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"In erster Linie das Kunstwerk"

Ein Leben für das Buch/den Verlag - so läßt sich ganz unpathelisch die Familientradition des Hauses Hirmer charakterisieren. Dieser Münchener Kunstbuchverlag, der im letzten Jahr sein 50. Firmenjubiläum beging, ist der deutsche Kunstbuchverlag schlechthin, denn er hat von jeher einen Maßstab für Qualität gesetzt. Das betrifft zum einen die hochwertige Ausstattung der Bände, den hervorragenden Druck, der gerade bei der farbigen Wiedergabe von Gemälden besticht, und die meisterhafte Aufnahmetechnik der Fotos, die zu einem beträchtlichen Teil von den Verlegem selbst gemacht worden sind und noch gemacht werden. Zum anderen betrifft es das Programm, das heute über 600 Titel umfasst, von denen zahlreiche in mehreren Sprachen und Auflagen erschienen sind. Gut zwei Drittel sind Kunstbücher und knapp ein Drittel Ausstellungskataloge.

Martina Wehlte | 31.01.2000
    Der inhaltliche Bogen spannt sich von vor- und frühgeschichtlichen Kunsterzeugnissen bis zur klassischen Moderne, geografisch gesehen vom Vorderen Orient über den indischen und asiatischen Raum zu den antiken Mittelmeerkulturen. Das Themenspektrum ist denkbar weit: Porträts von Völkern - den Iberern, den Mayas - ebenso wie von Städten: München (natürlich) und - gleich mehrfach - beispielsweise Venedig; Künstlermonographien (zu Tiepolo, Mengs, Ingres, Delacroix, Gauguin); Oeuvreverzeichnisse: von Matthias Eberle der zweiteilige Band zu Max Liebermann, weitere zu Feuerbach oder Paula Modersohn-Becker. Aus den gattungsgeschichtlihen Darstellungen ragt zweifellos die letztjährige Publikation von Sybille Ebert-Schifferer zur Geschichte des Stillebens hervor. Neben den Programmschwerpunkten Architektur, Skulptur, Buch-, Wand- und Tafelmalerei gibt es auch Arbeiten zu weniger beachteten Kulturerzeugnissen wie Münzen, Teppichen oder Glasperlentaschen. Nicht zuletzt erscheinen bei Hirmer das Römische Jahrbuch und die Forschungsbände der ehrwürdigen Bibliotheca Hertziana.

    In einer kleinen Koje, eher möchte man sagen einem Kabinett, präsentierte der Hirmer Verlag auf der letzten Frankfurter Buchmesse seine Kostbarkeiten: in oberster Reihe zwei Faksimile-Editionen - die von Eberhard König kommentierte Bilderhandschrift der 'Très Belles Heures' aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts und - druckfrisch -das spätmittelalterliche 'Buch der Wunder' mit den Reisebeschreibungen Marco Polos. Gleich daneben ein Prachtband über Giorgione und eine Werkmonographie zu Rogier van der Weyden anlässlich seines 600. Geburtstages. Ich hatte Gelegenheit zu einem Gespräch mit Albert Hirmer, der den Verlag seit 1981 zusammen mit seiner Schwester Irmgard Emstmeier-Hirmer leitet. Jährlich erscheinen etwa 35 Titel. Zunächst hat mich interessiert, wie es zur Realisation eines Projektes kommt, das übrigens eine Vorlaufzeit von mindestens zwei Jahren hat. Albert Hirmer:

    "Zum geringsten werden fertige Manuskripte eingereicht; es gibt Autoren, die sich an uns wenden, es ist aber genauso häufig, dass wir uns an Autoren wenden, weil wir eine bestimmte Idee haben über .... ein Buch, das wir herausgeben wollten zu Themen, die vielleicht in der letzten Zeit nicht gründlich genug behandelt worden sind .... Des weitere ist eben dann, dass wir uns jetzt hier auf der Messe umsehen, welche Titel wir in Lizenz übernehmen können, denn es ist bei vielen Werken heute nicht mehr möglich, sie alleine zu machen, sondern man muss schauen, dass man sie in einer internationalen Auflage und in internationaler Zusammenarbeit abwickeln kann. Vor allem die Bildrechte sind heute so teuer geworden, dass es auch von daher ganz erhebliche Probleme gibt. Außerdem sind für jede Sprache zusätzlich Bildrechte zu zahlen."

    Allein dieser Umstand - abgesehen von der aufwendigen Drucktechnik und dem insgesamt überaus sorgfältigen Herstellungsverfahren - bedingt einen hohen Preis. Das Autorenhonorar liegt bei etwa 30, manchmal nur 20 Prozent der Kosten für das Gesamtwerk und ist - bedingt durch vergleichsweise niedrige Auflagen - weit weniger lukrativ als bei der Belletristik. Das ist im wissenschaftlichen Bereich generell üblich, doch ist es immerhin eine Frage der Ehre, bei Hirmer publizieren zu können. Der Verlag seinerseits legt strenge Maßstäbe an:

    "Bei den Autoren ist es schon so, dass wir schon sehr großen Wert auf ihre Qualifikation legen; und natürlich auch darauf, dass sie ein Thema so darstellen können, dass es nicht nur dem engsten Fachkollegen verständlich ist, sondern ein breiteres Publikum anspricht, denn Bücher wie wir sie machen, muss man einfach in größerer Auflage verlegen, um zu einem vernünftigen Preis zu kommen. "

    Der liegt für Hirmer-Bücher immerhin zwischen 100/150 und 400 Mark, - mit Ausreißern nach unten - etwa der Reihe 'Museen in Bayern' - und nach oben wie Liebermann -Bänden zu 1480 Mark. Die Gegenwartskunst spielt kaum eine Rolle; das Avantgardistische, Experimentelle oder gar Modische, das nur vorübergehend gelten mag, werde zum Verlagsprofil durchaus nicht passen. Entspricht es also dem Selbstverständnis Hirmers, Kunst erst durch die zeitliche Distanz, durch ihre Bewährung vor der Nachwelt in ihrem Wert bestätigt zu bekommen?

