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In Konventionen gefangen

Maeve Brennan stellt in den Erzählungen des Bandes "Der Teppich mit den großen pinkfarbenen Rosen" eine sehr bedrückende Atmosphäre von häuslicher Enge her. Der psychologische Realismus ihrer Kurzgeschichten rückt vor Augen, wie schmal der Grat der Konvention ist. Hinter der scheinbar bürgerlichen Normalität tun sich seelische Abgründe auf.

Von Tanya Lieske | 03.07.2007
    Der Teppich mit den großen pinkfarbenen Rosen liegt im Wohnzimmer des Dubliner Reihenhauses. Er ist ein Schmuckstück, der Stolz der Hausfrau, die immer Mrs. Bagot genannt wird, so als wolle die Autorin Maeve Brennan zwischen dem Leser und Mrs. Bagot Distanz halten. Die Welt der Mrs. Bagot endet jenseits ihres Wohnzimmers, jenseits des knapp gestutzten Rasens beim Gartentor. Sie ist so genau bemessen, dass sehr schnell klar wird, dass wir es mit einem Gefängnis zu tun haben. Und tatsächlich: In keiner der folgenden Erzählungen wird Mrs. Bagot jemals einen Fuß vor die Tür ihres kleinen Reihenhauses setzen. Sie ist gefangen in der Konvention ihres Daseins als Mutter und Hausfrau. Einer Konvention, die umso mächtiger wird, als dass sie mit keinem Wort erwähnt wird.

    Ehen, die im Schatten dieser Konvention geschlossen werden, sind unglücklich. Das ist eine Resümee der Literatur des 20. Jahrhunderts. Bei Delia Bagot und ihrem Mann Martin liegt die Ursache des Unglücks darin, dass ihnen die Sprache versiegt ist. Beide sind fähig zur Selbstreflexion, doch aus übergroßer Rücksicht teilen sie sich nicht mehr mit. Maeve Brennan schreibt:

    "Sie wußte, dass es zwischen ihnen nicht zum besten stand, doch solange die Kinder im Haus waren, wollte sie aus Angst vor einem Streit, der die Kinder ängstigen konnte, nichts sagen, und nun, da die Kinder fort waren, schreckte sie ebenfalls davor zurück, aus Angst, ein Schweigen zu durchbrechen, das, wenn es erst einmal durchbrochen war, alle möglichen Dinge zutrage fördern mochte, die sie nicht wahrhaben wollte und die, da war sie sich sicher, auch er nicht wahrhaben wollte."

    Wie auf dem Boden eines solchen Schweigens Missverständnisse wachsen, und wie daraus Aggression entsteht, das zeigt uns Maeve Brennan in der glänzenden ersten Erzählung "Der zwölfte Hochzeitstag". An diesem stellt Delia Bagot ihre schönste Vase mit selbstgepflückten Blumen in jene Kammer, die ihr Mann schon lange als Schlafzimmer benutzt unter dem Vorwand, die Familie nicht aufwecken zu wollen, wenn er spät von der Arbeit nach Hause kommt. Sie will ihm eine Freude bereiten. Er findet die Blumen und begreift sie als Vorwurf. Er könnte den Hochzeitstag vergessen haben, was nicht der Fall ist, aber er zog das Schweigen einer Umarmung vor. Er will die Blumen aus dem Zimmer schaffen, dabei zerbricht ihm die Kristallvase, von der er weiß, dass es ihre liebste ist. Schuldgefühle kommen auf, dann Wut, dann ein Plan zur Vertuschung des ganzen Unternehmens. Maeve Brennan schreibt, es spricht Martin Bagot:

    "Ob sie etwas sagte oder nicht, ob sie im Zimmer war oder nicht, ihr war nicht zu entkommen. Und es hatte keinen Sinn, mit ihr zu streiten."

    Mit solch genauen Sätzen gelingt es Maeve Brennan, eine sehr bedrückende Atmosphäre von häuslicher Enge herzustellen. Der psychologische Realismus ihrer Kurzgeschichten rückt uns vor Augen, wie schmal der Grat der Konvention ist. Hinter der scheinbar bürgerlichen Normalität tun sich seelische Abgründe auf.

    In den folgenden Erzählungen, die es an Komposition und Sprachmacht nicht ganz mit der ersten aufnehmen können, steht Delia Bagot allein im Zentrum der Handlung. Und immer wieder führt Maeve Brennan sie an den Rand des Wahns heran, wenn sie Angst hat vor dem Wind, Angst vor der Zeit, Angst vor dem eigenen Versagen.

    In der letzten Erzählung der Sammlung schlägt Maeve Brennan einen deutlich anderen Ton an. Delia Bagot ist gestorben. Ihr Mann Martin ist sehr alt, es spricht dessen Zwillingsschwester Min. In einem fast schon satirischen Monolog greift sie allerlei Zustände der irischen Gesellschaft auf, von den Widersprüchen zwischen Stadt- und Landleben bis hin zu den Neurosen jener traditionellen Großfamilien, die in Irland von Frauen dominiert werden.

    Maeve Brennan, die 1934 mit ihrer Familie von Dublin nach Amerika auswanderte, ist in ihrem erzählenden Werk ihrer Heimat Irland treu geblieben. Sie steht in der Tradition der großen irischen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts, ihre Arbeit erinnert an Elizabeth Bowen und Edna O'Brien. Und auch dies ist zu berichten: Ihr Werk nahm ihr eigenes Schicksal voraus. Am Ende ihres Lebens bekam Maeve Brennan Depressionen und schizophrene Schübe, sie verstarb mittellos 1993 in New York, und fast hätte die Welt der Literatur sie vergessen.


    Maeve Brennan: Der Teppich mit den großen pinkfarbenen Rosen Erzählungen. Aus dem Englischen übersetzt von Hans-Christian Oeser
    Steidl Verlag, Göttingen, 2007
    176 Seiten. 16 Euro