Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Indien
Über 100 Menschen sterben bei Zugunglück

Noch ist die Ursache für die Entgleisung des Zugs in Indien unklar. Während die Einsätzkräfte vor Ort noch Menschen aus den Waggons bergen, versuchen lokale Politiker bereits das Unglück für die bevorstehenden Landtagswahlen zu instrumentalisieren.

Von Sandra Petersmann | 20.11.2016
    Bei einem Zugunglück in Indien sind mehr als 90 Menschen ums Leben gekommen.
    Bei einem Zugunglück in Indien sind über 100 Menschen ums Leben gekommen (AFP)
    Mindestens 14 der blauen Waggons sprangen in den frühen Morgenstunden um kurz nach drei Uhr aus den Gleisen, als es noch dunkel war und die meisten Passagiere schliefen. Ravinder Pathak hat das Unglück überlebt. Er sitzt mit anderen Überlebenden auf einem freien Feld neben der Zerstörung und wartet auf die Ankunft von Bussen, die ihn und die anderen vom Ort des Grauens wegbringen sollen. Einige wiegen sich vor und zurück, andere beten.
    Augenzeuge schildert das Unglück
    "Plötzlich gab es eine massive Erschütterung. Unsere Köpfe wurden unter das Dach des Zugabteils geschleudert und dann wieder zurück. Wir haben es irgendwie raus geschafft, die Tür ließ sich nicht öffnen. Als wir draußen in der Dunkelheit waren, sahen wir, dass der Zug entgleist ist. Meine fünf Mitreisenden sind verschwunden."
    Der Überlebende Ravinder erinnert sich, dass er im Waggon mit der Nummer S5 saß. Besonders schwer zerstört wurden zwei Waggons näher hinter der Lock, die sich durch die Wucht des Unglücks in ein Knäuel aus Metall mit abgerissenen Rädern und rausgerissenen Seitenstreben verwandelten. Es dauerte, bis Helfer mit Schneid- und Räumgeräten vor Ort waren. Auch Ambulanzen standen nicht sofort ausreichend zur Verfügung. Die Rettungsarbeiten nahmen erst Fahrt auf, als es hell wurde.
    "Wir arbeiten jetzt auf Hochtouren und erreichen immer mehr Opfer. Leider steigt die Zahl der Toten. Besonders zwei Waggons sind schwer betroffen, auch ein dritter ist fast ganz zerstört. Wir setzen hier Schneidbrenner ein", sagt ein hochrangiger Polizist an der Unglücksstelle.
    Dort sind inzwischen auch viele Schaulustige unterwegs. Einige machen Selfies.
    Mögliche Unfall-Ursache: ein gebrochenes Gleis
    Der Patna-Indore Express war auf dem Weg aus dem Nordosten in das Zentrum Indiens. Das Unglück ereignete sich auf dem Land in der Nähe der Industriestadt Kanpur im Bundesstaat Uttar-Pradesh. Die Ursache ist bisher noch nicht bekannt. Bahnminister Prabhu kündigte eine umfassende Untersuchung an. Indische Medien spekulieren über ein möglicherweise gebrochenes Gleis. Der Patna-Indore-Express entgleiste etwa auf der Hälfte seiner mehr als 1400 Kilometer langen Strecke, für die er laut Fahrplan 27 Stunden Reisezeit gebraucht hätte. Der Schnellzug hat üblicherweise 21 Waggons und kann mehr als 1000 Passagiere transportieren.
    Zugunglücke sind keine Seltenheit in Indien. Das indische Schienennetz gehört zu den größten der Welt. Jeden Tag reisen über 20 Millionen Menschen in diesem riesigen Land mit einem Zug. Doch die indische Bahn ist in die Jahre gekommen. Das Netzt ist marode. Weite Teile der Infrastruktur stammen noch aus der Zeit der britischen Kolonialherren, Indien ist seit 1947 unabhängig. Premierminister Modi, Bahnminister Prabhu und der Ministerpräsident des betroffenen Bundesstaates Uttar Pradesh haben den Verletzten und den Familien der Opfer inzwischen Entschädigungszahlungen zugesagt. In Uttar Pradesh stehen in drei Monaten wichtige Landtagswahlen an. Schon jetzt versuchen Politiker aller Parteien, das schwere Zugunglück für sich zu instrumentalisieren.