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Indien
Abrutschen in die Altersarmut

90 Prozent der über 60-Jährigen müssen in Indien arbeiten, denn es gibt für sie keine Rente und keine Krankenversicherung. Ihre Situation verschlechtert sich zunehmend.

Von Horst Blümel | 07.02.2014
    "In Indien ziehen immer Leute vom Land in die Städte. Wieder andere gehen ins Ausland, wenn sie die Möglichkeit dazu haben. Für die Zurückgebliebenen werden die Lebensbedingungen dadurch schwieriger",
    sagt Mathew Cherian von der Hilfsorganisation "HelpAge India" in Neu-Delhi.
    "Konkret bedeutet das, wenn die jüngeren Leute ihr Dorf verlassen, bleiben die Eltern allein zurück. Dann müssen die Älteren sich um alles alleine kümmern. Etwa das Vieh versorgen oder andere Arbeiten in der Landwirtschaft verrichten. Und in den meisten Fällen haben sie einfach auch nur sehr wenig Geld. Oft versorgen die Nachbarn die alten Leute dann mit Essen, damit sie überleben können."
    Da es in Indien keine allgemeine Altersversorgung gibt, sind 90 Prozent der über 60-Jährigen gezwungen, zu arbeiten. Sie führen überwiegend Hilfstätigkeiten aus. Zum Beispiel arbeiten sie manchmal auch bei Bauprojekten der Regierung mit und erhalten dafür einen geringen Lohn.
    "Die Zentralregierung in Indien bietet mit einem Hilfsprogramm für besonders Bedürftige, also diejenigen, die praktisch völlig mittellos sind, pro Person monatlich zwei Euro an. Die einzelnen Bundesstaaten steuern noch einen weiteren Betrag hinzu. In Delhi beispielsweise bekommen die Bedürftigen insgesamt zehn Euro im Monat. Dies gilt aber nur für Leute, deren Einkommen unterhalb der Armutsgrenze liegt."
    2004 rief die indische Regierung das "National Pension System" ins Leben. Damit sollte einer breiten Schicht der indischen Bevölkerung Zugang zu einer Altersversorgung ermöglicht werden. Alle indischen Bürger zwischen 18 und 60 Jahren sollten daran teilhaben können.
    Um diese Rente im Alter zu erhalten, müssen im Jahr umgerechnet mindestens zwölf Euro in die Rentenversicherung einbezahlt werden; vom Staat erhält man dann noch einmal den gleichen Betrag. Nach dem 60. Lebensjahr werden die Ersparnisse als Rente ausbezahlt. Viele können jedoch den monatlichen Mindestbeitrag nicht aufbringen und sind daher von dieser Altersversorgung ausgeschlossen.
    In der Vergangenheit war es selbstverständlich, dass die Älteren ihren Lebensabend bei ihren Kindern verbrachten, die für sie sorgten. Doch die indische Gesellschaft hat sich verändert. Heute lebt etwa die Hälfte der Senioren allein oder in Altersheimen.
    "Allerdings gibt es in ganz Indien mit mehr als einer Milliarde Einwohnern etwa 4000 Altersheime. In diesen Häusern ist der Aufenthalt für die Bewohner dann kostenlos. Die Träger dieser Seniorenheime sind meistens Wohltätigkeitsorganisationen, andere werden von christlichen Kirchen oder von Hindu-Organisationen unterhalten."
    Altenheime, in denen für die Unterbringung bezahlt werden muss, findet man vor allem in den Metropolen Mumbai, Kalkutta und Delhi. Die monatlichen Kosten bis zu 1500 Euro können von Indiens gesellschaftlicher Mittelklasse auch bezahlt werden. Doch obwohl die Anzahl der Altersheime verschwindend gering ist, gibt es in fast allen noch freie Plätze. Dies hat einen besonderen Grund:
    "Altersheime sind mit einem Stigma behaftet. Es wird in der indischen Gesellschaft nach wie vor nicht gern gesehen, alte Leute in einem Heim unterzubringen. Deshalb versuchen auch die Inder, die im Ausland leben, dafür zu sorgen, dass ihre Eltern von Familienangehörigen in der Heimat versorgt werden. Das wird immer noch als eine Frage der Ehre angesehen."
    Natürlich können auch in Indien besonders Wohlhabende ihre Alten in Luxus-Seniorenheimen mit Golfplatz und Schwimmbad unterbringen, die an in landschaftlich reizvollen Orten gelegen sind. Die Nachfrage nach solchen Plätzen steigt sogar. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die große Zahl der Inder im Alter in die Armut abrutscht. Mathew Cherian von der Hilfsorganisation "HelpAgeIndia" ist im Blick auf die Zukunft eher pessimistisch:
    "Um die Situation der alten Leute zu verbessern, muss zuallererst für jeden eine Rente und eine Krankenversicherung eingeführt werden. Dies wäre eine notwendige Basis, um dann weitere Probleme lösen zu können. Ich habe aber wenig Hoffnung, dass dies geschehen wird."