Donnerstag, 28. März 2024

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In Griechenland "darf man nicht mehr einsparen"

Die Krise in Griechenland sei nicht mit weiteren Sparmaßnahmen zu lösen, sagt Giorgos Chondros vom Zentralkomitee der Syriza-Partei. Der Schuldenabbau müsse an den Aufschwung gekoppelt werden. Die 100 Millionen Euro von Deutschland seien zudem nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Giorgos Chondros im Gespräch mit Jasper Barenberg | 18.07.2013
    Jasper Barenberg: Bis zu 15.000 griechische Staatsbedienstete werden wohl in den nächsten Monaten ihren Job verlieren: Lehrer, Polizisten, Hausmeister. Mit der knappen Entscheidung erfüllt Griechenland einmal mehr Bedingungen der internationalen Geldgeber. Finanzminister Wolfgang Schäuble dürfte zufrieden sein, er hält schmerzhafte Reformen bekanntlich für unumgänglich. Auf der anderen Seite will Schäuble bei seinem Besuch heute in Athen Hilfe anbieten, um vor allem kleinen und mittelständischen Unternehmen auf die Sprünge zu helfen.

    Am Telefon begrüße ich Giorgos Chondros, Mitglied im Zentralkomitee bei dem Oppositionsbündnis Syriza. Guten Tag.

    Giorgos Chondros: Schönen guten Tag nach Deutschland!

    Barenberg: Herr Chondros, 100 Millionen Euro hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble im Gepäck heute auf dem Weg nach Athen – Geld, das vor allem dazu genutzt werden soll, Unternehmen mit Krediten zu versorgen, ein großes Problem ja in Griechenland. Begrüßen Sie diese Hilfe?

    Chondros: Die Frage ist, wem diese Hilfe zugutekommt, weil wir haben in den letzten Jahren fast 200 Millionen an Hilfe bekommen. Aber wer hat wirklich diese Hilfe sozusagen geerntet? Wir erleben hier eine Katastrophe, eine soziale Katastrophe. Das heißt, die Arbeitslosenrate steigt. Ein kleines Land wie Griechenland hat fast 1,4 Millionen Arbeitslose, hat eine Rezession von über 25 Prozent in den letzten Jahren, und auch die Staatsschulden sind auf 175 Prozent gestiegen. Das heißt, diese gesamte Hilfe, die wir bekommen, kommt nur den Banken zugute und nicht der Bevölkerung. Wir befürchten, dass auch diese 100 Millionen der wirklichen Krise, der wirklichen sozialen Krise nicht zugutekommen werden, sondern nur den Gläubigern und den Banken. Insofern sind wir der Meinung, dass Herr Schäuble nach Griechenland kommt, eben mit diesen 100 Millionen, nicht um Griechenland zu helfen, sondern um für seinen Wahlkampf positive Beiträge zu leisten.

    Barenberg: Dieses Geld, was die Bundesregierung zugesagt hat für den Wachstumsfonds, der aufgelegt werden soll von der Regierung in Athen, dieses Geld soll ja Unternehmen, gerade kleineren Unternehmen, mittelständischen Unternehmen zugutekommen, damit sie Firmen gründen können, damit sie Arbeitsplätze schaffen können. Sie glauben nicht, dass das ein sinnvoller Weg ist?

    Chondros: Es ist ein Wassertropfen auf den heißen Stein, wie man auf Deutsch sagt. Wenn man, Herr Barenberg, so eine hohe Arbeitslosenrate hat und wenn man weiß, dass Griechenland in seiner besten Zeit 40.000 Arbeitsplätze im Jahr geschaffen hat, dann brauchen wir über 40 Jahre, um diesen Arbeitslosen eine Beschäftigung zu geben, wenn wir es schaffen würden, noch mal in so eine Entwicklung zu kommen, in der wir vor 10, 15 Jahren waren. Das Problem ist insofern nicht mit solchen Mitteln zu lösen. Ich meine, die Krise in Griechenland kann man nicht mit solchen Mitteln bekämpfen.

    Barenberg: Was, Herr Chondros, ist denn die Alternative zu dem Weg, den ja auch die internationalen Geldgeber vorschlagen oder verlangen, nämlich zunächst einmal den Haushalt in Ordnung zu bringen und dann der Wirtschaft wieder auf die Sprünge zu helfen?

    Chondros: Es gibt bereits eine sehr starke, sehr heftige internationale Diskussion darüber. Selbst die Geldgeber, selbst der Internationale Währungsfonds hat öfters zugegeben, dass dieses Programm nicht aufgeht. Weil wenn man ein Land kaputt spart, wenn man eine Wirtschaft kaputt spart, ist es fast unmöglich, wieder in eine Entwicklung zu kommen, und das ist in Griechenland der Fall. In den letzten drei Jahren wie gesagt, als wir in die Krise hineingegangen sind, hatten wir eine Schuldenlast von 120 Prozent. Jetzt sind wir auf 175, obwohl wir einige Hundert Milliarden an Hilfe bekommen haben. Wie es öfters in der Geschichte war: Wenn man in einer solch großen Wirtschaftskrise ist, darf man nicht mehr einsparen. Das, was aber in Griechenland ausprobiert wird, ist ein Szenario, wo man ausprobieren möchte, wie viel ein Land, wie viel ein Volk an Einsparungen aushalten kann.

