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"In keinster Weise das Gefühl etabliert zu sein"

Für seine Filmmusik zum Kinoerfolg "Wer früher stirbt ist länger tot" erhielt Gerd Baumann 2007 den deutschen Filmpreis. Unter anderem mit dem Ex-Fußballprofi Mehmet Scholl gründete er 2011 das Musik-Label "Millaphon". Neuerdings betreibt er außerdem einen Live-Musik-Club in München.

Von Andi Hörmann | 27.02.2013
    Ein wuchtiges Holztor in der Müllerstraße in München. Hinterhof, Rückgebäude, Erdgeschoss. Millaton - Das Tonstudio von Gerd Baumann. Am Eingang links, hinter einer Lamellen-Schrankwand versteckt: die Kaffeeküche. In der Ecke: Tisch und Couch.

    "Das ist die Regie-Couch. Da sitzen die Regisseure und Produzenten und erzählen mir dann, dass das schon ganz schön war, aber dass ich es doch noch etwas anders machen muss - hin und wieder."

    Gerd Baumann sitzt vor einer Leinwand für Filmprojektionen an seinem Arbeitsplatz und bearbeitet Töne und Melodien zu bewegten Bildern. Vor ihm: ein Sammelsurium an elektronischen Gerätschaften.

    "Der Computer ist das Herzstück. Die Teile hier sind Mikrofon-Vorverstärker Das sind Mugerfooger, so analoge Effektgeräte. Das sind einfach Controller, so eine Art Mischpult. Das sind digitale Wandler. Das ist eine Lampe. Es ist relativ dunkel und kalt. Jeder, der hier reinkommt, friert und ich bin da schon so daran gewöhnt. Ich mag das ganz gern: So leicht frösteln. Da freut man sich wieder auf das Warme."

    Gerd Baumann - 1967 in Forchheim bei Erlangen geboren - wächst in einem Münchner Vorort auf. Seine erste Theatermusik schreibt er mit Anfang 20 - eine 50er-Jahre-Revue nach Georg Büchners "Leonce und Lena". In den 90er-Jahren studiert Baumann Gitarre und spielt in der Live-Band von Konstantin Wecker. Für die Münchner Biennale 1995 dann die erste große Bühnen-Musik: Für den Monty-Python-Regisseur Ian MacNaughton schreibt er eine Oper im Zirkus-Stil.

    "Inhaltlich und von der Arbeit eine grandiose Erfahrung aber von den Pressereaktionen ein Desaster. Die haben mich hinterher total fertiggemacht. Da hat es geheißen: Die Musik von Baumann klang so, als hätte man warmes Bier in kalten Kaffee gegossen."

    2005 vertont Gerd Baumann das Kinodebüt von Marcus H. Rosenmüller: "Wer früher stirbt ist länger tot" - die Geschichte von einem Jungen in den Mühlen des ländlichen Katholizismus. Bis dato hat er für alle neun Rosenmüller-Filme die Musik geschrieben. Heimatfilme aus dem bayerischen Hinterland - ein wiederbelebtes Kino-Genre. Seine Filmmusiken sind mal wild, mal subtil im Stilmix. Für die Musik zu "Sommer der Gaukler" hat er etwa die Idee, eine Farfisa-Orgel mit symphonischem Orchester zu kombinieren.

    "Ein guter Freund vom Rosenmüller und von mir, der Josef - der Striezel Wollinger, dem hab ich das so erzählt. Das ist der Oberbeleuchter. Dann hat er gesagt: Du ich habe eine Farfisa bei mir im Keller stehen! Dann habe ich mir die abgeholt, so ein Monstrums-Teil, eine 60-Kilo-Orgel. Aufgebaut. Dann war klar, das ist genau das Richtige."

    Auf dem Schrank eine Zirkustrommel, am Fenster ein Harmonium - analoge Trödelmarkt-Instrumente neben High-End-Studiotechnik. Duzende Saiteninstrumente hängen bei Gerd Baumann an den Wänden - ein Himmel voller Gitarren.

    2011 hat Gerd Baumann unter anderem mit Mehmet Scholl das Musik-Label "Millaphon" ins Leben gerufen. Seit Herbst 2012 betreibt er in München zusammen mit dem Konzertveranstalter Till Hoffmann und Peter Brugger von Sportfreunde Stiller den Live-Musik-Club "Milla". Und 2013 wird er zum Dozenten für Filmmusik an der Musikhochschule München. Gerd Baumann ist auf vielen Bühnen zu Hause - immer rastlos und neugierig unterwegs im Auftrag der Musik.

    "Ich habe überhaupt in keinster Weise das Gefühl, etabliert zu sein. Oder, dass ich jetzt einer bin, der zufrieden auf das schauen kann, was er alles gemacht hat. Ganz im Gegenteil. Und deswegen habe ich so diese Unruhe, die einen immer so antreibt, dass man einfach immer weitermachen will und weiterlernen. Viele Sachen ausprobieren und sich neuen Herausforderungen stellen, das ist ungebrochen, das habe ich nach wie vor."