Donnerstag, 18. April 2024

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In deinen Händen

In dem Roman In deinen Händen erzählt die portugiesische Schriftstellerin Ines Pedrosa von drei Frauen - Jenny, Camila, Natalia -, die drei verschiedenen Generationen angehören. Anhand von Jennys Tagebucheintragungen, Camilas Fotoalbum und Natalias Briefen an die Großmutter Jenny gewinnen wir Einblicke in drei Frauenleben, die nur im Kontext der portugiesischen Gesellschaft des zwanzigsten Jahrhunderts zu verstehen sind. Trotz der beiden Weltkriege und der Salazardiktatur führt Jenny ein relativ behütetes Leben als Ehefrau. Aus Jennys Tagebucheintragungen erfahren wir nähere Einzelheiten über ihre Ehe mit Antonio, die sie durchaus als glücklich beschreibt, wenngleich er seiner Angetrauten in der Hochzeitsnacht eröffnet, dass er seinen Freund Pedro begehrt. Dessen Tochter Camila wird von Jenny und Antonio wie ein eigenes Kind aufgezogen.

Margrit Klingler-Clavijo | 14.04.2003
    Camila ist im Roman die Frau, die radikal mit der vorherigen Generation bricht: Sie entflieht der Enge der Salazardiktatur nach Mozambik, wo sie sich leidenschaftlich in den Befreiungskämpfer Xavier verliebt. Dieser wird kurz darauf erhangt und kann daher die Geburt seiner Tochter Natalia nicht mehr miterleben. Camila kehrt nach Portugal zurück und wird eine erfolgreiche Fotografin. Ines Pedrosa zufolge ist Camila die Frau, die beim Leser äußerst widersprüchliche Reaktionen auslöst wegen der zahlreichen und schmerzhaften Brüche, die sie verkraften musste:

    Es ist schon seltsam, dass Camila, die Frau der mittleren Generation, derart konträre Reaktionen auslöst: manche bewundern sie, andere lehnen sie ab und auch mich, weil ich sie so gezeigt habe. Meines Erachtens war ich ihr gegenüber viel unerbittlicher, als gegenüber den anderen Frauen. Für die Frauen meiner Generation ist der Abschnitt über Camila der Interessanteste. Allerdings ist sie auch die Frau, die kaum noch redet. Sie ist durch den Schmerz verstummt. Sie hat die schmerzlichsten Verluste überlebt' sie ist von einem Jugendfreund gefoltert worden. Selbstverständlich hat ihre Tochter Natalia Schwierigkeiten, sie zu verstehen . Sie hat das Gefühl, der Mutter nicht das Wasser reichen zu können, weil die Mutter unvorstellbare Dinge erlebt und überlebt hat. Außerdem war sie auch noch künstlerisch begabt und hat etwas daraus gemacht, konnte Hürden überwinden und sich selbst verwirklichen. Und Natalia weiß nicht, ob ihr das gelingen wird. Und gerade weil sie eine so starke Mutter hat, entfernt sie sich von ihr.

    Problematisch ist für Natalia allerdings nicht nur die starke Mutter, sondern viel stärker noch das Leben in einer Gesellschaft, in der Statusdenken und Konsumrausch dominieren und man sich lieber an Mitteleuropa orientiert, als nach den Ländern des lusophonen Afrika wie Angola oder Mozambik zu schauen, was einem Mischlingskind wie Nataiia die Integration erschwert. In den Briefen an ihre Großmutter Jenny» die sie übrigens nie abschickt, beschreibt Natalia ihre Reiseerlebnisse in Mozambik, wohin sie nach ihrer Scheidung gefahren war, in der Hoffnung, dort noch auf Spuren ihres verstorbenen Vaters zu stoßen. Schade, dass diese Suche weitgehend im Rahmen der üblichen Afrikaklischees geschieht und weit entfernt ist von der sprachlichen Erneuerung des Portugiesischen wie sie der mozambikanische Schriftsteller Mia Couto praktiziert.

    Das in Mozambik gesprochene Portugiesisch ist voll kreativer Möglichkeiten, außerdem sind sie dort viel stärker mit der Essenz des Lebens verbunden. Wenn Hunger, Aids drohen, wenn die Kinder in der Schule keine Stifte haben, und wenn ja, dann ist das so, als ob mein Sohn einen riesigen Legokasten bekäme. Ich wäre auch so, wenn ich dort leben würde. Wie Natalia bin ich erstmals 1994 nach Afrika gefahren und hatte plötzlich das Gefühl, dass wir so voller Verdruss leben und uns das Leben anödet. Und an dem Tag, an dem ich nicht mehr Leben will und keine Auswege mehr sehe, werde ich, falls möglich, in ein Flugzeug steigen und nach Afrika fliegen, weil ich weiß, ich kann ihnen das gar nicht richtig erklären, dass es dort eine Lebensfreude gibt, die oft viel mit der Nähe zur Verzweiflung zu tun hat und dass man tatsächlich im Krieg umkommen kann. Morgen können wir sterben und daher müssen wir heute das Beste aus dem Tag herausholen.(...) Jeden Tag so leben, als ob es der Letzte wäre, wohingegen wir in Europa so leben, als ob wir unsterblich wären.

    Vom weitgehend aus dem Alltag der westlichen Gesellschaften verbannten Tod handelt Ines Pedrosas nächster Roman Faces me falta - "Du fehlst mir", der in Portugal auf Anhieb ein Verkaufserfolg wurde. Darin versucht sie, den Tod ihres Vaters und den ihr nahestehender Schriftsteller wie Al Berto oder Jose Cardoso Pires zu verarbeiten.