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In den Fußstapfen von Oscar Wilde

Ein 22-jähriger, wunderschöner, junger Mann, der sich wünscht, nicht er möge altern, sondern das Kunstwerk, für das er Modell gestanden hat. Als Oscar Wildes "Das Bildnis des Dorian Gray" 1891 als Buch erschien, sorgte es im sittenstrengen England der viktorianischen Epoche für einen Skandal. Der einstige Journalist und ehemalige Heroin-Junkie Will Self hat nun eine Nachahmung Wildes versucht.

Von Gisa Funck | 27.05.2007
    Klar leuchteten die neun Monitore im Dunkel des Ateliers. Auf ihren Bildschirmen, elektrostatisch knisternd, bildeten Dorians fließende Abbilder einen Wasserfall der Bewegung. Das Ganze war mit Musik unterlegt.
    ( ... ) Ein paar Augenblicke lang stand Dorian wie angewurzelt da, aber dann trat er näher und fing an, sich im Rhythmus seiner eigenen Fernsehbilder zu wiegen. Neun nackte Dorians auf den Bildschirmen und ein bekleideter davor.
    "Na, wie findet ihr das?", platzte es im Schatten aus Baz heraus, und Dorian drehte sich nach ihm und nach Wotton um; Lüsternheit befleckte die Gesichter der beiden. ( ... ) "Wie lange halten die Bänder, Baz?", fragte Dorian.
    "Schwer zu sagen", gab der Künstler zurück, "Jahre bestimmt, Jahrzehnte, und bis dahin kann man sie auf neue Bänder überspielen und so weiter, in alle Ewigkeit wohl."
    "Also werden die da", Dorian machte eine Geste hin zu den neun Fernsehschirmen, "ewig jung bleiben, während ich alt werde und sterbe?"


    Ein zweiundzwanzigjähriger, wunderschöner, junger Mann, der sich wünscht, nicht er möge altern, sondern das Kunstwerk, für das er einem Künstler Modell gestanden hat: man kennt diese Geschichte, die zu den bekanntesten und am meisten adaptierten Roman-Geschichten der englischen Literatur
    gehört und den Stückeschreiber Oscar Wilde als Schriftsteller quasi über Nacht weltberühmt machte.

    Als "Das Bildnis des Dorian Gray" 1891 als Buch erschien, sorgte das im sittenstrengen England der Viktorianischen Epoche für einen Skandal. Nicht genug, dass Oscar Wilde in diesem Roman seine provokanten Thesen zum Ästhetizismus genauer darlegte, wonach ein Leben für die Kunst höherwertig sei als ein Leben nach einer gesellschaftlichen Moral. Es waren vor allem die homoerotischen Passagen, die Kritiker des Königreichs Ende des 19. Jahrhunderts empörte. "Ein mit Gift getränktes Buch", schrieb ein Rezensent des London Daily Chronicle damals, "voll vom Gestank der moralischen und spirituellen Verwesung." Hätte derselbe Rezensent auch schon die aktualisierte Version des Romans von Will Self gekannt: ihn hätte wohl glatt der Schlag getroffen. Denn bei seiner Nachahmung mit dem schlichten Titel "Dorian" hat sich der einstige Journalist und ehemalige Heroin-Junkie Self einmal mehr alle Mühe gegeben, seinem Ruf als enfant terrible der britischen Literaturszene gerecht zu werden.

    Aus Wildes symbolträchtiger Geschichte vom ewigschönen, aber auch zutiefst verruchten Jüngling Dorian Gray hat Self eine Groteske auf die Londoner Kunst- und Schwulenszene des ausgehenden 20. Jahrhunderts gemacht, die nur so vor Schock-Effekten strotzt. Was bei Wilde noch in Auslassungen angedeutet war, wird bei Self nun drastisch in "Arschfickpolonaisen" in Szene gesetzt. Was sich bei Wilde noch in gelegentlichen Abstechern in die Opium-Kneipe erschöpfte, avanciert bei Self zur Dauer-Drogen-Party mit Koks, Heroin und Exstacy. Und wo es bei Wilde noch zentral um die psychologische Verführung ging - und daran angehängt um die philosophische Frage nach dem Verhältnis von Ästhetik und Ethik - steht bei Self ganz der Körper und die körperliche Zerstörung im Mittelpunkt.

    Sein mit ewiger Jugend gesegneter Narziss Dorian Gray ist weniger ein von Lord Wotton angeleiteter Seelenverführer als eine wandelnde Gesundheitsbedrohung. Dafür bürgt eine Krankheit, die es zu Zeiten von Oscar Wilde noch gar nicht gab: AIDS. Selfs bisexuell umtriebiger Verführer Dorian ist nämlich HIV positiv, ohne dass die Krankheit allerdings bei ihm ausbrechen würde. Das übernehmen jene neun Videoporträts für ihn, die der Künstler Baz gleich zu Anfang des Romans vom nackten Dorian gemacht hat.

