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Independent Filmfestival in Argentinien
Die Emanzipation des lateinamerikanischen Films

Das Internationale Festival des Unabhängigen Films BAFICI ist eines der wichtigsten seiner Art - und das größte in Lateinamerika. In den Kinosälen und Freiluftkinos von Buenos Aires liefen mehr als vierhundert Filme aus allen Kontinenten. Zum ersten Mal gab es in diesem Jahr auch einen lateinamerikanischen Wettbewerb.

Von Victoria Eglau | 23.04.2016
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    Jedes Jahr im April verwandelt sich die argentinische Hauptstadt Buenos Aires in ein Mekka der Fans des Independent-Films. (dpa/picture-alliance/Britta Pedersen)
    Puerto Colombia, ein Dorf an der Küste Kolumbiens. Am Strand lebt Cosme. Der Mann schaut aufs Meer hinaus, er sucht den Strand ab. Als die Wellen einen Ertrunkenen an Land spülen, lässt Cosme den Leichnam den Behörden übergeben. Es sind viele Tote, die in Puerto Colombia angeschwemmt werden.
    "Fand Cosme einen Toten, bastelte er eine Halskette und hängte sie sich um. Wenn diese eines Tages riss und herunterfiel, hatte die Seele des Toten laut Cosme Frieden gefunden."
    Homer Etminami ist der Regisseur des Films Inmortal – auf Deutsch "Unsterblich". Beim Filmfestival BAFICI in Buenos Aires wurde der Streifen im lateinamerikanischen Wettbewerb gezeigt. Auf Cosme, den Leichensucher, war Etminami durch eine Zeitungsnotiz aufmerksam geworden. Dann lernte er eine junge Frau kennen, deren Onkel im Guerilla-Krieg getötet wurde und als vermisst galt.
    "Ich dachte, da ist ein Mann, der Leichen aufsammelt, und ein Mädchen, das einen Toten sucht. Ich werde sie zusammenbringen, und mit der Kamera beobachten, was sich aus ihrem Treffen entwickelt. "
    Unterschwellig geht es um Gewalt in Kolumbien
    Nach einem Telefonat mit Cosme beschließt das Mädchen namens Hellens, zu ihm an die Küste zu reisen – getrieben von der Hoffnung, den toten Onkel zu identifizieren. Im Konflikt zwischen Kolumbiens Militär und der Guerilla werden Leichen oft in Flüsse geworfen – Flüsse, die ins Meer münden.
    "Das unterschwellige Thema dieses Films ist die Gewalt in Kolumbien. Wieviel Gewalt muss es in diesem Land geben, wenn das Meer fast jeden Tag tote Menschen anspült!?"
    Inmortal lässt sich schwer einordnen, ist weder Dokumentation noch Fiktion. Homer Etminami, Universitätsdozent im kolumbianischen Barranquilla, produzierte den Independent-Film gemeinsam mit seinen Filmstudenten – ohne jegliche Förderung. Das BAFICI könnte dem Werk den Weg nach Europa ebnen, denn für viele Festivalmacher aus dem Ausland ist das Filmtreffen von Buenos Aires ein Pflicht-Termin. Javier Porta Fouz, Direktor des BAFICI, weiß das. Mit dem lateinamerikanischen Wettbewerb wollte er etwas Neues wagen:
    "Es gibt ein bestimmtes lateinamerikanisches Kino, das oft bei europäischen Festivals zu sehen ist: tragisch, mit erniedrigten oder schweigsamen Menschen. Wir wollten andere Filme anbieten. Das Kino in diesem Teil der Welt ist viel breiter aufgestellt, als europäische Festivals das bisher widerspiegeln. "
    Lesbische Liebesgeschichte aus Ecuador
    Da ist zum Beispiel eine Liebesgeschichte zwischen zwei Schülerinnen in Ecuador. Der ziellose Alltag von Jugendlichen in Perus Hauptstadt Lima. Und eine junge Frau in Chile, die ihren gelähmten Bruder pflegt und mit einer Internet-Bekanntschaft ihre Sexualität erforscht. Argentinisches Kino ist bereits ein Export-Schlager, hier ist die Filmproduktion am größten. Doch mittlerweile ziehen andere lateinamerikanische Länder nach.
    Antonio ist über sechzig. Sein Alltag spielt sich zwischen seinem Knochenjob auf Brasiliens größtem Lebensmittelumschlagplatz und den Spelunken ab, in denen er nach Feierabend den Zuckerrohrschnaps Cachaca trinkt und Liebesschnulzen hört. Der Film Carregador 1118 setzt den entwurzelten Migranten aus Nord-Brasilien ein Denkmal, die im Moloch Sao Paulo schuften.
    Entwurzelte Migranten aus Nord-Brasilien in Sao Paulo
    "Ihr Leben ist ein einsamer Überlebenskampf. Antonio lebt, um zu arbeiten – oft ist er zu erschöpft zum Reden. Städte wie Sao Paulo wurden von Migranten aus dem Norden erbaut – und viele von ihnen leben in Ghettos. "
    Rodrigo Marques und sein Ko-Regisseur Eduardo Consonni haben sich auf Dokumentationen über die brasilianische Arbeiterklasse spezialisiert, die sie bisher komplett aus eigener Tasche finanzierten. Das BAFICI sehen sie nicht nur als Fenster und als Sprungbrett zu anderen Festivals – sie hoffen auch auf Kontakte zu einem Verleih, der ihren Film erst einmal in ihrem eigenen Land in die Kinos bringt.