Drehbuchautor über "Nur eine Frau"

Ermordet vom eigenen Bruder

07:21 Minuten
Aynur (Almila Bagriacik) erstattet Anzeige gegen die Bedrohungen ihrer Brüder.
Szene aus "Nur eine Frau": Aynur (Almila Bagriacik) erstattet Anzeige, weil ihre Brüder sie bedroht haben. © Mathias Bothor / NFP
Florian Oeller im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 08.05.2019
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Ein neuer Kinofilm erzählt die wahre Geschichte der jungen Hatun Sürücü, die in Berlin Opfer eines "Ehrenmordes" wurde: "Eine lebenshungrige Frau, die davon abgehalten wurde, ihr Leben so zu führen, wie sie es wollte", sagt Drehbuchautor Florian Oeller.
Ein Ehrenmord als Gegenstand eines Spielfilms? Noch dazu einer, der tatsächlich stattgefunden hat? Die Regisseurin Sherry Hormann hat es gewagt und die Geschichte von Hatun Aynur Sürücü verfilmt – der jungen Deutsch-Türkin, die wegen ihres vermeintlich lockeren Lebenswandels 2005 auf offener Straße von ihrem Bruder erschossen wurde. Am Donnerstag kommt "Nur ein Frau" in die Kinos.
In dem Film gehe es keinesfalls darum, den Islam anzuprangern und auch nicht um das Thema Ehrenmorde, betonte Drehbuchautor Florian Oeller im Deutschlandfunk Kultur. Es sei vielmehr ein "Film über eine lebenshungrige, lebenslustige Frau, die davon abgehalten wurde, ihr Leben so zu führen, wie sie es für sich selbst bestimmen wollte".

Außer Traditionen nichts im Gepäck

Dennoch stelle sich natürlich die Frage, wie so etwas – von der Zwangsverheiratung Hatun Sürücüs bis zu ihrer Ermordung durch die Familie – in Deutschland geschehen könne. Das lasse sich aber nicht abschließend beantworten, sagte Oeller.
(uko)

Das Interview im Wortlaut:
Stephan Karkowsky: Am Donnerstag kommt ein Spielfilm in die Kinos, der wird Sie umhauen. Darin erzählt eine junge Frau in locker leichtem Ton von der eigenen Ermordung durch ihre Familie. Wir hören einer Toten zu – und was es nicht leichter macht, wir kennen die Geschichte: Es ist Hatun Aynur Sürücü, die spricht.
2004 wurde sie Opfer eines sogenannten Ehrenmordes, viel wurde darüber diskutiert. "Nur eine Frau", heißt der Film, das Drehbuch stammt von Florian Oeller. Ich sage es ganz ehrlich, zu Anfang habe ich gedacht, wie kann man nur die Tote selbst erzählen lassen wie im Fantasy-Märchen. Hatten Sie keine Angst, dass das der Geschichte den nötigen Ernst nimmt?

Dem Opfer soll eine Stimme gegeben werden

Oeller: Ich glaube, es war der einzige Weg, diese Geschichte ernsthaft zu erzählen. Wir haben uns im Vorfeld der Idee, diese Lebensgeschichte zu erzählen, Gedanken gemacht, wie man es machen könnte. Wir stießen auf einen denkbar simplen Umstand, nämlich den, dass wir die Aussagen von ihren Mördern in den Gerichtsurteilen lesen durften; wir durften Expertenstimmen hören, wir durften allerlei Stimmen hören. Nur die eine Stimme, die gefehlt hat, die hat uns ganz besonders berührt: Ihre eigene, ihrer fiktionalen Stimme, die wir uns versucht haben zu nähern.
Karkowsky: Sie konnte ihre Geschichte nicht mehr erzählen, Sie machen es nun fiktional. Ist dadurch die Figur, die dort spricht, eine Kunstfigur? Oder gehen Sie davon aus, dass Hatun Sürücü wirklich so von ihrem Tod erzählen würde, weil Sie von Bekannten, Freunden, von den Menschen, die sie gekannt haben, wissen, so hat sie gesprochen?
Oeller: Genau deswegen sprach ich von einer fiktionalen Stimme. Denn es kann immer nur eine Annäherung sein. Wir würden uns niemals anmaßen, zu sagen, das ist die eine Stimme.

Differenzierter Blick auf den Islam

Karkowsky: Ich bin sehr schnell versöhnt worden mit Ihrer Idee, weil die Dialoge wirklich clever sind. Aynur, so ihr zweiter Vorname, stellt ihre Familie mit den Worten vor, das ist meine Familie, sie ist anders als normale muslimische Familien, sie ist nämlich total religiös. Gebe ich das so richtig wieder?
Oeller: Ja, wobei ich hinzufügen würde, total traditionell religiös. Das ist die große Differenzierung, die wir versuchen vorzunehmen. Das es gibt einen Unterschied zwischen dem Islam als eine riesige Religion und darin gibt es eine ganz bestimmte Gruppe, die einen sehr traditionellen Begriff dieser Religion lebt.
Karkowsky: Sie machen von Anfang an klar, dass diese Familie, bei der der Ehrenmord in letzter Konsequenz unausweichlich war, die absolute Ausnahme ist unter muslimischen Familien. Warum war Ihnen das so wichtig?
Oeller: Weil es naheliegt, einen Film über einen sogenannten Ehrenmord zu machen und damit einen Film über die komplette islamische Kultur zu machen. Diesem Vorurteil wollten wir von Anfang an sehr rigoros begegnen. Das war nicht unsere Absicht.
Wir machen keinen Film über den Islam, wir machen auch keinen Film, der den sogenannten Ehrenmord im Zentrum hat. Wir machen einen Film über eine lebenshungrige, lebenslustige Frau, die davon abgehalten wurde, ihr Leben so zu führen, wie sie es für sich selbst bestimmen wollte.

