Donnerstag, 28. März 2024

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Künstler und Aktivist Adé Bantu
Afropolitische Vibes

Als ein "Kind der Liebe" ist Adé Bantu zwischen Europa und Afrika aufgewachsen. Seine Mutter ist Deutsche, sein Vater Nigerianer. Mittlerweile hat es den Musiker nach Nigeria verschlagen, doch mit seiner Band Bantu will er trotzdem eine Brücke zwischen beiden Kontinenten sein.

Von Anke Behlert | 06.11.2020
    Elf afrikanische Männer und zwei Frauen stehen vor einer grauen Wand und blicken in die Kamera. Alle tragen weiße T-Shirts, nur der Mann in der Mitte trägt schwarz.
    Seit zehn Jahren eine Einheit: Bantu. (Uche James Iroha)
    Von London nach Nigeria nach Deutschland und wieder nach Nigeria: Adegoké Odukoyá alias Adé Bantu ist ein echter Kosmopolit im allerbesten Sinn. Heute lebt und arbeitet er in der 14-Millionen-Metropole Lagos, der zweitgrößten Stadt des afrikanischen Kontinents. Dort entstehen auch die Songs seiner Band Bantu, die sich mit einer Fusion aus Afrofunk, Hip-Hop, Highlife und Yoruba-Musik einen Namen gemacht und mit so unterschiedlichen Künstlern wie UB 40, Tony Allen und Harry Belafonte zusammengearbeitet hat.
    Musik: Bantu – "Cash & Carry"
    Adé Bantu wird am 14. Juli 1971 in London geboren, sein Vater ist Nigerianer, seine Mutter Deutsche. Zwei Jahre später ziehen sie nach Nigeria, wo die Familie bis zum Tod des Vaters 1986 lebt. An die Zeit in Nigeria erinnert sich Adé immer noch gerne.
    "Sonntags, wenn es darum ging, das Haus sauber zu machen, hat meine Mutter DJ gespielt und dann mein Vater. Die haben Platten laut gehört, dann Geschichten erzählt, dann getanzt. Das waren die schönsten Erinnerungen für mich als Kind. Dass Musik Erinnerungen weckt und es sehr wichtig ist, als ein Teil des Zusammenhalts, als Familie. Wo ich anfing, Hiphop zu machen, hab ich einige der Schallplatten meiner Eltern auch gesamplet, um sie zu ehren oder bestimmte Zeit einzufangen für mich. Vielleicht hat das Publikum das nicht verstanden, aber darum ging es mir, bestimmte Gefühle festzuhalten."
    Ein Mann blickt in die Ferne. Er trägt einen Hut und ein weißes T-Shirt.
    Adé Bantu hat sich vor 30 Jahren der Musik verschrieben. (Mirko Polo)
    Nach dem Umzug nach Deutschland macht Adé Bantu einen Abschluss als Elektroingenieur, aber seine eigentliche Leidenschaft ist die Musik. Schon 1990 gründet er die Band Exponential Enjoyment, die basslastigen Dub, Reggae und sogenannten Conscious Rap mischt. Bei dieser Form des Rap sind die Texte oftmals politisch und sozialkritisch motiviert.
    Musik: Exponential Enjoyment – "Think for a moment"
    Während seiner Zeit in Deutschland ist Adé Bantu unweigerlich mit Rassissmus konfrontiert. Auch deswegen gründet er Ende der 90er das Hip-Hop-Projekt Brothers Keepers, das vor allem mit dem Song "Adriano - Letzte Warnung" bekannt wird. Mit seinem Bruder Abiodun startet er danach das Musikerkollektiv Bantu, das Akronym steht für "Brotherhood Alliance Navigating Towards Unity". Die britische Reggaepopband UB40 wird schnell auf sie aufmerksam. Gemeinsam veröffentlichen Bantu und UB40 den Song "Rudie", bei dem auch der deutsche Reggaemusiker Gentleman beteiligt ist.
    Musik: UB40 ft. Gentleman and Bantu – "Rudie (Hold it down)"
    "Nigeria ist nicht nur Popmusik oder Fela Kuti"
    Seit einigen Jahren lebt Adé Bantu nun wieder in Nigeria, aber schon vorher reiste er immer wieder dorthin, auch um mit seiner Band zu proben. Dass alle 13 Mitglieder mal zur selben Zeit am selben Ort sind, erfordert sehr gute Planung.
    "Es ist superschwer, aber Bantu ist schon Priorität bei den meisten. Wir spielen schon zehn Jahre zusammen, wir haben lange geprobt, ich musste sogar mein Auto verkaufen, um die Proben zu bezahlen. Mir war wichtig, dass wir uns als Einheit zurechtfinden und dass es ein gegenseitiges Vertrauen gibt, jenseits vom Ego. Und das braucht Jahre. Und mittlerweile haben wir einige Tourneen gespielt, haben sehr viele Konzerte gespielt und jetzt läuft es wie geschmiert."
    Musik: Bantu – "Lagos Jump"
    Ein Mann überkreuzten Armen blickt in die Kamera. Er trägt ein bunt gemustertes Hemd und einen Hut.
    Politische Aussagen und Groove sind für ihn kein Widerspruch: Adé Bantu (Mirko Polo)
    Der Song "Lagos Jump" vom Musikerkollektiv Bantu. Auch wenn es bei ihnen sehr demokratisch zugeht, braucht es natürlich einen, der den Hut aufhat.
    "Ich bin der Kopf der Gruppe, ich treffe die meisten Entscheidungen. Wir arbeiten als Kollektiv, was das Komponieren angeht. Das heißt: Ich hab vielleicht eine Idee, der Drummer hat eine Idee, dann schreiben wir die Songs zusammen, richtig old-school. Wir proben die Ideen durch, geben das etwas Struktur und dann gehen wir ins Studio. Das macht das ganze Arbeiten leichter und auch kosteffektiver. Man kann ja keine Jamsessions machen, ich bin nicht Rolling Stones und buche ein Studio für ein Jahr irgendwo in Bahamas und sage: mal kucken, was passiert."
