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Impfen gegen Krebs
Mit genetischen Tricks gegen kranke Zellen

Ein präventiver Impfstoff gegen Krebserkrankungen - davon träumen Mediziner. Erste Schritte in die Richtung machen derzeit Heidelberger Forscher, die an einem Impfstoff gegen Dickdarmkrebs forschen. Bis ein solcher Impfstoff aber wirklich zum Einsatz kommt, ist es noch ein weiter Weg.

Von Jochen Steiner | 16.11.2015
    Eine Spritze sticht in einen Arm
    Eine Impfung (picture-alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Ein Blick in die Zukunft könnte so aussehen: Die Menschen lassen sich nicht nur gegen Grippe-Viren impfen, sondern gegen alle möglichen Krebsarten. Krebserkrankungen gehören dann der Vergangenheit an. Zugegeben, das ist ein Blick in die ferne Zukunft, und ob es je so kommen wird, ist fraglich. Aber es gibt Forscher, die bereits heute an Impfstoffen gegen Krebs arbeiten. Einer von ihnen ist Magnus von Knebel Doeberitz von der Uniklinik Heidelberg:
    "Sowohl bei den Viren wie auch bei den Krebszellen gibt es Tricks, genetische Tricks, wie sich eine infizierte oder genetisch manipulierte Zelle im Falle der Krebszellen, dem Immunsystem entziehen können. Und das sind ganz verwandte, ganz ähnliche molekulare Mechanismen. Und wenn wir in punkto Krebs viel besser verstehen würden, was genau da passiert, dann werden wir meiner Überzeugung nach mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen wirklich präventiven Impfstoff gegen sehr viele Krebserkrankungen entwickeln können."
    Der Weg dorthin ist noch weit, erste Schritte sind allerdings gemacht.
    Bei der Krebsentstehung kommt es in den betroffenen Zellen zu genetischen Veränderungen, zu Mutationen. Diese interessieren die Wissenschaftler besonders.
    "Wir hatten uns schon Mitte der 90er-Jahre mehr mit einer besonderen Form des erblichen Dickdarmkrebses beschäftigt, bei dem ein Mutationsmechanismus bekannt war, der den DNA-Strang in einer ganz spezifischen Art und Weise in den werdenden Krebszellen verändert."
    Patienten haben den Impfstoff gut vertragen
    Mit den Jahren konnte Magnus von Knebel Doeberitz zusammen mit Wissenschaftlern des Deutschen Krebsforschungszentrums und des Europäischen Labors für Molekularbiologie riesige Datenbanken zum menschlichen Genom durchsuchen, um genau die Gene ausfindig zu machen, die beim erblichen Dickdarmkrebs mutiert waren. Die Wissenschaftler wurden schließlich fündig. Die Mutationen im Erbgut führten in diesem Fall immer dazu, dass die betroffenen Zellen einen längeren Aminosäuren-Strang neu synthetisieren, der für den Organismus komplett fremd war. Schon seit einiger Zeit ist bekannt, dass diese Dickdarmtumoren sehr stark mit Lymphozyten durchzogen sind - ein Hinweis darauf, dass der Tumor eine Immunantwort im Körper hervorrufen könnte. Die Forscher vermuteten deshalb, dass es diese neu hergestellte Sequenz von Aminosäuren ist, ein sogenanntes Peptid, das eine Immunantwort auslösen kann und dem Körper so die Chance gibt, gegen die Krebszellen vorzugehen.
    "Durch die Sequenzinformationen, die wir damals erhalten haben, waren wir dann in der Lage, rein theoretisch Peptide vorherzusagen, konnten dann aber diese Peptide künstlich synthetisieren und konnten die Frage stellen, ob das Immunsystem der entsprechenden Patienten, eine immunologische Antwort gegen diese künstlich vorhergesagten Gene entwickelt hat."
    In einer klinischen Phase-1-Studie wurden 26 Patienten geimpft, die an Dickdarmkrebs erkrankt waren und bei denen alle gängigen Behandlungen wirkungslos blieben. Der Impfstoff enthielt neben einer Flüssigkeit die künstlich hergestellten Proteine.
    "Dabei haben wir gesehen, dass die Patienten, die an solchen Tumoren erkrankt sind, eine starke, ausgesprochen starke Immunantwort gegen diese Proteine, oder Proteinveränderungen, hervorgerufen haben."
    Nach Ansicht der Forscher ist das ein starker Beleg dafür, dass sie bei der Impfstoff-Entwicklung den richtigen Weg eingeschlagen haben. Die Patienten hätten den Impfstoff gut vertragen, so von Knebel Doeberitz. Ob dieser prophylaktisch eines Tages alle erblich vorbelasteten Menschen vor Dickdarmkrebs schützen kann, darüber lasse sich noch nichts sagen. Dafür wären jetzt weitere Studien nötig.