Dokumentarszenen als Zeugnis der Realität

Karkowsky: Nun schaut man zwar trotz des morbiden Stoffs allen Schauspielern im Film gerne zu. Allen voran Almila Bagriacik als Aynur wirklich toll eingefangen von der Kamera mit ihrem ikonenhaften Gesicht. Sie ist bekannt aus "4 Blocks".
Daher kennen wir auch Rauand Taleb, der dort den Zeki spielt und hier den jüngsten ihrer Brüder. Die reale Familie lebt noch und wird sich sicher nicht freuen darüber, wie sie im Film dargestellt wird. Ist das ein juristisches Problem?
Oeller: Da müssten Sie einen Juristen fragen. Wir mussten auf dem Weg zu diesem Film sehr viele Juristen fragen: Was wir tun dürfen und was wir nicht tun dürfen. Mit dazu gehört, dass die Namen der Brüder, die wir im Film verwenden, nicht die richtigen Namen sind.
Karkowsky: Ich musste richtig schlucken bei den Dokumentarszenen, die Sie reinschneiden. Man sieht tatsächlich ab und an die reale Aynur, zum Beispiel glücklich verliebt mit einem Deutschen, der sie dann aber verlässt, weil er den Druck der Familie nicht aushält. Wo haben Sie diese Aufnahmen her?
Oeller: Das ist der fantastischen Leistung von Sandra Maischberger zu verdanken, die diesen Film produziert hat. Sie hat sich in einem sehr langen Prozess um Kontakte bemüht, wie den zu dem Exfreund von Aynur Sürücü, der dieses Material noch besaß und der uns dieses Material freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.
Ganz wichtig im Film sind diese Anker im dokumentarischen Bereich. Sie sind ein Zeugnis dafür, dass das, was wir erzählen, tatsächlich so passiert ist. Sie beinhalten eine Annäherung an die historische Wahrheit.

Tradition als einziger Anker

Karkowsky: Sie haben sich lange mit der Frage beschäftigt, wie kann sowas mitten in Deutschland passieren. Dass eine Minderjährige in die Türkei zwangsverheiratet wird, dann ihren Ehemann verlässt, weil der sie schlägt. Hochschwanger kommt sie zurück, wird später von der eigenen Familie bedroht und schließlich ermordet. Haben Sie Antworten darauf gefunden, warum das in Deutschland passieren kann?
Oeller: Diese Antwort könnte Bücher füllen. Ein Grund ist natürlich, dass in der Phase, in der Aynurs Vater hierher nach Deutschland kam, er nichts mit sich brachte außer seiner Arbeitskraft und den Traditionen, die er aus seiner Heimat kannte. Das hatte möglicherweise den Effekt, den wir vielfach feststellen, wenn wir uns mit traditionellen muslimischen Strukturen in Deutschland beschäftigen: Die Tradition wurde der einzige Anker, auf den man sich verlassen konnte, weil das soziale Netzwerk in Deutschland noch nicht so ausgeprägt war, dass so etwas wir Integration tatsächlich möglich war.
Das sind alles Hypothesen, die in dem Moment zu kurz greifen, wo Drehbuchautoren gesellschaftliche Bewegungen bewerten sollen. Insofern ist das immer nur ein Einblick, ein kurzes Angebot und eine sehr spezielle Geschichte, über die der Film erzählt, die aber auf keinen Fall maßgeblich ist für die Familien, die unter den gleichen Problemen wie die Sürücüs leiden.

Botschaft an den Sohn

Karkowsky: Hatun Aynur Sürücü hat einen Sohn. Er lebt und müsste mittlerweile erwachsen sein. Wissen Sie, wie es ihm geht?
Oeller: Nein. Wir wissen nicht, wo der Sohn lebt. Wir standen als Team in einem sehr emotionalen Moment vor dieser Frage, was unsere Botschaft an den Sohn wäre. Unsere Botschaft wäre: Das ist eine Liebeserklärung, unsere Liebeserklärung, an deine Mutter.
Wir glauben, dass dieser Film tatsächlich dazu geeignet ist, Zeugnis abzulegen von dieser starken, jungen Frau, die auch deine Mutter war. Und wir hoffen, dass dir der Film gefällt. Das wäre unsere Botschaft an ihn, wenn wir wissen würden, wo er lebt. Wir hoffen, es geht ihm gut.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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