Freitag, 19. April 2024

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Indonesien auf der Buchmesse
Kritischer Blick auf das Gastland

Über Indonesiens Präsentation als Gastland auf der Buchmesse werden in der indonesischen Literaturszene "heiße Diskussionen" geführt, sagte der Malaiologe Berthold Damshäuser im DLF. Kritisch hinterfragt werde unter anderem die Auswahl der präsentierten Autoren. Die Diskussion spiele sich vor allem auch in sozialen Netzwerken ab.

Berthold Damshäuser im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 14.10.2015
    Tänzerinnen aus Indonesien stehen in Frankfurt am Main (Hessen) auf der Buchmesse vor Beginn des Eröffnungsrundgang vor dem Pavillon des diesjährigen Gastlandes Indonesien Spalier
    Indonesien ist Gastland auf der Buchmesse 2015 (picture-alliance / dpa/Frank Rumpenhorst)
    Maja Ellmenreich: Mit dieser wohlklingenden Beschreibung wirbt die Frankfurter Buchmesse für ihren diesjährigen Ehrengast Indonesien. "17.000 Inseln der Imagination" lautet das offizielle Motto des Gastlandes. Und vertreten wird die Literaturszene des südostasiatischen Archipels durch 70 Autorinnen und Autoren, die in den kommenden Tagen hier in Frankfurt zu erleben sein werden.
    Heute Mittag bereits habe ich hier auf der Deutschlandfunk-Bühne mit jemandem gesprochen, der sich bestens auskennt mit besagter Literaturszene: Mit dem Malaiologen Berthold Damshäuser, der indonesische Sprache und Literatur an der Universität in Bonn lehrt, und er selbst ist auch als literarischer Übersetzer aus dem Indonesischen und ins Indonesische tätig.
    Bei 17.000 Inseln und rund 700 verschiedenen Sprachen, die in Indonesien gesprochen werden, habe ich Berthold Damshäuser gefragt: Kann man da überhaupt von einer Nationalliteratur sprechen?
    Berthold Damshäuser: Natürlich nicht. Indonesien ist ja ein Vielvölkerstaat mit Hunderten von Ethnien. Das spiegelt sich in der von Ihnen genannten Zahl der Sprachen wieder. Und diese einzelnen Sprachgemeinschaften verfügen natürlich stets auch über eigene Literaturen. Das sind im Wesentlichen mündlich tradierte Literaturen, aber es gibt zwölf schriftlich dekrierte Literaturen. Das heißt: Zwölf indonesische Völker, darunter die Javanen, die Malaien, die Balinesen und andere, die eine schriftliche Literaturtradition haben, die teilweise auf eine Geschichte von bis zu tausend Jahren zurückblickt. Noch einmal zusammengefasst: Es gibt nicht die indonesische Literatur. Im Übrigen gibt es auch nicht die indonesische Kultur. Es gibt indonesische Literaturen.
    Ellmenreich: Durch welche Literaturauswahl aber wird denn Indonesien vertreten als Gastland auf der Buchmesse in Frankfurt?
    Malaisch ist die Sprache der modernen indonesischen Literatur
    Damshäuser: Die Indonesier haben sich, und zwar schon vor der Gründung des Staates Indonesien im Jahre 1945, auf eine gemeinsame Sprache geeinigt, und bei dieser Sprache handelt es sich um das Malaische, eine alte Kultur- und Literatursprache des indonesischen Archipels, die auch schon vorher Verkehrssprache beziehungsweise lingua franca war. Dieses malaische wurde im Jahre 1928 zur Bahasa Indonesia, zur Sprache des zukünftigen Staates Indonesien proklamiert, und das ist die Sprache, mit der die Indonesier heute kommunizieren, und das klappt auch gut, und das ist auch die Sprache dessen, was wir als moderne indonesische Literatur bezeichnen.
    Ellmenreich: Und diese Literatur ist vertreten auf der Buchmesse. Von was für Themen ist sie geprägt? Welche Themen sind da dominant?
    Damshäuser: Die Werke, die jetzt in diesen Tagen hier präsentiert werden, die möchte ich thematisch nicht einengen, zumal darunter ja auch Lyrik-Anthologien sind, große, umfangreiche Lyrik-Anthologien, und da wird kein Thema ausgespart. Das thematisch jetzt auf irgendetwas zu verengen, wäre falsch.
