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In Zukunft besser messen

Seismologie. - Nur wenige Regionen in Deutschland sind erdbebengefährdet, etwa der Oberrheintalgraben oder die Rheinische Bucht. Dennoch verzeichnen Bewohner von eigentlich seismisch unauffälligen Regionen zunehmend schwache Beben. Sie hängen in der Regel mit menschlichen Aktivitäten zusammen, weshalb deutsche Seismologen jetzt ein bessere Überwachung dieser Projekte forderten.

Von Karl Urban | 29.11.2012
    Joachim Ritter ist ein ungewöhnlicher Erdbebenforscher. Nicht für starke und zerstörerische Beben interessiert sich der Wissenschaftler vom Karlsruhe Institut für Technologie, sondern für die induzierte Seismizität. So heißen die Minibeben, für die der Mensch verantwortlich ist.

    "Es ist bisher kein großes Problem gewesen, die induzierte Seismizität. Es gab sie vor allem in den traditionellen Bergbaugebieten, wo sie hingenommen wurde von der Bevölkerung. Das war einfach Teil des Lebens."

    Wenn etwa alte Kohlestollen zusammensacken, kann der Boden ruckartig nachgeben. Aber auch ganz andere Eingriffe in den Untergrund geraten heute ins Blickfeld der Seismologen.

    "Jetzt mit neuen Technologien im Bergbau, Fracking, Geothermie und so weiter, kommt man eben auch in Bereiche, die seismisch bisher nicht so stark vorgeprägt waren. Plötzlich spüren Leute seismische Ereignisse und jetzt braucht man eben ein ganz neues Regelwerk, um eben auch entsprechend die Seismizität zu überwachen."

    Ein solches Regelwerk fordert jetzt eine einflussreiche Gruppe von Erdbebenforschern, darunter Joachim Ritter und Institutsleiter geophysikalischer Einrichtungen in ganz Deutschland. Mindestens fünf hochgenaue Messstationen sollen zukünftig jede aktive Tiefenbohrung flankieren, lautet die Empfehlung der Forscher. Ihre bisherigen Messgeräte seien nur für besonders große Erdbeben ausgelegt. Schwache und regional begrenzte Erschütterungen mit dem Potential, viele Menschen zu verunsichern, würden nach wie vor unzureichend überwacht. So geschehen etwa beim Geothermiekraftwerk im pfälzischen Landau. Nachdem dort 2009 die Erde mit einer Stärke von 2,7 gebebt hatte, brauchten die Geophysiker über ein Jahr, um einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Beben und der Erdwärmenutzung herzustellen. Der Grund: ein seismisches Messnetz aus etlichen Stationen musste erst mühevoll eingerichtet werden. Wären solche Netze schon vor dem ersten spürbaren Beben installiert, würden davon nicht nur Erdbebenforscher profitieren, sondern im Schadensfall auch die Anwohner. Ritter:

    "Also man muss wirklich beides sehen: einerseits die Erfassung der Seismizität. Das ist das, was wir im Moment in erster Linie vorschlagen. Und das andere ist eben nachher die gerichtsfeste Erfassung der Seismizität für entsprechende Verfahren, wenn Schadensersatzforderungen und Ähnliches kommen."

    Besonders Erdgasunternehmen haben aber wohl nicht nur wegen möglicher Schadensersatzforderungen Vorbehalte gegen die aufwendigen Messmethoden. Denn anders als bei lokal begrenzten Erdwärmebohrungen sind Gasfelder viele Kilometer weit ausgedehnt. Die Messungen wären entsprechend teuer. Das erklärt auch, warum sogar beim bislang schwersten Erdstoß im Umfeld der Erdgasförderung noch Unklarheit besteht: Das Beben von 2004 im niedersächsischen Rotenburg erreichte eine Stärke von 4,4, war von Anwohnern deutlich zu spüren und fand in einer Region statt, die zuvor als seismisch völlig inaktiv galt. Nicolai Gestermann von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe:

    "Das Thema ist durch das Rotenburg-Ereignis stark in den Fokus geraten. Aber wir sind bei weitem nicht so weit, dass wir sagen können, dass die Ereignisse, die in der räumlichen Nähe der Erdgasfelder sich ereignen, auch wirklich mit der Erdgasförderung zu tun haben. An dieser Frage sind wir weiterhin noch dran."

    So eine zeitraubende Ursachenforschung wollen die Erdbebenforscher in Zukunft vermeiden. Denn die Zahl menschgemachter Erschütterungen wird wohl weiter zunehmen. Immer häufiger wird etwa Erdgas nicht konventionell, sondern mit dem aufwendigen Fracking-Verfahren gewonnen. Gashaltiges Gestein wird mit hohem Druck aufgebrochen – eine Methode, die schwache Erdbeben auslösen kann und auch in der Geothermie zum Einsatz kommt. Schwer beschädigte Gebäude oder sogar Personenschäden befürchten die Erdbebenforscher dadurch zwar nicht. Aber sie möchten rechtzeitig ein wachsames Auge auf die neuen Bebenherde werfen.