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Industrie 4.0
"Deutschland ist noch am Beginn"

Maschinen, die eigenständig arbeiten und sich den jeweiligen Produktionsbedingungen anpassen: Industrie 4.0, die Fabrik der Zukunft ist Hauptthema auf der Hannover Messe. Ob man jetzt bereits von einer technischen Revolution sprechen könne, sei schwer einzuschätzen, sagte Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung im DLF.

Martin Gornig im Gespräch mit Birgid Becker | 13.04.2015
    Orangefarbener Produktionsroboterarm, im Hintergrund ein Regal mit Kunstobjekten aus Holz.
    Industrie 4.0: Dieser Produktionsroboter mit dem Namen "Robochop" produziert auf Anweisung von Internetnutzern. (dpa/picture alliance/Ole Spata)
    Birgid Becker: Zum Start der Sendung aber gehen wir an den Ort, an dem die Äußerungen auch eingefangen wurden: in die Hallen der Hannover Messe, die gerne als Leistungsschau der Industrie bezeichnet wird. Das Partnerland diesmal ist Indien. Das Motto diesmal die Industrie 4.0.
    Gleichermaßen für alle soll ja dieser Leitgedanke Industrie 4.0 gelten. Tut er das? Damit begrüße ich Professor Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Guten Tag.
    Martin Gornig: Schönen guten Tag.
    Becker: 4.0, die vernetzte Fabrik der Zukunft, das soll nach Dampfmaschine, nach Fließband und nach Elektronik nichts weniger sein als die vierte industrielle Revolution. Ein bisschen übertrieben?
    Gornig: Das ist immer schwer. Anders als bei politischen Revolutionen, wo Sie ja mitbekommen, dass was passiert, weil Schüsse fallen und ähnliche Dinge, ist das immer sehr schwer. Wenn man zur Zeit der Dampfmaschine gelebt hat, zur Zeit des Fließbandes oder auch der Einführung der Elektronik, war ja gar nicht so richtig klar, dass eine Revolution um einen herum stattfindet, so dass auch jetzt diese Einschätzung relativ schwierig ist zu sagen, ja, das ist eine Revolution. Das wird man sicherlich im Nachhinein eher bewerten können als wie jetzt in der jetzigen Situation.
    Becker: Besonders schnell geht das Ganze auf jeden Fall ja nicht. Dieses Schlagwort 4.0 gibt es ja schon mindestens eine halbe Dekade. Hat sich denn, wenn man diese halbe Dekade anguckt, Durchschlagendes geändert?
    Gornig: Nein, weil das ja auch normal ist, dass man zunächst einmal überlegt, was könnten das für Potenziale sein, wenn man investiert. Man muss ja investieren, man muss ja neue Lösungen finden und überlegen, was könnte eigentlich an Potenzial sein. Und die Überlegung, dass eine Vernetzung der einzelnen Fabriken, der einzelnen Maschinen miteinander, untereinander, zwischen verschiedenen Produzenten, möglicherweise auch mit Kunden auf enormen Potenzialen beruht, das ist sicherlich die Analyse. Die Umsetzung und Erschließung der Potenziale, da sind wir erst am Beginn.
    "Wertschöpfungskette ist großes Potenzial von Industrie 4.0"
    Becker: Welche Branchen sind es denn, bei denen Sie glauben, dass sie besonders 4.0 geeignet sind? Ist das nicht doch etwas vor allem für die Großen, für die Konzerne und weniger etwas für kleine und mittlere Unternehmen?
    Gornig: Sicherlich ist häufig bei solchen größeren technologischen Entwicklungen, dass häufig auch die großen Unternehmen natürlich mit ihren großen Forschungsetats auch die Führerschaft übernehmen, die technologische Führerschaft. Aber Sie hatten ja auch in Ihrem Beitrag darauf hingewiesen, dass gerade der deutsche Produktionsstandort aus der Zusammenarbeit zwischen großen Unternehmen und kleinen und mittelständischen Unternehmen besteht. Und gerade diese Integration zwischen in die Wertschöpfungskette eingebundener kleiner und mittlerer Unternehmen mit den großen ist eines der besonderen Potenziale, worauf 4.0 zielt.
    Becker: Nun gab der Branchenverband VDMA heute an, dass er trotz vernetzter Produktion, also trotz 4.0 damit rechnet, in den kommenden drei Jahren rund 10.000 Arbeitsplätze im Maschinenbau entstehen zu lassen. Die Gewerkschaft Verdi warnt hingegen vor Verdrängung, vor Jobverlusten. Kann man sagen, was stimmt?
    Gornig: Auch wenn das jetzt provokativ klingt: Erst mal beides, weil natürlich einerseits enorme Rationalisierungspotenziale darin liegen, die auch dann in bestimmten Produktionsschritten zu einem Wegfall von Arbeitsplätzen führen werden.
    Auf der anderen Seite ergeben sich neue Absatzpotenziale, neue Chancen, auch mit dem demographischen Wandel bei uns klar zu kommen und den Produktionsstandort Deutschland zu sichern. Und wenn Sie überlegen: Der Branchenverband, den Sie jetzt angesprochen haben, der ist ja der Ausrüster. Das ist ja derjenige, der eigentlich die anderen Teilnehmer am Produktionsprozess mit den neuen Maschinen, mit den intelligenten, vernetzbaren Maschinen ausrüstet. Dass dieser mit Beschäftigungszuwächsen rechnet, ist eigentlich nur selbstverständlich.
    "In Deutschland müssen die schnellen Netze ausgebaut werden"
    Becker: Dabei ist es ja schon etwas seltsam, wenn wir von vernetzten Produktionsanlagen sprechen, von CPS, also von Cyber-Physischen Systemen, wenn es in weiten Teilen Deutschlands nicht einmal schnelles Internet gibt. Die Frage also: Welche Rahmenbedingungen bräuchte es, um diese Digitalisierung der Industrie überhaupt realisieren zu können?
    Gornig: Ja, da gibt es sicherlich technische Voraussetzungen. Sie hatten das angesprochen: Das sind Netze, entsprechend schnelle Netze. Und die sind sicherlich in Deutschland noch nicht ausreichend ausgebaut, sodass das sicherlich eine Grundvoraussetzung wäre, keinen Standortnachteil für bestimmte Regionen zu schaffen, weil die dort ansässigen Unternehmen an diesem Spiel nicht teilhaben dürfen. Auf der anderen Seite sind das natürlich auch Kenntnisse, wie gehe ich damit um, wie wende ich diese Technik an, wie kann ich diese Potenziale erschließen. Da spielt natürlich dann auch Forschung und Entwicklungspolitik eine große Rolle, gerade auch für kleine und mittelständische Unternehmen, die die eigenen Kapazitäten so vielleicht nicht vorhalten können.
    Becker: Danke! - Professor Martin Gornig war das vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Danke fürs Gespräch.
    Gornig: Ja, bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.