Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


In memoriam Brecht

Sie sind Komponisten, die als Jahrhundertzeugen gelten, deren Werke man heute jedoch nur im Ausnahmefall in den Spielplänen findet: Harald Genzmer, Ursula Mamlok und Paul Dessau. Von allen Dreien sind neue Tonträger erschienen.

Von Frank Kämpfer | 23.08.2009
    Paul Dessau, In memoriam Bertold Brecht
    CD Capriccio 5019, LC08748
    Take 02
    0:00 – 4:10


    Befremdliche Klangwelt, ohne heutige Glätte. Der Orchestersatz voller Untiefen, Strudel – darüber, vom Blech zum Hymnus erhoben, später gegen ihr Verschwinden anringend die einstmals unverwüstliche Melodie. Der Cantus firmus zitiert Brechts Lied der Mutter Courage – Komponist Paul Dessau (1894 - 1979) verwendet es 1957, ein Jahr nach Brechts Tod in einer Referenz-Komposition. Es ist die vielleicht mutigste Orchestermusik, die im ersten Jahrzehnt des ostdeutschen Staates entsteht, und noch heute eine der wichtigen Arbeiten des Komponisten.

    Brechts Ableben verändert Dessaus Position in der Kulturszene in Ostberlin. Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre rückt der Enkel eines Hamburger jüdischen Kantors unwiderruflich in die Reihe jener, die politischer Kunst ästhetische Avanciertheit abfordern und die zugleich ihre Schüler mit diesem Maß prägen. Dessaus In memoriam Brecht ist folglich expressive Musik gegen Militarisierung und Krieg; Bezugnahmen auf beider Lukullus-Oper geistern in ihr umher; Satz drei, der Epitaph, deutet an, dass (zumindest in der Musik) etwas Neues beginnt.

    Die vom Deutschen Sinfonieorchester Berlin mit Roger Epple am Pult neu eingespielte Orchester-CD, die pünktlich zum 30. Todestag Dessaus im Sommer beim Label Capriccio erschien, beginnt mit dieser Trauermusik. Gegenstand der Platte ist allerdings nicht, Dessaus späte Karriere zu zeigen, in der sich der Leibowitz-Schüler unerwartet zu einem der wichtigen deutschen Opern-Komponisten des 20. Jahrhunderts entwickelt. Der Blick geht vielmehr rückwärts – von den 50er-Jahren zurück ins Frühwerk, für welches hier die reichlich neoklassizistische Sinfonie in einem Satz von 1926 einsteht. Dabei ist auch die Sinfonie Nr.2, die 1934 im Exil in Frankreich entsteht, und die Dessau 1962, im Jahr nach dem Mauerbau, um eine Bartok-Hommage ergänzt.

    Eigentlicher Gewinn der CD sind mehrere gleichfalls in Frankreich entstandene Kompositionen mit Stimme, die reichlich unbekannt sind: Les Voix nach Paul Verlaine, ein frühes dodekaphones Meisterwerk – sowie zwei im Dessau-Archiv der Akadamie der Künste aufgefundene Miniaturen, deren eine, Danse et Chanson espagnole, sich vermutlich auf den Spanischen Bürgerkrieg bezieht:

    Paul Dessau, In memoriam Bertold Brecht
    CD Capriccio 5019, LC08748
    Take 08
    1:55


    Ksenja Lukic (Sopran) und das DSO Berlin unter Roger Epple mit früher Orchester-Musik von Paul Dessau – neu erschienen beim Label Capriccio. Die nächste CD versteht sich als Volume one einer Reihe, die das Lebenswerk einer in Deutschland wenig bekannten deutschen Komponistin dokumentieren will. Wie Paul Dessau, so emigrierte auch die Jüdin Ursula Mamlok (Jahrgang 1923) Anfang der 1940er-Jahre in die Vereinigten Staaten – die Komponistin jedoch zog erst im Jahre 2006 nach Deutschland zurück; ihr Oeuvre ist demnach stark amerikanisch geprägt.

