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In Libyen ist Deutschland "im Moment außen vor"

Im Gegensatz zu Deutschland haben Großbritannien und Frankreich in Libyen Führungsstärke bewiesen, sagt Politikwissenschaftler Johannes Varwick: "Deutschland hat überhaupt gar nichts dazu beigetragen."

Johannes Varwick im Gespräch mit Christian Bremkamp | 16.09.2011
    Christoph Heinemann: Rebellenverbände haben nach Angaben des libyschen Übergangsrats Syrte, die Geburtsstadt des untergetauchten Machthabers Gaddafi, erreicht. Kämpfer der Aufständischen hätten die Verteidigungslinien der Gaddafi-treuen Truppen im Süden und Westen der Küstenstadt durchbrochen, das sagte ein Sprecher des Übergangsrats der britischen BBC. Die Anti-Gaddafi-Truppen seien noch etwa acht bis zehn Kilometer vom Stadtzentrum entfernt.
    Nach dem französischen Staats- und dem britischen Regierungschef, nach Nicolas Sarkozy und David Cameron, wird der türkische Ministerpräsident Erdogan heute nach Libyen reisen. Auch er wird dort versuchen, seinem Land einen Teil des Kuchens zu sichern. "Wo bleibt Angela Merkel?", hat mein Kollege Christian Bremkamp den Politikwissenschaftler und Experten für internationale Beziehungen, Johannes Varwick von der Universität Erlangen, gefragt.

    Johannes Varwick: Ich denke, Angela Merkel weiß selber, dass sie sich in der Libyen-Frage nicht mit Ruhm bekleckert hat. Insofern wäre es völlig deplatziert, wenn sie jetzt da in erster Reihe diese Reisetätigkeit machen würde.

    Christian Bremkamp: Ist der Zug für Deutschland damit also bereits abgefahren in Libyen?

    Varwick: Das glaube ich nicht. Ich denke, in der internationalen Politik ist Dankbarkeit keine dauerhafte Kategorie. Es geht am Ende um handfeste Interessen. Und natürlich wird auch die neue libysche Führung auf deutsche Ingenieurskunst, auf deutsche Wirtschaftskraft setzen müssen. Aber natürlich ist es genauso sicher, dass Deutschland da jetzt nicht in der ersten Reihe steht, weil natürlich verständlicherweise die Staaten, die sich auch militärisch engagiert haben, jetzt da gewissermaßen das erste Zugriffsrecht auf den sozusagen ökonomischen Aufschwung, der jetzt sicherlich kommt in Libyen, haben werden.

    Bremkamp: Aber Sie würden auch sagen, dass dieses klare Nein zu einer Beteiligung an diesem Libyeneinsatz dann politisch ein Fehler war?

    Varwick: Ganz gewiss war das politisch ein Fehler. Ich glaube, das haben auch alle in Berlin inzwischen erkannt, dass das wirklich eine Fehleinschätzung war. Und der Preis für diese Fehleinschätzung, der ist relativ hoch: jetzt weniger im Blick auf Wirtschaftsinteressen in Libyen, sondern auf die gesamte Rolle der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Das hat deutschen Interessen massiv geschadet in meiner Bewertung.

    Bremkamp: Wie bedeutsam sind denn eigentlich solche Besuche wie der von Cameron und Sarkozy heute? Geht es da wirklich um mehr als schöne Bilder, um mehr als reine Symbolik?

    Varwick: Das sind natürlich schöne Bilder, das ist auch nicht unwichtig für die nationale Öffentlichkeit. Und ich denke, es trägt auch dazu bei, dass man jetzt ein Vertrauensverhältnis zu den neuen Akteuren in Libyen aufbaut. Insofern sind solche politischen Besuche durchaus richtig.

    Bremkamp: Neue Akteure, sagen Sie. Dieser Nationale Übergangsrat, der ist ja nicht frei gewählt, der ist eigentlich nicht wirklich eine legitimierte Regierung. Wie verlässlich sind da Absprachen mit dessen Vertretern?

