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In Madrid baut die Protestbewegung ihr Camp ab

Sie protestierten auf dem Platz "Puerta del Sol" gegen die Wirtschaftsreformen und Sparmaßnahmen der spanischen Regierung, und sie schliefen dort, um ihrem Protest Nachdruck zu verleihen. Doch nach nunmehr vier Wochen ist Schluss mit dem Demo-Camp.

Von Hans-Günter Kellner | 14.06.2011
    Einen Tag lang haben die Mitglieder der "Kommission Schreinerarbeiten" mit Sägen, Nägeln und Hämmern gearbeitet, bis der Infostand fertig war, der als letztes Zeugnis der "Bewegung 15-M" auf dem Platz Puerta del Sol zurückbleiben soll. Pablo hat mit Hand angelegt:

    "Der wichtigste Teil ist diese Art Halle, die wir aus Holzpaletten gezimmert haben und die ein Versammlungsraum für die Ausschüsse der Initiative werden soll. Das wird noch mit Planen überzogen, falls mal schlechtes Wetter ist. Und in diesem Würfel dort sollen sich alle informieren können, die wissen wollen, was die Bewegung 15-M hier auf dem Platz einmal bedeutet hat."

    Viele auf dem Platz beschreiben die Bewegung als eine persönliche Befreiung. So auch Álvaro. Der 26-Jährige Kameratechniker macht seit Jahren ein Praktikum nach dem anderen, hält sich mit Hochzeitsfotos über Wasser, die in der Krise immer schlechter bezahlt werden. Er hat vier Wochen lang im Protestcamp gelebt:

    "Ich war wirklich verärgert. Ich sah keine Perspektiven mehr. Endlich protestierte mal jemand. Endlich sagten die Leute, dass sie nicht bereit sind, alles zu schlucken. Darum kam ich. Ich spürte in meinem Innersten, dass ich dabei sein muss."

    Zum Ende haben sich die Protestierenden auf vier Grundforderungen geeinigt. Sie wollen mit Volksabstimmungen in der Politik direkt mitbestimmen, fordern mehr Transparenz in der öffentlichen Verwaltung, eine bessere Trennung von Justiz und Politik und vor allem eine Reform des Wahlrechts, das in seiner jetzigen Form die großen Parteien bei der Sitzverteilung begünstigt. Doch diese Ziele wurden auch schon vier Wochen formuliert, als die Bewegung sich formiert hatte. Das Ziel der Versammlungen, Entscheidungen immer im Konsens zu beschließen, habe weitere konkrete Forderungen unmöglich gemacht, erklärt Álvaro.

    "Das ist offensichtlich, das ist ein Problem. Aber wir sind hier jeden Tag und lernen jeden Tag dazu, wie man neue Dinge in Gang setzen kann. Wie man sich Dinge auch vorstellen kann. Wir lernen ja erst, für uns selbst zu denken. Das ist ja vorher nicht passiert. Wir haben auch nicht gelernt, unsere Träume und Vorstellen in konkrete Vorschläge umzusetzen."

    Die Protestierenden eint vor allem eins: ihr Eindruck, dass die schweren Konsequenzen der Wirtschaftskrise in Spanien vor allem die fast fünf Millionen Arbeitslosen zahlen, die diese Krise nicht zu verantworten haben, während die Gehälter von Spitzenmanagern unangetastet bleiben. Andere grundlegende Fragen bleiben hingegen ungeklärt: Will die "Bewegung 15-M" eine Revolution oder Reformen?

    "Da gibt es eben diese Tendenz von Leuten, die sich ein ganz neues System erträumen. Oder die anderen, die das bestehende System reformieren wollen. Das ist nicht geklärt. Ich weiß nicht, wo ich da stehe. Natürlich will ich konkrete Dinge verändern. Aber ich weiß nicht, ob mir das reicht."

    Bei aller Vielstimmigkeit: Die Kapitalismuskritik dominiert auf dem Platz. Am Sonntag soll es eine neue Kundgebung gegen die Sparauflagen im Rahmen des Eurostabilitätspakts geben. Unterdessen haben die Protestierenden die Puerta del Sol ein letztes Mal gekehrt - zur besenreinen Übergabe des Platzes an die Stadtverwaltung und an die Ladenbesitzer, die über deutliche Umsatzeinbußen geklagt hatten. Auf dem Boden vor dem Sockel des Reiterstandbilds von Karl III. in der Platz Mitte haben Künstler eine Gedenkplakette aus Bronze eingelassen: "Wir schliefen und sind aufgewacht", steht darauf. Der 23-jährige Pianist und Musik-Student Álvaro, der ebenfalls von Beginn an dabei ist, legt sein Zelt zusammen und warnt die Politiker, den Abzug der Camper als Ende der Protestbewegung zu verstehen:

    "Die Erinnerung an diesen Platz bleibt, auch an Mahnung an die Mächtigen: Wenn ihr nicht auf uns Bürger hört, können wir unser Protestlager ganz schnell wieder aufschlagen."