    Wie im Wildeschen Original kommt es also auch in Selfs Adaption zu einer Art Teufelspakt: Nicht Dorians Körper altert und erkrankt, sondern seine, auf Videokassette konservierten Körper-Abbilder des Kunstwerks Cathode Narzissus. Und je ausschweifender sich Selfs junger Adonis alsbald immer neuen Exzessen hingibt, desto größere Verunstaltungen weisen Porträts auf den neun TV-Monitoren auf. Eine unheimliche Transformation, die zum ersten Mal nach einer Vernissage auftritt, bei der Dorian seinen Freunden das Kunstwerk Cathode Narzissus vorführt - und zu der er aus purer Böswilligkeit auch den Straßenstricher Herman eingeladen hat: obwohl er genau weiß, dass Herman Heroin süchtig ist und verschmutzte Spritzen
    verwendet:

    Man könnte sagen, dass das Tempo noch einmal anzog, als der arme, liebe Herman ins Spiel kam ( ... ) Es war ein Rhythmus, der sich an diesem Abend beschleunigte, als der eingeladene Arzt Alan Campbell seinen Arztkoffer hervorzog und mit professioneller Genauigkeit Ampullen abzählte. ( ... ) "Wir werden uns dieses Spritzbesteck teilen und den Akt zu einem ganz und gar kooperativen Unternehmen machen", kündigte Campbell den versammelten fünf Männern an, "und das bedeutet, dass jeder von uns ganz exakt abmessen muss, Gentlemen. Ein Kubikzentimeter für jeden. Nun, euch habe ich schon auf Hepatitis getestet" - mit der Nadelspitze schloss Campbell Wotton und Baz aus, "Dorian muss nicht gestestet werden, und ich bin clean, das weiß ich - nur von dir weiß ich nichts, nimm's mir nicht übel, Kamerad." Die Nadel nagelte Herman fest. "Ich bin clean, Mann, ich drücke noch nicht mal."

    Herman war scharf auf den Fix und wollte als Erster zuschlagen. Er knöpfte seinen Hemdsärmel auf und rollte ihn hoch, damit die ganze Versammlung sehen konnte, dass sein Arm frei von Einstichstellen war. "Wir glauben dir, Alter!", sagte Baz. Ihn hatte auch die Gier gepackt. Hätte Dorian nicht etwas sagen müssen? Er hatte gesehen, wie Herman sich in die blatternarbigen Beine fixte, er hatte die schartige Eiterlandschaft gesehen, ideal für die Vermehrung von Viren. Aber Dorian sagte nichts. Und so vermengte sich seltsam die Essenz der fünf Männer. Ein Kubikzentimeter aus diesem Arm und einer in jenem. ( ... ) Halb nackt wiegten sie sich in einem lockeren Dickicht aus wabernden Armen und sich aneinander reibenden Lenden.


    Zu Anfang seines neuen Romans Dorian versetzt Will Self den Leser noch einmal zurück in die frühen Achtziger Jahre. Eine Zeit, in der sexuelle Eskapaden vor allem in Künstlerkreisen noch ebenso zur kreativen Selbstverwirklichung gehörten wie Experimente mit Drogen. Noch hatte niemand das böse Wort "AIDS" gehört, das ab 1982 in Umlauf kam. Noch herrschte jenes "Zeitalter der Unschuld im Gewande Unmoral", wie Susan Sontag die zwei Jahrzehnte von Mitte der Sechziger Jahre bis zum Anfang der 80er Jahre einmal genannt hat. Selbst in der bürgerlichen Mittelschicht Amerikas und Europas galt damals eine relativ freizügige Sexualmoral. Und war die Auffassung verbreitet, dass sexuell übertragene Krankheiten nicht besonders tragisch wären. Von dieser allgemeinen Libertinage profitierte auch die 1969 in New York gegründete gay liberation-Bewegung, bis am 23. April 1984 offiziell die Entdeckung des HIV-Virus bekannt gegeben wurde. Ab da begann für Heroinfixer und Schwule eine völlig neue Zeitrechnung. Denn von nun an setzte eine regelrechte AIDS-Hysterie ein, die mit einem konservativen Rollback einherging, der die neue Epidemie schnell zur Krankheit der Andersartigen erklärte, deren ungewöhnliche Sexualpraktiken einer breiten Öffentlichkeit auf einmal keineswegs mehr tolerierenswert erschien. Galten promiskuitive homosexuelle Männer bis dahin noch als hemmungs-, aber harmlose Hedonisten, wurden sie nun plötzlich zur Hauptrisikogruppe für AIDS erklärt. Und damit gesellschaftlich stigmatisiert. Mit oft genug schikanösen Folgen. So galt etwa für Homosexuelle, die HIV positiv getestet waren, plötzlich ein Einreiseverbot in Länder wie die USA, Russland, Saudi Arabien oder Korea, obwohl aus medizinischer Sicht kein direktes Ansteckungsrisiko bestand.

