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In den Städten ist Kita-Bedarfsquote "nicht überall erreicht"

In den Landkreisen werden bis August genügend Kita-Plätze zur Verfügung stehen. In den Städten, wo der Bedarf höher sei, sehe das anders aus, sagt Stephan Articus. Provisorische Lösungen dürften nicht auf Kosten der Betreuungsqualität gehen, so der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages.

Stephan Articus im Gespräch mit Sandra Pfister | 26.02.2013
    Sandra Pfister: Bricht im August hier die große Klagewelle los, weil Tausende von Eltern keinen Kita-Platz für ihre Kinder bekommen, obwohl sie einen Rechtsanspruch darauf haben? Die meisten Beobachter würden darauf wetten, dass die Plätze nicht reichen. Gestern aber gab es endlich mal eine gute Nachricht, und zwar vom Deutschen Landkreistag. Der hat gesagt: Die allermeisten Landkreise werden es wohl schaffen, genug Plätze für Kleinkinder zur Verfügung zu stellen. Darüber reden wir mit Stephan Articus, dem Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages. Guten Tag, Herr Articus!

    Stephan Articus: Guten Tag!

    Pfister: Herr Articus, das hört sich ja erst mal nach ner großen Entspannung an, aber die Sache bestimmt einen Haken?

    Articus: Ja, wir haben auch keine Entspannungsnachricht verkündet. Wir haben gegenüber dem Deutschen Landkreistag gesagt, dass in den Städten der Bedarf sehr viel größer ist als in den Landkreisen – in vielen Landkreisen bedarf es noch nicht einmal einer Versorgung von durchschnittlich 30 Prozent. Bei den Städten aber wissen wir, dass wir in der Regel zwischen 40 bis 50 Prozent Bedarfsquote brauchen, und diese Quote ist noch nicht überall erreicht in den Städten.

    Pfister: Also es liegt nicht daran, dass die Städte sich nicht genug anstrengen, sondern daran, dass die Nachfrage auf dem Land einfach geringer ist, nach Plätzen?

    Articus: Ja, so ist es, und man auch sagen, dass in besonderen städtischen Situationen, in schwierigen Quartieren oder beispielsweise in Universitätsstädten, wo viele junge Mütter, die studieren, sind, da gehen wir sogar von aus, dass noch der Bedarf über 50 Prozent hinaus geht.

    Pfister: Jetzt werden ja die Kita-Plätze gerade unter großem Druck ausgebaut, die Zahl der Plätze hat sich binnen kürzester Zeit ja nahezu verdoppelt, und die Schlagzahl hat sich ja jetzt im letzten Jahr noch mal erhöht, aber in vielen Fällen wird dieses Ergebnis einfach dadurch erreicht, dass man mehr Kinder in die Gruppen stopft oder die Grünflächen pro Kind schrumpfen, damit überhaupt mehr Kinder auf dieses Gelände gequetscht werden können. Werden da nicht auf sehr durchschaubare Weise die Standards gesenkt? Ist das noch in Ordnung für Sie?

    Articus: Also dass die Frage gestellt wird, verstehe ich gut, zumal wir ja in den letzten Wochen oder Monaten für die Städte immer gesagt haben, wir wollen jetzt wirklich alles tun, aber auch alles, was dazu hilft, dass man noch zusätzliche Plätze schafft. Und wir haben auch gesagt, dass wir da auch Provisorien in Kauf nehmen. Aber was wir ganz gewiss nicht tun werden, ist, die Standards, was die Betreuung und die Betreuungsqualität angeht. So fordern wir beispielsweise nicht als Städtetag, dass die Gruppen über die Regelgröße hinaus vergrößert werden, wir halten das nicht für verantwortbar, aber wir wollen schon sagen wir mal provisorische Lösungen versuchen zu realisieren – ich darf ein paar Beispiele nennen: Im Regelfall wird in Kindertagesstätten immer nur eine Erdgeschossetage genutzt. Wenn wir jetzt Gebäude anmieten können, wo man eine Gruppe auch im ersten Obergeschoss anbringen kann und die entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen getroffen sind, empfehlen wir das. Ein zweites Beispiel ist, dass man Tagespflegestellen zusammenlegt, in die Nähe von einem Kindergarten platziert, sodass dort die Außenflächen mitgenutzt werden können.

