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Indonesien
Religiöse Toleranz auf dem Rückzug

Ein Gedicht auf einer Modenschau führte in Indonesien zu einem Aufruhr. Muslime sahen den Islam beleidigt. Ein symptomatischer Fall: Nicht nur Kulturschaffende, sondern auch Politiker stehen unter Druck islamischer Hardliner. Auf dem Spiel steht die traditionelle religiöse Toleranz des Landes.

Von Lena Bodewein | 05.05.2018
    Menschen auf einer Prozession für die Batara Turum Kabeh Zeremonie im Hindu Tempel von Besakih auf Bali.
    Indonesien ist zu 80 Prozent muslimisch, aber im Land gibt es auch viele andere Religionen, wie beispielsweise eine spezifische Ausprägung des Hinduismus auf Bali (imago / Jean Pierre DeMann)
    Es begann mit einer Modenschau; um die Schönheit und traditionelle Eleganz der indonesischen Mode zu feiern, trug Sukmawati Soekarnoputri bei der Indonesian Fashion Week ein Gedicht vor: "Ibu Indonesia", Mutter Indonesien. Das Werk hat die Tochter des Staatsgründers Sukarno schon 2009 verfasst, aber erst jetzt sorgten seine Zeilen für Aufruhr.
    "Ihr geschlungener Haarknoten ist schön,
    schöner als dein bedeckender Gesichtsschleier.
    Ich kenne die Scharia nicht, aber ich weiß, dass der Klang von Mutter Indonesiens Hymne wunderschön ist, viel schöner und bezaubernder als euer Ruf zum Gebet."
    Hassprediger finden Gehör
    Und damit brach ein Sturm der Empörung über die Dichterin herein, in den sozialen Medien und auch in der realen Welt: Es gab Demonstrationen, muslimische Organisationen erstatteten Anzeige gegen sie, Indonesien hat den nächsten großen Blasphemie-Fall - vor einem Jahr war der damalige christliche Gouverneur von Jakarta, Ahok genannt, zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt und dann abgewählt worden. Ist das ein Grund zur Besorgnis, dass die einst gerühmte religiöse Toleranz Indonesiens ein Ende hat?
    "Ich würde sagen, ja, der Trend besteht. "
    Die junge Indonesierin Jessica hat in der Entwicklungshilfe gearbeitet, ihre politische Analyse ergibt kein gutes Bild von der indonesischen Gesellschaft.
    "Allein in den sozialen Medien gibt es so viele Gerüchte, Lügen und Hassnachrichten; es gab immer schon religiöse Toleranz sowie Intoleranz, aber durch die sozialen Medien ist es für die Hassprediger so leicht geworden, Gehör zu finden, über Twitter oder Whatsapp ihre Lügen zu verbreiten."
    Sie wollte auf keinen Fall den Islam beleidigen, sagt Sukmawati Soekarnoputri, sondern das indonesische Selbstbewusstsein stärken: landestypische Traditionen loben und verteidigen gegen importierte Bräuche der arabischen Welt, wie eben den Gesichtsschleier. So erklärt sich die Gedichtzeile:
    "Wenn du neue Dinge siehst, bewahre deine eigene natürliche Schönheit"
    Einheit in Verschiedenheit - eigentlich
    Sie sei schließlich Kulturexpertin und wolle mit ihren Gedichten auch die Perspektive der Indonesier einnehmen, die nichts mit den islamischen Gesetzen zu tun hätten, wie die Bewohner Balis, Ostindonesiens und anderer Regionen. Bisher stellte das kein Problem dar, erklärt Professor Ikrar Nusa Bhakti
    "Bei uns zählt nicht die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit, sondern die Gründer Indonesiens, allen voran Sukarno, haben festgelegt, dass die Nationalität zählt, das Indonesische."
    Sukarno, dessen Tochter Sukmawati Soekarnoputri ist. Er hat die Pancasila, die fünf Prinzipien mit ihrer fixierten Toleranz mit festgelegt. Diese "Einheit in Verschiedenheit" hatte im riesigen Staat Indonesien bisher einen Religionsfrieden garantiert. Das Land mit der größten islamischen Bevölkerung der Welt beherbergt auch viele andere Religionen, am bekanntesten das Beispiel des hinduistischen Bali. Die Insel Sumba etwa ist christlich-animistisch gemischt, dort hat die indonesische Regisseurin Mouly Sourya ihren Film Marlina gedreht, der kürzlich in deutschen Kinos zu sehen war.
    "Indonesien ist zwar zu 80 Prozent muslimisch, aber zu zwanzig Prozent eben nicht. Es kommt darauf an, wo du bist - das ist Indonesien, diese Verschiedenheit, wir haben - was, hunderte von Sprachen, unsere Verschiedenheit ist so wichtig und wie wir miteinander leben, und die Toleranz - aber sie nimmt überall auf der Welt ab."
    Der Hass und die orchestrierte Wut der islamischen Hardliner scheinen zwar vor allem religiös orientiert, haben aber politische Effekte.
    Aufstieg der islamischen Hardliner
    Die lautstarken Proteste gegen den christlichen Gouverneur Jakartas Ahok vor mehr als einem Jahr waren auch Ausdruck einer Stellvertreterschlacht, wie die Analystin Jessica erläutert. Es geht um die anstehende Präsidentenwahl im kommenden Jahr. Amtsinhaber Joko Widodo, genannt Jokowi, gehört zu den Toleranten.
    "Wir sehen den Aufstieg der Hardliner; die Gouverneurswahl nach den Tumulten war ein Schlag für die Gemäßigten, der erste Verlust für Jokowi. Denn er hat Ahok unterstützt. Und Prabo, der Herausforderer, hat dessen Gegner unterstützt. Das hat seiner Partei einen Schub gegeben, womöglich wollen sie auch die Präsidentenwahl mit Hardlinern gewinnen."
    Die Dichterin Sukmawati Soekarnoputri hat sich inzwischen entschuldigt, tränenreich und öffentlich.
    "Ich verstehe, dass das Gedicht für Konflikte und Beleidigung gesorgt hat, besonders unter Muslimen, dafür entschuldige ich mich vo Herzen. "
    Am Ende rief sie noch "Merdeka!" Merdeka, der Schlachtruf der indonesier nach Freiheit und Unabhängigkeit - unabhängig von den niederländischen Kolonialherren damals, heute muss die Tochter des Republikgründers damit öffentlich ihr Indonesisch-Sein demonstrieren. Oder ihre persönliche Unabhängigkeit - von der Meinungskontrolle der islamischen Hardliner.
    Merdeka!