    Varwick: Ich glaube, man sollte jetzt in der Tat nicht vorschnell feiern, weil die Stabilisierung nach Bürgerkriegen ist sehr schwierig. Das haben eigentlich alle Einsätze der vergangenen Jahre gezeigt. Und es ist noch nicht geklärt, die Situation in Libyen. Das heißt, es ist noch Raum in alle möglichen Richtungen. Insofern ist man jetzt gut beraten, sich nicht zu sehr festzulegen, sondern einfach diese Entwicklung zu beobachten und zu versuchen, nach seinen eigenen Interessen zu gestalten. Und das machen Cameron und Sarkozy eigentlich jetzt sehr geschickt.

    Bremkamp: Aber wird da nicht möglicherweise ein Kuchen verteilt, bevor er gebacken ist?

    Varwick: Die Alternative wäre, sich jetzt ganz rauszuhalten und die Dinge sozusagen treiben zu lassen. Ich glaube, das wäre keine gute Alternative. Man muss jetzt schon signalisieren, dass man die Kräfte, die jetzt die Oberhand haben in Libyen, die ja immerhin eine blutige Diktatur gestürzt haben – das sollten wir nicht vergessen -, erfolgreich gestürzt haben mithilfe der NATO, aber insbesondere auch mithilfe der Briten und der Franzosen, da sollte man sozusagen jetzt die Kontakte knüpfen. Und das ist eigentlich ganz vernünftig, das jetzt so zu tun, wie das läuft.

    Bremkamp: Welche Kanäle bleiben der Bundesregierung, sollte sie an einem Einfluss in der Region wirklich noch Interesse haben?

    Varwick: In der Region ganz gewiss. Die gesamte arabische Region ist natürlich von strategischer Bedeutung für Europa und damit auch für Deutschland. Aber ich glaube, die oft beschriebenen Wirtschaftsinteressen sind in Libyen nicht so entscheidend. Wenn man sich mal die Statistiken anschaut, allein von den Einwohnerzahlen. Libyen hat gut fünf Millionen Einwohner, das ist so was wie zwischen Sachsen und Hessen von der Größenordnung. Vom Bruttoinlandsprodukt liegt Libyen ungefähr an 70. Stelle der Welt. Also, es ist kein massiver wirtschaftspolitischer Akteur, Libyen. Natürlich gibt es Rohstoffinteressen, Öl und Gas und anderes, aber das ist, glaube ich, nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist, dass Frankreich und Großbritannien in dieser schwierigen Umbruchsituation in der arabischen Region Führungsstärke gezeigt haben und letztlich mit ihrem militärischen Beitrag die demokratischen Kräfte so unterstützt haben, dass sie jetzt gesiegt haben. Und das ist eine sehr, sehr positive Entwicklung und Deutschland hat überhaupt gar nichts dazu beigetragen zu dieser positiven Entwicklung.

    Bremkamp: Gibt es denn noch eine Möglichkeit, eine Chance für Deutschland, sich da einzureihen?

    Varwick: Man wird sich versuchen, jetzt an den Geleitzug der EU zu hängen, aber die EU ist natürlich im Moment außenpolitisch kein zentraler Akteur. Das geht sozusagen stark zu den Hauptstädten. Und die drei großen in der Europäischen Union, also Deutschland, Frankreich und Großbritannien, sollten da eigentlich an einem Strang ziehen. Das tun sie aber nicht, weil eben die Vorgeschichte dieses Libyen-Krieges so kompliziert ist. Insofern ist Deutschland da im Moment außen vor und kann allenfalls im Geleitzeug der Europäischen Union da jetzt wieder etwas an Einfluss gewinnen.

    Bremkamp: Schauen wir zum Schluss noch mal gerade nach links und nach rechts. Tunesien, Ägypten, da wollte sich Deutschland auch massiv einmischen, zumindest auf politischer Ebene. Wie sieht die Rolle Deutschlands da im Moment aus?

    Varwick: Das ist eine komplett andere Situation. Da war ja kein "Regime Change" von außen erfolgt, wo Deutschland quasi gepasst hat, sondern da hat Deutschland die politischen Bemühungen unterstützt und das ist auch ganz vernünftig. Und ich glaube, da ist der Einfluss Deutschlands nicht so massiv geschwächt, wie das jetzt in diesem Sonderfall Libyen der Fall ist.

    Heinemann: Der Politikwissenschaftler Johannes Varwick von der Universität Erlangen. Die Fragen stellte mein Kollege Christian Bremkamp.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.