Freitag, 19. April 2024

Archiv


In zehn Sekunden zum Rockstar

Technik. - Manche extrovertierte Persönlichkeiten mit Gefallen vor allem an härteren Klängen frönen mitunter einer irritierenden Pantomime: der Luftgitarre. Während dabei die "Gitarre" der Musik folgt, drehen finnische Wissenschaftler jetzt den Spieß um. Ihre "Luftgitarre" kann selbst Musik erzeugen.

Von Ralf Krauter | 19.12.2005
    Hand aufs Herz. Wer hat nicht schon mal heimlich zu einem Gitarrensolo von Jimi Hendrix in die Saiten gelangt - rein virtuell natürlich -, um sich ein paar Minuten lang wie der große Meister der Stromgitarre zu fühlen? Verglichen mit solchen Rocklegenden haben Luftgitarristen einen Vorteil: Sie können nicht falsch spielen, das Gitarrensolo kommt ja vom Band – beste Voraussetzungen also, um eine ordentliche Show abzuziehen.

    Die wiederum ist auch nötig, um der elektronischen Luftgitarre, die finnische Forscher entwickelt haben, verzerrte Riffs und heulende Soli zu entlocken. Die "Virtual Air Guitar" generiert nämlich ihren eigenen Sound - und zwar abhängig von den Bewegungen dessen, der sie spielt. Statt jahrelang zu üben, muss man nur zwei orange-farbene Handschuhe anziehen, sich vor einer Kamera positionieren und loslegen, erklärt Aki Kanverva von der Technischen Universität Helsinki.

    "Eine Digitalkamera filmt den Luftgitarrespieler und eine Software interpretiert die Bewegung der orange-farbenen Handschuhe als typische Gesten eines echten Gitarristen, der Saiten anschlägt, die Hand auf dem Griffbrett verschiebt und so weiter. Ein Computerprogramm setzt diese Bewegungsmuster dann in einen musikalischen Zusammenhang, indem es etwa entscheidet: Jetzt spielen wir ein Rocksolo oder jetzt ein Riff."

    Der Computer extrapoliert aus der Choreographie des Spielers, was dieser wohl gerade gern spielen würde und erzeugt den passenden Gitarrensound dazu – übrigens auf Klangbasis einer echten Stratocaster - Jimi Hendrix lässt grüßen. Aber auch Richie Blackmore. Dessen legendäres Riff von Smoke on the Water klingt dann zum Beispiel so. Nach dem Umschalten in den Solomodus können sich Möchtegern-Rockstars dann nach Herzenslust austoben.

    "Die Entfernung zwischen den Händen des Spielers bestimmt die Tonhöhe. Durch Verschieben der Greifhand, wählen sie im Akkord-Modus einen der vier möglichen Akkorde aus, im Solomodus verschiedene Töne einer pentatonischen Skala."

    Weil so eine Fünftonleiter keine Halbtonschritte enthält, kann man damit harmonisch gesehen nie wirklich daneben liegen. Verglichen mit einer echten Gitarre sind die Möglichkeiten aber deutlich eingeschränkt. Dur- oder Moll-Akkorde erkennt die Software ebenso wenig, wie die Tonart, in der man gern spielen würde. Richtige Gitarristen seien von dem Gerät darum meist enttäuscht, sagt Aki Kanverva. Bei musikalischen Greenhorns dagegen, insbesondere bei Kindern, komme die virtuelle Luftgitarre sehr gut an.

    "Der Benutzer hat trotz aller Beschränkung eine Menge Einfluss. Im Solomodus klingt wirklich jedes Solo anders. Man kann also sehr kreativ sein, ohne Gefahr zu laufen, einen falschen Ton zu spielen."

    Was Jimi davon gehalten hätte? Vermutlich wenig. Schließlich ist es oft ja gerade ein schräger Ton, der ein Solo unvergesslich macht. Außerdem kann man die virtuelle Luftgitarre derzeit weder mit der Zunge, noch auf dem Rücken spielen – geschweige denn, sie nach Konzertende in Brand stecken. Der Meister bleibt also weiter unerreichbar.