    Vorliegende, bei Bridge Records in New York editierte CD beansprucht Erstbegegnung und Überblicksfunktion. Ein neoklassizistisches Holzbläserquintett von 1956 steht für kompositorische Anfänge. Nach Studien bei Stefan Wolpe und dessen Schüler Ralph Shapey radikalisiert sich Mamloks musikalische Sprache. Das Duo Designs und das Streichquartett, beide auf 1962 datiert, wirken nunmehr turbulent, klangfarblich virtuos. Ein anderes Highlight der Platte, die Aufnahmen mit verschiedenen Interpreten vereint, ist ihr Oboenkonzert. 1976 zunächst für großes Orchester notiert, bündelt das durchkomponierte Opus avancierte Spieltechniken des Blasinstruments. Zugleich wird deutlich, dass Mamlok keiner dogmatischen Avantgarde-Schule anhängt, sondern Instrumental- wie kompositionstechnische Innovation stets mit musikantischen Intentionen verbindet. – Hier ein Hineinhören in das Schlussrondo, das eine Solokadenz und eine Schlagwerk-Passage bietet, ehe es solistisch verklingt. Heinz Holliger (Oboe) und das Ensemble Surplus mit dem kürzlich verstorbenen James Avery am Pult sind die Ausführenden.

    Ursula Mamlok, Concerto für Oboe und Kammerorchester
    CD Bridge Rec.9291, kein LC
    Take 19


    Orchester- und Kammermusik von Ursula Mamlok, veröffentlicht bei Bridge Records New York; weitere CDs einer Mamlok-Reihe sind in Planung.

    Die letzte CD, die ich Ihnen heute anspielen will, ist die musikalisch konventionellste. Komponist Harald Genzmer (1909-2007) blieb gegenüber dem kompositionstechnischem Fortschritt sein Leben lang skeptisch – bis zuletzt folgte er seinem Lehrer Paul Hindemith und dessen Maxime, für Interpreten wie Hörer verständlich zu sein. Ganz in diesem Sinne versteht sich die Mitte der 1980er-Jahre komponierte Dritte Sinfonie, die sich trotz ihrer Fünfsätzigkeit an die seit Ende des 18. Jahrhunderts etablierten Charakteristika hält und ob ihrer grundsätzlichen Anachronismen eine leicht mitvollziehbare Konzertmusik darstellt.

    Das gut halbstündige Werk findet sich neu beim Label Thorophon, das sich seit etlichen Jahren um das Lebenswerk Genzmers bemüht. Das Spannendste der drei bereits im höheren Alter notierten Werke der Platte ist indes die 1977 notierte Orchestermusik nach Versen von Friedrich Hölderlin. Auch diese Arbeit ist fünfsätzig, jeder Abschnitt ist eine Hölderlin-Zeile und mit dieser ein Motto, oder besser eine Atmosphäre zugeordnet. Text-Vertonung findet nicht statt. Nach dem Einleitungs-Satz, darin die Hörner dominieren, folgen pastoralere Abschnitte, in denen mit Oboe und Flöte, Piccoloflöte beziehungsweise Oboe und Klarinette Holzbläser dominieren. Die mehr als 30-minütige Arbeit schließt mit einem forcierten, an Schlagwerken reichen Orchesterfinale. Der Hölderlin-Vers verweist auf Diana als Göttin der Jagd, ein straffer Marsch bricht sich Bahn – im Genzmer’schen Kontext betrachtet, scheint sich etwas geradezu Militantes zu formulieren, das der Komponist aufstrahlen aber immer wieder auch leer laufen lässt.

    Harald Genzmer, Satz V aus Hölderlinfragmente
    CD Thorophon CTH 2556, LC01958
    Take 11


    Soweit ein Hineinhören in das Finale der Hölderlin-Fragmente für großes Orchester von Harald Genzmer – für das Label Thorophon neu eingespielt von der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern unter der Leitung von Andreas Albert. Zuvor hörten Sie bei Bridge veröffentlichte Musik von Ursula Mamlok sowie eine bei Capriccio verlegte CD mit Paul Dessaus früher Orchestermusik. – Soweit für heute "Die Neue Platte", vorgestellt von Frank Kämpfer.