    Pfister: Aber dadurch werden natürlich die Außenflächen trotzdem kleiner, wenn mehr Kinder aufs Gelände kommen. Das mag ein Luxusproblem sein, aber wenn an vielen solcher Stellschrauben gedreht wird, bedeutet das natürlich trotzdem, dass man – zumindest für eine gewisse Zeit – sagt, die Standards senken wir ab. Bleibt das beim Provisorium oder wird das Dauerzustand?

    Articus: Also erstens sollen die Provisorien keine Dauerlösungen werden, und zweitens geht es jetzt auch nicht darum, dass überall die Außenflächen beispielsweise reduziert werden. Aber wenn wir in den Innenstädten einen arbeitsplatznahen Betreuungsplatz für die Familien anbieten wollen, müssen wir schon einmal in Kauf nehmen, dass die Außenflächen kleiner sind, als sie in dem normalen Fall vorgesehen sind. Das war eigentlich in vielen Bundesländern auch kein Problem, weil die Größen der Außenflächen orientieren sich an denen von den klassischen Kinderhorten, also von Einrichtungen, in denen große Kinder sind, die Fahrrad fahren und die schaukeln und was weiß ich was. Ich glaube, es ist vertretbar, was wir da im Auge haben.

    Pfister: Ja, da gehen die Meinungen auseinander darüber, was vertretbar ist, weil ja auch die Gruppengrößen aufgestockt werden oder Erzieherinnen abgezogen werden. Wenn Eltern klagen, was können die denn eigentlich von den Kommunen erwarten – letztlich nur Geld?

    Articus: Also die Eltern können grundsätzlich erwarten entweder einen Schadensersatz, wenn beispielsweise eine begonnene Arbeit, also eine neu angetretene Erwerbstätigkeit nicht gehalten werden kann, weil für das Kind kein Betreuungsplatz da ist, oder sie können auch den Aufwand einklagen, wenn sie selbst eine Betreuung organisieren.

    Pfister: Also Eltern müssen sich dann selbst einen Platz organisieren, privat, und könnten dann quasi die Mehrkosten in Rechnung stellen?

    Articus: Das können sie, wenn sie tatsächlich keinen Platz bekommen.

    Pfister: Das ist ja dann in den Städten, in denen sie sowieso keinen Kita-Platz bekommen, sowieso kein Zuckerschlecken, auch einen privaten Platz zu kriegen. Müsste man nicht selbst wenn man jetzt sieht, es sind ein paar Zehntausend Plätze noch dazugekommen, aber die Lücke ist immer noch riesig, müsste man jetzt nicht die Reißleine ziehen und sagen, der Rechtsanspruch ist einfach nicht zu machen und nicht um diesen Preis?

    Articus: Wir wollen nicht alle Familien sozusagen verunsichern, indem wir jetzt sagen, wir stellen den Rechtsanspruch dem Grunde nach infrage, wir tun das ausdrücklich nicht. Wir tun es auch deswegen nicht, weil über den Stichtag 30. August hinaus die Anstrengungen, rasch eine hinreichende Platzzahl zu schaffen, nicht ermüden darf. Und deswegen glauben wir, wäre es ein falsches Signal zu sagen, der Rechtsanspruch muss abgesetzt werden, sondern wir sagen, lasst uns mit zulässigen, zumutbaren Übergangsregelungen so viel Angebote schaffen, wie es nur noch irgendwie geht, und dabei die entscheidenden sagen wir mal Qualitätsstandards nicht aus den Augen zu verlieren.

    Pfister: Also besser provisorische Plätze als gar keine, sagt Stephan Articus, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, nach den neuesten Prognosen von gestern, bei denen der Städtetag und der Landkreistag gesagt haben, es wird vermutlich genug Kita-Plätze auf dem Land geben für Kinder unter drei, aber in den Städten wird's schlecht aussehen. Danke, Herr Articus!

    Articus: Danke auch, Frau Pfister!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.