    "Nein, diese Gründe hat es mit Sicherheit nicht; angefangen hat ja mein Vater mit hauptsächlich archäologischen Titeln zur Kunst des Mittelmeerraumes. Dann ging es zeitlich langsam nach oben. Es gibt aber im Bereich zeitgenössischer Kunst eine ganze Menge Verlage, mit einem recht geringen absetzbaren Gesamtvolumen. Man sollte nicht versuchen, da auch noch was zu machen, wenn es nicht eine Sache ist, von der man 300-prozentig überzeugt ist, sondern sich dann lieber auf ein Gebiet konzentrieren, das weniger behandelt wird. Ich sehe den Markt einfach als viel zu eng. Große Konkurrenz sollte man da nicht machen."

    Tatsächlich ist der Hiriner Verlag eine distinguierte Erscheinung gegenüber den Großen der Branche, die in leichtverständlichen Paperbacks schnell mal über Michelangelo, Rembrandt, Warhol oder das italienische Design informieren, die zu Schleuderpreisen Bildbände auf den Markt werfen, deren Abbildungen man schon unbesehen kennt, die also just das liefern, was ein breites Publikum unter Kunst zu verstehen hat und fürs heimische Bücherregal zu investieren bereit ist. Mit dem anspruchsvollen Kunstbuch, das eine umfassende Darstellung durch Autoren wie Jens Christian Jensen, Klaus Lankheit, Magdalena Moeller, Hans Belting oder Joaclüm Poeschke bietet und das in der Reproduktion bestmögliche Originalnähe bringt, mit einem Kunstbuch, das Lesen und Anschauen nicht nur als intellektuelle Vermittlung auffasst sondern auch als eminent sinnliche Erfahrung zelebriert - damit schwimmt Hirmer gegen den Strom. Gerade deshalb braucht er aber nicht zu fürchten, im Zeitalter der neuen Medien unterzugehen. Das Intenet ist nicht der Gegenspieler, sondern der Gegenpol, der einen ganz anderen Bedarf abdeckt als das hochwertige Kunstbuch. Und das ist etwas Lebendiges, hat Charakter und macht so das persönliche Engagement der Verantwortlichen unmittelbar ersichtlich.

    Auf der Bestenliste der Verlagsgeschichte sind zahlreiche Titel zu finden, in denen der Name Hirmer für fotografische Arbeit steht. Sie ist seit jeher Chefsache und war für den Firmengründer Professor Dr. Max Hirmer zunächst die Basis seiner 'Gesellschaft für wissenschaftliches Lichtbild mbH', die ab 1948 Postkarten, Kartenserien zum süddeutschen Barock sowie Kirchenführer veröffentlichte. 1952 - man formierte nun unter `Hirmer Verlag München' - erweckte Reinhard Lullies' Band 'Griechische Vasen der reifarchaischen Zeit' mit Aufnahmen von Max Hirmer auf der Frankfurter Buchmesse große Aufmerksamkeit und führte zu der Verbindung mit dem Londoner Phaidon Verlag. 1955 erschien 'Ägypten: Architektur, Plastik, Malerei in drei Jahrtausenden', ein Gemeinschaftswerk von Kurt Lange und Max Hirmer. Es wurde von Verlagen in Paris, London und Florenz übemommen und ist mir mit einer Auflage von weit über 250.000 Exemplaren bis heute das erfolgreichste Buch des Verlages.

    Vom Vater lernten Albert Hirmer und Irmgard Ernstmeier-Hirmer sowohl das Verlagshandwerk als auch das Fotografieren von der Pieke auf, und der Ertrag ihrer gemeinsamen Fotoreisen hat zum Erfolg ihrer Bücher mindestens ebenso beigetragen wie die Texte ihrer renommierten Autoren. Auf meine Frage, welche Grundsätze ihn und seine Schwester bei der fotografischen Arbeit leiten, antwortete mein Gesprächspartner:

    "Es soll in erster Linie das Kunstwerk dargestellt werden und nicht irgendeine effekthaschende Fotografie. Wir legen Wert drauf, dass das Kunstwerk als solches zur Darstellung kommt, aber nicht darauf, dass jetzt nun besondere Beleuchtungseffekte, die etwa ganze Partien im Schatten liegen lassen, die Bilddramatik erhöhen. Also keine Inszenierung des Werkes in der Fotografie, die gleichwohl den Text nicht nur illustrieren sondern vertiefen soll.

    Diese Fotoautorschaft wird anschaulich in Werken wie Dieter Kimpels und Robert Suckales 'Gotische Architektur in Frankreich 1130-1270', in Ursula Mendes 'Bronzetüren des Mittelalters 800-1200' oder in dem Romanik-Band von Joachim Poeschkes 'Skulptur des Mittelalters in Italien', dem ein Band zur Gotik folgen wird.

    Und für nächstes Frühjahr ist 'Die kirchliche Barockarchitektur in Bayern und Oberschwaben 1580-1780' von Bernhard Schütz angekündigt, thematisch ein typischer Hirmer-Band, zu dem denn auch Albert Hirmer über die Hälfte der Aufnahmen beisteuern wird.