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Indianer aus dem Geiste von Karl Marx und Karl May

In der Amerika-Oper "Der leuchtende Fluß" steht der äußerst unheldische Held Ira im Mittelpunkt, der sich um seine Geliebte May sorgt. Leider versteht es die Inszenierung nicht, den Zuschauern vor Augen zu führen, warum sie sich auf diese Mischung von Kriegs- und Liebesgeschichte einlassen sollten.

Von Frieder Reinighaus | 02.11.2010
    Paukengewirbel, Trompetensignale. Überhaupt eine "bildkräftige" Musik im traditionellen Sinn. Mit dem "Leuchtenden Fluß" taucht das Publikum in die Welt der Indianer vom Flussvolk der Pima, denen der hemmungslose Kapitalismus das Wasser abgräbt und dessen arbeitslose Söhne von zynischen Offizieren 1943 für den Dienst der Army und Navy mobilisiert werden. Nach anfänglichem Zögern ist Ira dabei und Taylor. Wie überhaupt die meisten anderen aus dem Reservat. Im Bühnenbild von Peter Syroka sitzen sie vor einem großen, leeren, besudelten Rohr als elendes und nur von Alkohol etwas munter gehaltenes Häufchen im Souterrain. Um so gleißender das Weiß der Uniformen in der Denkmalslandschaft der Belle Etage. Dort sind die hehrsten Verfassungsgrundsätze der Vereinigten Staaten vielfach in Stein graviert.

    Der unheldische Held Ira sorgt sich um seine Geliebte May. Die Liebesgeschichte pflanzt sich im dritten Akt fort, nachdem der zweite Blick und Ohr auf die Schlacht um die japanisch besetzte Insel Iwo Jima warf, Ira als Objekt der US-Kriegspropaganda entdeckt und ausgeschlachtet wurde.

    Die 41-jährige Johanna Doderer aus Bregenz beginnt sich als ein österreichischer Exportartikel zu mausern. Zu ihrer Werbestrategie gehört die Beteuerung, sie sei "frei von Dogmen" und daher habe "der tonale Wohlklang durchaus seinen Platz" in ihrer Schreibweise, der sie selbst "große stilistische Bandbreite" zuschreibt. Genau besehen aber lässt sich weder von "Stil" noch von "Breite" sprechen. Es ist, wie wenn jemand in ein und demselben Text immer wieder zwischen Druckbuchstaben und Schreibschrift und bei dieser zwischen lateinischer Literatur und Sütterlin wechselt. Doderers Erfolgsrezept – das ist wie Käsekreiner mit Schlagobers oder wie Tafelspitz mit Mohr im Hemd und Käse überbacken.

    Die neue Oper entstand im Gefolge des oscargekrönten Films "Letters from Iwo Jima" von Clint Eastwood, wollte an dessen Aura und Prominenz partizipieren. Aber die Breitwandästhetik, die die Musik zur Schlacht um den Gipfel Suribachi entfaltet, ist im Theater gnadenlos anachronistisch. Zumal in Verbindung mit einer mitunter verblüffend dilettantisch wirkenden Inszenierung, die nicht vor Augen zu führen versteht, warum sich die Zuschauer auf diese Mischung von Kriegs- und Liebesgeschichte einlassen sollen.

    Goutiert wird offensichtlich eine verständlich erzählte Geschichte, die niemand zu nahe tritt. Die Leute, die der Premiere höflich applaudierten, honorierten wohl den guten Willen im Hintergrund des Werks. Die vom Wasser abgeschnittenen und politisch-militärisch missbrauchten Indianern wurden vom regieführenden Intendanten Guy Montavon mit taktischem Geschick zum Einsatz gebracht – der im Durchschnitt 60-jährigen Geschmacksträgerschicht mag die Erinnerung an Karl May noch so lebendig sein wie die an Karl Marx.

    Hätte sich Johanna Doderer nicht bereits selbst erfunden, die österreichische Musikwirtschaft wäre gut beraten gewesen, so etwas wie sie zu kreieren. Von den Föhnhaaren bis zu den Hacken kultiviert die Komponistin ein Outfit, das geeignet erscheint, auf den Titelseiten der "Gala" mit den Großherzoginnen von Montecarlien zu konkurrieren. Schon von daher ist sie das strikte Gegenbild zu den studienrätinnenmäßig auftretenden Komponistinnen. Wie die Ministergattin Guttenberg ist sie eine Vorzeigefrau mit einem Sound, der weder stil- noch geschmackssicher ist – aber wohl gerade darum jetzt "angesagt". Die Errungenschaft der Kunstgewerblerin Doderer entspricht dem Kunstcharakter der Produkte des Glas- und Schmuckherstellers Swarovski. Und der ist ja auch erfolgreich – "frei von kompositorischen Dogmen".