    Vor diesem Hintergrund einer neuen Ausgrenzungspolitik spielt Selfs Roman-Adaption Dorian. Und so ist auch in ihr - ähnlich wie schon in Wildes Vorlage - durchaus Endzeitstimmung spürbar. Nur, dass es diesmal nicht die Untergangssehnsucht einer Dekadenz-Gesellschaft des19. Jahrhunderts ist, sondern die Wehmut einer promiskuitiven Kunst-Boheme Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, deren lockerer Lebensstil unter dem Vorzeichen von AIDS zunehmend in Verdacht geriet. Self versetzt Wildes Romanvorlage folglich um knapp hundert Jahre. Und er hält sich dabei auffallend exakt an die von Oscar Wilde vorgegebene Personen-Konstellation.

    Aus dem ursprünglichen Maler Basil Hallward wird bei ihm der von Andy Warhol inspirierte Installationskünstler Baz, der einmal mehr den Part des idealistischen Humanisten gibt. Aus der minderjährigen Schauspielerin Sibyl Vane, die wegen Dorian Gray Selbstmord begeht, wird der ebenfalls in den Suizid getriebene Drogen-Stricher Herman. Und aus Dorians sarkastischem Lehrmeister Lord Henry Wotton wird der noch sehr viel sarkastischer anmutende Snob Henry Wotton, der sich von einer adligen Ehefrau aushalten lässt. Keinem illegalen Rausch-Erlebnis abgeneigt ist. Und erneut mit einem schier unerschöpflichen Reservoir von amüsant ätzenden Bonmots aufwartet. Das zeigt sich schon bei der allerersten Begegnung zwischen Wotton und Dorian:

    "Du musst Dorian Gray sein. Ich höre, du bist mit meiner Mutter bekannt.
    Ich bin Henry Wotton."
    "Sie meinen Phyllis Hawtree?" Dorian ergriff die Hand, hielt sie eine Sekunde lang fest, ohne Druck auszuüben, und hätte sie fallen gelassen, aber Wotton ließ nicht los.
    "Ach ja", bellte er, "Meine Mutter besteht ja darauf, jedes Mal ihren Namen zu ändern, wenn sie sich einen neuen Bettgefährten zulegt."
    "Sorry ... ."stotterte Dorian, "ich bin eben erst aufgewacht...Äh, ihre Mutter ... "Hat dich vor mir gewarnt und dabei kein Blatt vor den Mund genommen, dir berichtet von Ausschweifungen, Drogensucht, Sodomie und sogar noch
    exotischeren Lastern? Nicht wahr?
    "Nein, nein", stotterte Dorian irritiert, "ihre Mutter nennt Sie einen glänzenden..."
    "Fehler?! Das mag ich wohl sein, aber es ging ja nicht um mich, es ging um dich, um deine Hoffnungen, Ängste und intimsten, bebenden Begierden. Du musst mir davon berichten. Sofort. Alles. Aber zackig!" (...) Dorian zuckte mit den Achseln. "Ich bekomme dauernd Angebote und soll schauspielern oder modeln oder so. Aber ich glaube, das wäre auf Dauer schrecklich fad. Vielleicht finden Sie ihre Mutter lächerlich, Henry, aber an dem Projekt für obdachlose Jugendliche, für das sie Spenden sammelt, ist nichts Komisches."
    "An der Jugend ist ganz bestimmt nichts Komisches." Wotton lächelte zufrieden, denn er liebte eine gute Vorlage. "Jugendliche - muss man sich warm halten.


