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"In Paris ist die Ausstellung ein riesiger Erfolg"

Deutsche Zeitungen kritisieren die Ausstellung über deutsche Kunst im Louvre, sie zeige ein düsteres Bild von einem mythenversessenen Deutschland. Bénédicte Savoy, Professorin für Kunstwissenschaft an der TU Berlin, hält die Schau aus Pariser Sicht hingegen für "eine großartige Horizonterweiterung".

Bénédicte Savoy im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 10.04.2013
    Stefan Koldehoff: "Aus Deutschland - 1800 bis 1939 - Von Caspar David Friedrich bis Max Beckmann". So heißt eine große Ausstellung im Louvre in Paris, die dort vor einigen Tagen eröffnet wurde – wir haben berichtet. Nun gab es in den letzten Tagen mehrere Zeitungsbeiträge, in denen sich deutsche Kritiker sehr über diese Ausstellung beschwert haben: Ein düsteres Bild von einem mythenversessenen Deutschland zeige sie: Ruinen und Wälder, giftige Farben und einen Schicksalsstrom, der dieses Land und dieses Volk und seine Kunst zwangsläufig in Richtung Nationalsozialismus treiben musste. Man hat's ja immer schon gewusst.

    - Bénédicte Savoy ist Professorin für Kunstwissenschaft an der TU Berlin, hat über die Geschichte der deutsch-französischen Kulturbeziehungen mehrere Bücher geschrieben – und jetzt auch einen Beitrag für den Katalog zur Ausstellung in Paris. Sie habe ich vor dieser Sendung gefragt, welches Bild man in Frankreich von der deutschen Kunst denn vor der Ausstellung hatte.

    Bénédicte Savoy: Hah, gute Frage! Frankreich hat ein sehr minimalistisches Bild der deutschen Kunst, würde ich sagen. Es gibt Albrecht Dürer, es gibt, wenn es hochkommt, Caspar David Friedrich und es gibt die Expressionisten. Und Anselm Kiefer natürlich. Das ist das Bild, jetzt etwas karikierend gesagt, das die Franzosen haben. Und dieses großartige Ereignis, diese Ausstellung in Paris, hat bewirkt in den letzten Tagen, dass in der Presse stand, ja, diese Ausstellung öffnet uns die Augen. Wir sehen plötzlich ganz andere Maler, Gemälde, Kunstwerke, die uns überhaupt nicht bekannt waren, und auch Beschäftigungen, Motive. Das ist eigentlich aus Pariser Perspektive ein großartiges, ja eine großartige Horizonterweiterung, diese Ausstellung.

    Koldehoff: Warum ist diese Kunst, die man da jetzt wahrnimmt, vorher nicht wahrgenommen worden? Weil es sie in französischen Museen so gut, wie nicht gibt, weil man da genug eigene tolle Werke hat und auch nicht mal nach Köln oder nach Hamburg oder nach Frankfurt rüberfährt? Was ist die Ursache?

    Savoy: Eine Ursache sind ganz bestimmt sammlungsgeschichtliche Hintergründe. Die französischen Museen haben im 19. Jahrhundert nicht sehr intensiv deutsche Kunst gesammelt. Das haben die deutschen Museen anders gemacht mit der französischen Kunst. Das hat mit Mitteln zu tun. Das hat damit zu tun, dass die französischen Museen eigentlich wenig gekauft haben allgemein. Die haben sich beschenken lassen von privaten Sammlern, die ihrerseits auch wenig deutsch gesammelt hatten. Das ist also das Ergebnis von einer langen Sammlungsgeschichte der Museen. Und dann: Ich würde durchaus sagen, dass die französischen Touristen, die nach Berlin kommen, in der Alten Nationalgalerie begeistert sind und innerlich auf die Knie sinken, wenn sie das sehen, was sie sehen. Es ist nicht sehr verbreitet in Frankreich, aber es wird durchaus wahrgenommen – allerdings nicht von der sehr breiten Öffentlichkeit. Und wenn Sie im Louvre sind, also mitten im Herzen von Paris, dann haben Sie Zugang zur allgemeinen Öffentlichkeit, die möglicherweise nicht nach Berlin reist.

    Koldehoff: Nun heißt die Überschrift gestern beispielsweise in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, "Aus einem tiefen Tal direkt zu Riefenstahl." Das reimt sich einigermaßen, klingt vielleicht auch ganz nett. Aber stimmt es denn auch? Wird die deutsche Kunst in Frankreich unter der Prämisse gesehen, alles führt irgendwie zum Nationalsozialismus?

    Savoy: Ich habe persönlich die Ausstellung ganz anders gesehen. Ich habe als letzten Film in dieser Ausstellung nicht den Film von Leni Riefenstahl gesehen, sondern der wird gezeigt zusammen in einer Koje mit dem wunderbaren Film von Siodmak und Billy Wilder "Menschen am Sonntag". Und als ich in dieser Ausstellung war, also nicht bei der Eröffnung, sondern ein paar Tage später, als sie für das normale Publikum offen war, habe ich gemerkt, wie alle sich den Billy Wilder Film angucken. Und Leni Riefenstahl läuft zwar auch an der anderen Wand, aber das guckt sich keiner an, das kennen alle. Während diese "Menschen am Sonntag", also dieses Beispiel eines sehr subtilen Filmes über die Individuen der 20er-Jahre in Berlin, dieser Film der neuen Sachlichkeit, den kennt keiner und alle waren entzückt und überhaupt ist das Ende dieser Ausstellung nicht wirklich düster, sondern zeigt eben viele individuelle Gesichter, auch Fotografien von August Sander und andere Möglichkeiten, die es auch gegeben hat in den 20er-, 30er-Jahren für Künstler, das Individuum gegen die Macht der Uniformität zu zeigen. Das habe ich gesehen in dieser Ausstellung. Aber jeder sieht was anderes in einer Ausstellung.

    Koldehoff: Haben Sie denn eine Erklärung dafür, warum namhafte Kritiker in Deutschland diese Ausstellung offenbar ganz anders sehen als ihre französischen Kollegen?

    Savoy: Es kann sein, dass die Deutschen das nicht mögen, dass man sie mag. In Paris ist die Ausstellung ein riesiger Erfolg, alle schreiben und sagen, dass sie einem die Augen öffnet und dass sie sanfte Deutsche kennengelernt haben. Die Nazarener zum Beispiel sind sehr gut vertreten in dieser Ausstellung, das kennt niemand in Paris. Und das Publikum ist entzückt, sieht das zum ersten Mal oder sieht auch zum ersten Mal diese Beschäftigung der Deutschen mit der Antike im 19. Jahrhundert. Und vielleicht mögen das die deutschen Zeitungen nicht wirklich, wenn man sie mag, oder die Deutschen allgemein. Die mögen sich ja nicht wirklich. Und das Pariser Publikum ist begeistert!

    Koldehoff: Die in Berlin lehrende Kunstwissenschaftlerin Bénédicte Savoy über die Ausstellung mit deutscher Kunst, die zurzeit im Louvre zu sehen ist. Heute übrigens nicht – der Louvre ist geschlossen – wegen eines Protests der Mitarbeiter gegen die zunehmende Zahl von Taschendieben.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.