    Vor Kurzem hat Adé auch sein eigenes Label gegründet: Soledad Productions. Dort erscheint natürlich die Musik seiner Band, aber er hat dafür noch eine größere Vision.
    "Mir ist wichtig, dass wir es richtig machen, also "for us, by us". Dass wir wirklich unsere eigene Geschichte, unseren eigenen Sound der Welt präsentieren. Denn Nigeria ist nicht nur Popmusik oder Fela Kuti, es ist viel weitgefächerter."
    Die erste Künstlerin auf dem Label ist Joyce Olong und ihr erster Song heißt "Outta town".
    Musik: Joyce Olong – "Outta town"
    Musiker und Brückenbauer
    Brücken bauen und für Verständnis werben, ist Adé Bantu nach wie vor ein wichtiges Anliegen. 2011 rief er die Lagos-Kano-Hip-Hop-Connection ins Leben. Bei diesem Projekt standen christliche und islamische Musiker gemeinsam auf einer Bühne, was immer noch keine Selbstverständlichkeit ist. 2012 startete er das Festival Afropolitan Vibes, denn trotz der vielen Millionen Menschen waren Konzerte in der Megastadt Lagos ein seltenes Vergnügen.
    "Die meisten Musiker haben in der Kirche gespielt und sehr viele Bands haben Covermusik gespielt. Und das hat ein bisschen genervt, Popmusik war DJ und auf der Bühne rumspringen. Und ich dachte, da müssen wir ein Revival starten. Wir haben das Revival gestartet, indem wir diese Konzertreihe ins Leben riefen. Wir haben gesagt: Bantu als Band wird drei Gäste einladen, mit diesen Gästen stehen wir auf der Bühne. Und dann geben wir den Leuten drei Stunden Unterhaltung. Wir fingen mit ca. 100 Gästen an, ich glaube, die meisten kannte ich. Über die Jahre ist es peu à peu gewachsen und mittlerweile haben wir 3000 Leute, die da kommen."
    Musik: Bantu – "Niger Delta Blues"
    Das Stück "Niger Delta Blues" vom Album "Agberos International" aus dem Jahr 2017, in dem auch der Afrobeat-Mitbegründer Tony Allen am Schlagzeug zu hören ist. Im Text beklagt Adé Bantu die miserablen Lebensumstände und Umweltzerstörung durch die Ölindustrie im Niger Delta. Immer wieder greift der 49-Jährige in seinen Songs soziale und politische Themen auf, auch auf dem neuen, im September erschienenen Album "Everybody get agenda". Im Song "Animal carnvial" geht es zum Beispiel um Korruption, die - zusammen mit den Ausreden der Verantwortlichen - groteske Ausmaße angenommen hat.
    "Es fing damit an, dass eine Staatsbedienstete vor eine Kommission treten musste, denn es fehlten einige Millionen Dollar. Die Frau sagte vor laufenden Kameras: 'Es gab eine spirituelle Schlange, die ist den Safe gegangen und hat alles geschluckt.' Ein paar Wochen später trat ein Senator vor die Kamera und sagte: 'Gelder fehlen wieder, dieses Mal ist es so, dass ein Senator das Geld in seinem Farmhaus aufbewahrt hat und Affen sind in das Farmhaus eingebrochen und hätten das Geld weggekarrt.' Das ist die Realität, in der wir uns in Nigeria befinden. Es war wichtig, das zu dokumentieren. In dem Chorus, der auf Yoruba gesungen wird, mokieren wir diesen Zustand und sagen letztendlich: Wir müssen was dagegen unternehmen."
    Musik: Bantu – "Animal Carnival"
    Auf "Everybody Get Agenda" vermischen Bantu Soul, Funk, Jazz und auch folkloristische Elemente. Galoppierende Rhythmen, Call & Response-Gesänge und schmissige Trompeten und Posaunen prägen die Songs, das Tempo ist hoch, die Musik groovt und lädt zum Tanzen ein. Besonders stolz ist Adé Bantu auf das letzte Stück "Yeye theory", bei dem sein Freund Seun Kuti mitspielt.
    Musik: Bantu – "Yeye Theory"
    "Musik mit ner Message muss nicht immer kopflastig sein"
    Der Band gelingt es exzellent, Lebensfreude und Protest in ihre Songs zu packen. Nur: Wenn alle mit Tanzen beschäftigt sind, hört dann überhaupt noch jemand auf die Inhalte?
    "Ich glaube schon, wir schreiben Choruse, die man mitsingen kann. Man schwingt die Hüfte und bevor man es weiß, kriegt man ein oder zwei Begrifflichkeiten mit und der Körper tanzt weiter. Das ist schon absichtlich. Musik mit einer Message muss nicht immer kopflastig sein."
    Adé Bantu wird auch nicht müde, die aktuellen Proteste gegen Polizeigewalt in Nigeria zu unterstützen und ihnen – nicht nur in seiner Musik - eine Plattform zu geben. Er kann nicht anders: Er muss sich einmischen.
    "Ich seh mich als Brücke. Meine Mutter war mutig und ist nach Nigeria gegangen, trotz der Enttäuschungen hat sie immer wieder gesagt: 'Ihr seid etwas besonderes, denkt immer daran, ihr seid die Kinder der Liebe.' Das ist unser Auftrag im Leben, beide Kontinente - Afrika und Europa - zusammenzubringen."