    War Wotton schon bei Wilde ein kaum verhülltes Selbstporträt seines spitzzüngigen Schöpfers, kann man aus dem Nachfolger nun ebenfalls das alter ego des literarischen Provokateurs Will Self herauslesen. Sein aktualisierter Wotton ist ein mindestens ebenso begnadetes Schandmaul wie sein Vorgänger. Und es sind vor allem seine hämischen Kommentare, die Dorian zu einem Lesevergnügen machen - und die der Übersetzer Robin Detje in ihrer defätistischen Schnodderigkeit gekonnt ins Deutsche übertragen hat. Mal nennt Selfs Sprücheklopfer die britische Kultheilige Lady Diana da despektierlich "Dickerchen Sprencer". Mal verhöhnt er den Religionsstifter Buddha als "Schutzpatron der Passiv-Aggressiven". Dann wieder sieht Wotton im Tod "vor allem einen Karriereschritt". Oder ist der Meinung, dass "ein guter Spruch nur die Halbwertszeit eines Gefühls (markiert)".

    Aus Wottons geistreichen Bemerkungen über den Zustand der Welt - und über den Zustand Großbritanniens insbesondere - könnte man eigentlich sofort eine Aphorismen-Sammlung machen. Wären sie nur nicht so abgrundtief gehässig. Immerhin: Mord und Totschlag sind auch für ihn - wie schon bei Wilde - strikt tabu. Wenn auch aus rein ästhetischen Gründen. Denn Gewaltverbrechen, so drückt es Selfs zynischer Jugendverderber aus, zeugen nun einmal "von erstaunlich schlechtem Geschmack." Ein Diktum, das seinen Schützling Dorian allerdings auch diesmal nicht davon abhält, zum Mörder, ja - sogar zum Massenmörder zu werden. Auf der Suche nach dem ultimativen Kick findet Selfs Schönling nämlich schon bald Gefallen daran, sich als HIV-Todesengel zu inszenieren, der es darauf anlegt, möglichst viele Liebhaber mit Aids anzustecken:

    Dorian Gray ging überall auf die Pirsch und jagte alles und jeden. Im Laufe der Jahre war sein Aufreißverhalten so ausschweifend geworden, dass er mit Leichtigkeit auch ein Konsistorium von Bischöfen im Vatikan angebaggert hätte. Es gab kein Grüppchen, dem er nicht den Hof machen würde: einer Busladung Mormonen aus dem mittleren Westen, die sich Europa "reinzogen"; einem Hausfrauenclub aus dem Norden auf einem Einkaufstrip; einer Demo für die Rechte von Sadomasochisten, die sich durchs West End wand. Ungeachtet des Alters, des Geschlechts, der Rasse oder sexuellen Ausrichtung, Dorian genoss es sie zu verführen, und wenn ihm die Zeit blieb, sie dabei auch noch ins Verderben zu stürzen, umso besser.

    Indem Self aus Dorian Gray einen wahllos agierenden HIV-Überträger macht, steigert er dessen Bösartigkeit nicht nur ins Monströse. Er nimmt dem Mythos damit auch seine Erhabenheit - und Wildes Geschichte ihren philosophischen Überbau. War der ursprüngliche Dorian Gray noch ein Teufelsjünger mit Gewissenbissen, der mit seinem Mentor Wotton gleich seitenweise über die Theorie eines "Neuen Hedonismus" diskutieren konnte, erscheint sein Nachfolger zum reinen Schreckens-Phänomen geschrumpft.

    Beziehungsweise: als ein seelenloser Serienkiller, der umso hemmungsloser töten und umso besser den schönen Schein wahren kann, je weniger er mit seinen Untaten noch ein ideologisches Programm verfolgt. Selfs Dorian ist von daher zwar um Einiges gefährlicher und sadistischer als sein Vorgänger. Unheimlicher aber wirkt er nicht.

    Dafür ist er in seiner Bösartigkeit und makellosen Schönheit zu sehr Klischeetypus und zu wenig ein eigenständig-ruchloser Charakter. Nicht umsonst bezeichnet ihn sein Lehrmeister Wotton Dorian in Selfs Roman einmal als "Retrovirus". Denn, indem der sich stets perfekt an seine jeweilige Umgebung anzupassen versteht, gleicht er tatsächlich selbst einem gesichtslosen Virus, der heimtückisch die Kunst-Szene der 80er Jahre infiziert, ohne dass sich seine Liebesopfer gegen ihn wehren könnten.

    Wodurch Selfs Geschichte allerdings auch schnell an Spannung verliert. Denn auf Dorians blauäugigen Verführer-Blick fallen wirklich alle herein. Ernstzunehmende Gegner hat er keine. Selbstzweifel an seinem Tun hegt er nicht. So jagt eine schlimme Party die nächste. Folgt auf eine absichtliche Ansteckung eine andere. Das hat - so grauenhaft die Verbrechen Dorians auch sein mögen - schon bald etwas von einer schnöden Wiederholung an sich. Und da nützt es auch nichts, dass Self - in bewährter Schockmanier- jeden Exzess und jede Scheußlichkeit seines skrupellosen Helden bis ins Detail ausmalt. Im Gegenteil.