    Barenberg: Das Problem haben die Verantwortlichen in Brüssel und ja auch in Berlin jetzt ja offensichtlich auch erkannt, dass Sparen allein nicht aus der Krise führen kann, sondern dass das auch heftige, harte Folgen für Griechenland zunächst einmal hat, und deswegen wird jetzt beispielsweise in Brüssel überlegt, wie man etwas gegen Jugendarbeitslosigkeit tun kann, und auch dieser Wachstumsfonds, von dem jetzt die Rede ist, soll ja dazu beitragen, dass man auch positive Impulse setzen kann. Ich habe noch immer nicht ganz verstanden, warum Sie diesen Teil des Plans ablehnen.

    Chondros: Ich habe gesagt, dieser Teil, diese 100 Millionen, das ist ein Wassertropfen auf einen heißen Stein. Er kann schon was beitragen, aber wie kann man die Jugendarbeitslosenquote, die in Griechenland bereits über 60 Prozent liegt, mit 100 Millionen bekämpfen, wenn man gleichzeitig Leute in die Arbeitslosigkeit schickt. Gestern hat das griechische Parlament mit knapper Mehrheit beschlossen, noch mehr Stellen im öffentlichen Sektor abzubauen – dieses Jahr 4000, nächstes Jahr 15.000. Wenn man gleichzeitig Menschen in die Arbeitslosigkeit schickt, kann man mit 100 Millionen nichts retten.

    Unserer Meinung nach ist die Lösung, der Ausweg aus dieser Katastrophe, wenn man die gesamte Politik, die gesamte Richtung ändert. Das heißt, man kann mit dieser Memorandumsvorlage nicht weiterkommen, das weiß schon jeder, das hat jeder in Griechenland und nicht nur in Griechenland, sondern auch international begriffen. Man muss dieses Memorandum annullieren, man muss die Kredite neu verhandeln, neu aushandeln und man muss vorrangig an die Bedürfnisse der Bevölkerung gehen und nicht an die Bedürfnisse der Kreditgeber.

    Barenberg: Und das heißt, die Kreditgeber, Herr Chondros, sollen dann auch auf große Teile ihrer Kredite und der Steuergelder, die das in den jeweiligen Ländern bedeutet, verzichten?

    Chondros: Wie es bis jetzt der Fall ist, Herr Barenberg, haben die Steuerzahler keinen einzigen Euro bezahlt. Deutschland hat bis jetzt nur Versicherungen für die Kredite Griechenlands gegeben. Es läuft schon eine Diskussion über die Möglichkeit eines großen Schuldenschnitts Griechenlands. Über diesen Weg kommen wir nicht hinweg. Die Frage ist, wer diesen Schuldenschnitt bezahlen wird, weil wir hatten schon bereits für die griechischen Schulden einen Schnitt gehabt, den nicht die Steuerzahler bezahlt haben, sondern die griechischen Arbeiter selber, weil die Versicherungsanstalten Geld verloren haben.

    Man muss eine internationale Diskussion führen, wie man das Problem der Schulden nicht nur Griechenlands, sondern auch insgesamt europaweit, meine ich, auch der anderen Länder löst. Weil es hat nicht nur Griechenland ein Schuldenproblem. Italien hat auch, Spanien hat auch, Portugal hat auch, Deutschland auch. Deswegen sind wir der Meinung, das Problem ist nur im Rahmen einer internationalen Konferenz zu lösen, wo man über die Schuldenfrage insgesamt diskutiert.

    Und da darf ich an den Fall Deutschlands erinnern, wo nach dem Krieg auch im Rahmen einer internationalen Konferenz die Schulden Deutschlands erstens einmal gekürzt wurden, beschnitten wurden, und der Rest, was übrig geblieben ist, wurde mit einer Entwicklungsklausel bezahlt. Das heißt, je höher, je größer die Entwicklung, der Wirtschaftsaufschwung in Deutschland war, desto mehr hat Deutschland damals seine Schulden abbezahlt. Das schlagen wir auch für Griechenland vor und nicht nur für Griechenland, sondern auch für alle anderen Länder, die vor diesem Problem stehen. Der Weg, der jetzt praktiziert wird, macht ein Land kaputt, macht ein Volk kaputt und macht auch eine Wirtschaft kaputt. Das heißt, die Wirtschaft selber hat nichts davon.

    Barenberg: Heute Mittag im Deutschlandfunk Giorgos Chondros, Mitglied im Zentralkomitee der Syriza-Partei. Vielen Dank für das Gespräch.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.