    Ellmenreich: Sie haben gerade schon die Lyrik-Anthologien angesprochen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Indonesier nicht unbedingt Vielleser sind. Wie viel hat das Literaturland Indonesien, das wir jetzt hier kennenlernen in diesen Tagen auf der Buchmesse, überhaupt mit dem tatsächlichen Leben in Indonesien zu tun?
    Damshäuser: Einmal spiegeln natürlich die literarischen Werke das tatsächliche Leben Indonesiens wieder. Indonesien gibt in den auch in den hier vorgelegten Werken Auskunft über sich selbst, beschreibt sich selbst. Und wir können diese Literatur natürlich auch lesen als Quelle für eine Landeskunde. Wir können Indonesien über die Literatur, insbesondere die Prosa kennenlernen. Was die Mentalität und die Gedanken, die Intellektualität der Indonesier angeht, so gibt uns vielleicht die Lyrik besondere Auskunft darüber.
    Deutsche Literatur stößt in Indonesien auf großes Interesse
    Ellmenreich: So ein Gastland-Auftritt sollte im Idealfall ja Spuren in beiden literarischen Welten hinterlassen, also in diesem Fall in Deutschland wie in Indonesien. Wie groß ist bisher das indonesische Interesse an deutscher Literatur eigentlich?
    Damshäuser: Das ist natürlich größer als umgekehrt unser Interesse an indonesischer Literatur.
    Ellmenreich: Warum sagen Sie natürlich?
    Damshäuser: Weil Indonesien hier gar nicht bekannt ist. Aber in Indonesien, zumindest unter den Intellektuellen, ist Deutschland als Technologiemacht bekannt. Deutschland ist aufgrund seiner für uns nicht schmeichelhaften Vergangenheit bekannt. Aber Deutschland ist auch bekannt, oder sagen wir mal lieber, die deutsche Kultur ist bekannt durch große Namen wie Goethe, wie Nietzsche. Das ist nicht verwunderlich, dass man Deutschland im Ausland eher kennt, als das erst 1945 gegründete Indonesien bei uns. Wir stoßen mit unseren Übertragungen deutschsprachiger Lyrik auf großes Interesse, insbesondere Nietzsche, auch Brecht. Aber selbst die eher unbekannteren, Trakl, Celan und so weiter, Enzensberger, lockten auch immer ein großes Publikum und diese Übertragungen deutschsprachiger Lyrik haben ein ziemliches Echo gefunden, sie sind musikalisiert worden. Mein Dichterfreund und Mitübersetzer Agus R. Sarjono hat in einer Sammlung sich mit großen Namen der Weltliteratur auseinandergesetzt und natürlich sind da die deutschen Namen sehr, sehr gut vertreten. Es gibt Gedichte von Agus R. Sarjono mit dem Titel Goethe, Rilke, Celan und so weiter, enthalten in seiner Sammlung "Gestatten, mein Name ist Trübsinn", die gerade erschienen ist.
    Heiße Diskussionen, ob Indonesien sich optimal präsentiert
    Ellmenreich: Werfen wir noch mal einen Blick nach Indonesien. Was haben Ihrer Meinung nach die Vorbereitungen für den Gastland-Auftritt in Frankfurt bereits jetzt für literarische Spuren in Indonesien hinterlassen?
    Damshäuser: Es gibt in der indonesischen Öffentlichkeit, gerade in der literarischen Öffentlichkeit sehr, sehr auch heiß geführte Diskussionen darüber, ob Indonesien sich optimal präsentiert. Das ist eine interne Diskussion, von der wir wenig mitbekommen. Die literarische Szene mag relativ schmal sein, aber es sind Tausende von Leuten dort aktiv und es finden gerade in den sozialen Medien sehr, sehr heftige Diskussionen darüber statt. Man stellt sich die Frage, warum gewisse Werke hier bekannt werden, warum die Werke von bestimmten Autoren, warum manche andere große Autoren gewissermaßen negiert werden aus Sicht derjenigen, die sich in Indonesien darüber beklagen. Bisher hat das noch keine literarischen Spuren hinterlassen, aber Diskussionen in der indonesischen literarischen Szene, insbesondere auch unter denen, die hier nicht präsent sind.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.