Suchmaschine greift wertend ein. Doch was sind die Kriterien? Google verdankte seinen Aufstieg einer neuen Selektionsmethode: der Zahl der Links. Eine Webseite rückte weit nach vorn, wenn viele andere Webseiten durch Links auf sie verwiesen.

    Natürlich konnten Programmierer diese Kenntnis ausnutzen und ihre Seiten künstlich nach vorn lancieren.

    Heute benutzt Google einen geheimen Bewertungsalgorithmus mit vielen Faktoren und weigert sich - durchaus mit gutem Grund - seine Zusammensetzung öffentlich transparent zu machen. Sander-Beuermann fordert deshalb einen anderen Weg der demokratischen Kontrolle:

    "Wenn Suchmaschinen einen bestimmten Marktanteil überschreiten, wie Google mit 93 Prozent in Deutschland, dann müsste es zumindest ein Gremium geben, was in be-gründeten Einzelfällen oder auch stichprobenartig mal in den Algorithmus reingucken kann, und sehen kann, ob das Ergebnis wirklich nur algorithmisches ist, oder ob irgend-jemand aus politischen oder aus konkurrenzökonomischen Gründen und so weiter dieses Ergebnis verschoben hat?"

    Sander-Beuermann beharrt auf einer demokratischen Kontrolle. Denn Google hat schon lange die ökonomische Unschuld seiner Pioniertage verloren, auch wenn man weiterhin das Motto hochhält "Don’t be evil" - "Tu nichts Böses".

    Längst ist aus der reinen Suchmaschine ein breit aufgestelltes Investitionsunternehmen und Medienimperium geworden. Google hat um die zentrale Suchmaschine herum zahl-reiche Internetdienste und -anwendungen hinzugekauft oder selber entwickelt: das Video-portal Youtube, den Nachrichtenservice Google News, Google Maps, Google Books oder den Online-Bilderdienst Picasa.

    Konkurrenten argwöhnen, dass Googles Suchmaschine die Ergebnisliste nach eigenen Konzerninteressen manipuliert.

    "Es gibt diese Beispiele, wo Webseitenbetreiber oder andere kommerzielle Webseiten, die bei Google vorne standen, die dann plötzlich nach hinten gerutscht sind, als Google einen vergleichbaren Service aufgebaut hat, also Seiten, die Konkurrenz für Google be-deutet hätten. Und die Klagen, die momentan bei der Kartellbehörde gegen Google laufen, zielen genau darauf ab, dass Google immer genau dann Seiten von den ersten zehn nach hinten verschiebt, wenn sie selber einen ähnlichen Service aufbauen."

    Das Internet, auf dessen pluralistisch offene Struktur immer verwiesen wird, hat mit Google seinen ersten Monopolisten: Datenkapital, Rechnerkapazität und Finanzgewalt ma-chen Google zu einer Art Supermacht im Netz.

    Ist Google die zeitgenössische Gestalt eines BigBrother der digitalen Welt? Theo Röhle hat sich in seinem gerade erschienen Buch "Der Google-Komplex. Über Macht im Zeitalter des Internets" mit dieser Frage auseinandergesetzt. Sein Resümee lautet: Google stellt eine enorme Macht dar, aber man kann dieses Gebilde nicht mehr im Bild des BigBrother er-fassen, in der Figur des Marionettenspielers, der alle Fäden zieht und dabei Millionen Nutzer nach seinem Willen tanzen lässt.

    "Zwei Sachen sind in dem Bild besonders problematisch, nämlich einmal, dass Macht immer an eine bestimmte Instanz gebunden ist, die zentral von oben irgendetwas steuert, und zum anderen, dass Macht immer repressiv funktioniert, dass immer über jemanden ausgeübt wird und sie immer einen Handlungsspielraum einschränkt. Geht man von dieser Vorstellung aus, dann stellt sich die Frage: Warum passiert so wenig, warum gibt es so wenig Widerstand dagegen, warum lehnen sich Leute nicht dagegen auf, wenn ihre Handlungsfreiheit doch so eingeschränkt ist? Und da denke ich, hilft dieser Machtbegriff, diese Vorstellung von einer Supermacht nicht so gut weiter, sondern wir müssen uns mit dem Begriff noch mal neu auseinandersetzen."

    Der französische Philosoph Michael Foucault hat in seinen Machtanalysen hervorgehoben, dass Macht keineswegs immer repressiv sein muss. Sie ist vielmehr dann erfolgreich, wenn sie Menschen verführt, wenn sie Lust macht mitzuspielen. Google lockt mit vielen Anwendungen, und kaschiert die kommerziellen Angebote mit einem sachlichen wirkenden Stil, wo keine Bannerbildchen oder Werbefenster den Anwender belästigen. Ebenso haben Michael Foucault und auch die Akteur-Netzwerk-Theorie herausgearbeitet, dass moderne Macht nicht wie ein personaler Wille funktioniert, sondern eher wie ein Gefüge, wo viele mitagieren, z. B. die Suchmaschinenoptimierer der werbetreibenden Unternehmen, die auf Googles Weiterentwicklung Einfluss nehmen:

    "Es gibt die Linkanalyse, wo geguckt wird, wie sind die Seiten untereinander verlinkt, und bereits bei diesem Übergang spielen auch andere Akteure eine wichtige Rolle, nämlich die Suchmaschinenoptimierer, die für Unternehmen versuchen die Seiten so zu gestalten, dass sie besonders gut den Kriterien der Suchmaschinen entsprechen.
    Und die Entwicklung wird von diesen Akteuren auch immer wieder angetrieben, weil Google darauf reagieren muss."

    Akteure im Machtgefüge Google sind auch die Nutzer. Sie könnten zum Beispiel auf ande-re Suchmaschinen ausweichen. Sie könnten den Zugriff des Datenkraken einschränken, z.B. indem sie im Browser die so genannten Cookies aussperren, d.h. Google untersagen, auf dem eigenen Rechner Nutzerprofile abzuspeichern.

    Denn das wichtigste Kapital von Google existiert nicht an der Börse, sondern besteht im Vertrauen der Nutzer. Und auf dieser Ebene vermutet Wolfgang Sander-Beuermann die größte Chance, Googles Monopolstellung zu brechen.

    "Konzerne dieser Größe wie Google machen irgendwann Fehler, … der krasseste in letzter Zeit war Streetview und der WLan-Scan, dass die Google-Kameraautos auch die WLans mit aufgenommen haben, auch komplette Emails und Passwörter gespeichert haben usw. - über diesen kleinen Fehler sehen die meisten Nutzer noch hinweg, weil sie davon meist nicht betroffen sind, wenn aber größere Fehler passieren, wenn das Vertrauen schwindet, dann ist der Punkt da, wo die Kleinen, die es hoffentlich dann noch gibt, wo die gerufen sind, Pluralismus zu produzieren, verschiedene Sichtweisen auf die Dinge der Welt in ihren Algorithmen zu programmieren. Alternativen zu schaffen."