    Was bei Wilde noch vages Gerücht blieb, wird im Nachfolger nun so grell ausgeleuchtet, dass kein Geheimnis unerzählt bleibt. Und somit auch kein Raum mehr übrig für Grusel-Phantasien des Lesers. Von daher ist der Vorwurf einer verpuffenden "Effekthascherei", wie ihn amerikanische und englische Literaturkritiker gegen Selfs Roman nach dessen Erscheinen im Original 2002 erhoben, nicht ganz von der Hand zu weisen.

    Doch übersahen die Kritiker angesichts des Skandal-erprobten Ex-Punks Self dabei wohl etwas allzu leicht den Moralisten Self, der in Dorian ebenfalls - aller schnoddriger Provokation zum Trotz - immer wieder durchklingt. Und der die Entzauberung seiner diabolischen Hauptfigur offenbar durchaus mit eingerechnet hat. Zumindest lässt Self Dorians Karriere im Roman auffällig exakt mit den Eckdaten des so genannten "Diana-Zeitalters" zusammenfallen, so dass niemand anderer als ausgerechnet die, von den Briten so verehrte Lady Di zur Spiegelfigur seines mörderischen Parvenüs avanciert.

    Als Lady Di 1981 Prinz Charles heiratet, steckt Dorian im Roman seine ersten Opfer mit Aids an. Als sie ein Benefiz-Konzert im Hyde Park gibt, zersägt er während des Konzertmitschnitts den Künstler Baz bestialisch. Und als sie 1997 schließlich beim Autounfall in Paris stirbt, endet er ebenfalls tödlich auf einer Herrentoilette. Wie Dorian, so lässt sich diese - für königstreue Briten natürlich außerordentlich schockierende - Parallelstellung deuten, beherrschte auch die so genannte "Medienprinzessin" Diana die Kunst, selbst zu schrecklichsten Skandalen noch eine Unschuldsmiene zu machen, in Perfektion.

    Self radikalisiert in seiner Nachahmung Wildes mythische Geschichte von daher nicht nur durch die Verknüpfung mit AIDS. Er prangert darin auch die Entwertung eines bohemistischen Lebensstils an, der in der fortschreitend kommerzialisierten Medienkultur zum bloßen Style verflacht ist. Oder wie sein Erzähler an einer Stelle des Romans spöttisch resümiert, als Dorian den Künstler Baz einmal in New York besucht:

    Anfang der Achtziger Jahre wurde die Avantgarde längst an Designerlabel abgestoßen und lizensiert. Halston, Gucci, Fiorucci. Nur ein so erstaunlich schlecht informierter Mensch wie Dorian Gray hätte glauben könne, dass es in Manhattan noch Platz für eine 'Szene' gäbe. Oh nein, die schamlosen Schwulen und hochnäsigen Schwarzen und trotzigen Junkies wurden aufgesogen und auf den Markt geworfen wie alles andere auch. In den Achtzigern machte sich der Underground mit Ekel erregender Eilfertigkeit für den totalen Ausverkauf bereit, und Andy Warhol - mit dem Baz auf so tragische Weise anzugeben pflegte - war der Geifer giftende Gipfel des Ganzen.

    Der Wunsch nach ewiger Jugend und Schönheit, der im Bildnis des Dorian Gray noch spektakuläre Prophezeiung war, wird in Selfs Dorian zur grausam-banalen Wirklichkeit. Und so gehört es mit zur überraschenden Schlusspointe dieses bei näherem Hinsehen ziemlich kulturkritischen Romans, dass der bei Wilde noch so unheimlich anmutende Dorian Gray bei Self alles andere als dämonisch endet. Als Herausgeber einer Designzeitschrift scheut er sich zuletzt noch nicht einmal davor, höchst mittelmäßig ins Fitness-Studio zu gehen, um seinen Körper zu stählen. Und er sieht - ganz im Gegensatz zu seinem Vorgänger - auch keinerlei Notwendigkeit mehr dafür, seine hässlichen Abbilder vor der Öffentlichkeit geheim zu halten. Selfs postmoderner Hedonist stellt seine verunstalteten Video-Porträts der Installation Cathode Narzissus für jeden sichtbar im Internet aus. Denn angesichts eines allgegenwärtigen Jugend- und Schönheitskults verheißt nicht länger die körperliche Makellosigkeit die Sensation, sondern - gerade umgekehrt - körperliche Versehrt- und Unperfektheit.

    Will Self: "Dorian - eine Nachahmung"
    Deutsch von Robin Detje, Berlin Verlag 2007, 350 Seiten, 22 Euro.