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Industriearchitektur
Miniatur-Revier im Odenwald

Im kommenden Jahr schließt die letzte Zeche im Ruhrgebiet. Das ist dann das endgültige Aus für den Bergbau im Kohlerevier. Doch in gewisser Form bleibt die Ruhrgebietsromantik erhalten: auf einem 139 Meter langem Modell in Hessen. Es ist zentrale Attraktion der "Modellbauwelt Odenwald".

Von Ludger Fittkau | 28.11.2017
    Feierabend! Arbeiter fahren mit dem Fahrrad an dem Hüttenwerk Oberhausen vorbei.
    Schichtwechsel: Arbeiter fahren mit dem Fahrrad an dem Hüttenwerk Oberhausen vorbei (dpa)
    Ein Schnellzug braust vorbei. Das ist ein wenig überraschend im beschaulichen 10.000 Einwohner-Städtchen Fürth mitten im Odenwald. Denn es gibt es zwar eine Eisenbahnlinie, aber normalerweise fährt hier nur ein Nahverkehrszug. Noch überraschender ist, dass der Schnellzug im Odenwald plötzlich an der Kulisse des Duisburger Hafens vorbeirast. Das Ruhrgebiet mitten im Odenwald? Ja, es ist wahr. Möglich gemacht hat das Michael Schuhmacher. Der Eisenbahn-Modellbau-Enthusiast hat ein mehr als 400 Quadratmeter großes Miniaturruhrgebiet im Odenwald aufgebaut. Es zeigt das Revier in den 1960er-Jahren, noch bevor das letzte große Zechensterben begann. Die Ruhrgebietsreise, zu der Michael Schumacher einlädt, beginnt in der Industriekulisse bei Duisburg-Ruhrort:
    "Die Hafenanlage von Duisburg. Viele, die den Hafen kennen, werden auch die Kulisse wiedererkennen, die ganzen Gebäude. Die sind wirklich authentisch aus dem Duisburger Hafen. Und hier ist eben das Typische, dass das Erz eben angeliefert wird aus verschiedenen Regionen Europas per Schiff. Und dann verladen wird auf die Bahn. Anschließend wird das Erz auf speziellen Wagen rübergefahren zum Stahlwerk. Das ist damals noch die HOAG gewesen, die es heute in dieser Form nicht mehr gibt."
    Das Ruhrgebiet vor dem Strukturwandel
    HOAG – das war die Abkürzung von Hüttenwerk Oberhausen AG. Das Stahlwerk stand dort, wo heute die Neue Mitte Oberhausen mit dem Einkaufszentrum Centro und dem Gasometer steht, der für Kunstaktionen genutzt wird. Doch im Odenwald ist das Ruhrgebiet noch so zu sehen, wie es vor dem Strukturwandel aussah, nur ein bisschen kleiner.
    Doch das immerhin 130 Meter lange Modell des Reviers war ursprünglich mal in Oberhausen aufgebaut, bevor es in die 2013 eröffnete Modellbahnwelt-Stahlhalle im Odenwald kam. Sandra Flössel ist dem außergewöhnlichen Ruhrgebietsmodell in den Südwesten gefolgt:
    "Ich komme aus dem Ruhrgebiet. Ich bin damals mit der Anlage mitgekommen. Die Anlage wurde von Herrn Schumacher aufgekauft und weil er Leute brauchte, die die Anlage kennen und auch bedienen können, sind meine Familie und ich, wir sind alle dann mitgekommen.
    Reporter: "Wo kommen Sie ursprünglich her?"
    Sandra Flössel: Aus Duisburg. Ich fühle mich hier in Fürth ganz wohl und habe auch nicht mehr die Absicht, ins Ruhrgebiet zurückzugehen. Vielleicht mal für ein paar Tage auf Urlaub."
    Im Stil der Klassischen Moderne
    Aussteigen würde Sandra Flössel dann vielleicht am Bahnhof Oberhausen, der zu Beginn der 1930er-Jahre im Stil der Klassischen Moderne errichtet und im Zuge der Internationalen Bauausstellung Emscherpark in den 1990er-Jahren wundervoll restauriert wurde. Im Odenwald gibt es eine schöne Nachbildung des Bahnhofs zu bestaunen. Michael Schumacher, der Modellbaufreak, wie er von sich selber sagt:
    "Das ist auch hier im Modell eine tolle Geschichte. Denn wir haben hier aufgrund der Größe der Gebäude, das sind mehr oder weniger alles Unikatsarbeiten, da gehört natürlich auch dieser Bahnhof dazu, oder hier die Herz-Jesu-Kirche, Gasometer, Villa Hügel und verschiedene andere Gebäude, wo ein solches Gebäude dann auch schon mal zwei Quadratmeter für sich in Anspruch nimmt, halt bei vielen Modellbahnen aus Platzgründen auch gar keine Verwendung finden könnte."

    Die Besucher der Modellbahnwelt im Odenwald können von Duisburg über Oberhausen und das UNESCO-Weltkulturwerbe Zeche Zollverein in Essen einen Revierspaziergang bis nach Dortmund machen, wo der Ausflug am Kanalhafen im Norden der Stadt endet. Besucherin Jeanette Matlubi aus Darmstadt begeistert sich besonders für die filigrane Zeche Zollern- die ja schon Ende des 19. Jahrhunderts so geplant war, dass sie den Betrachter beeindrucken sollte:
    "Ja, allein schon, finde ich, vom Baumaterial her. Das ist ja alles Backstein. Und wenn man dann bedenkt, wie viel Arbeit es war, diese Hallen zu errichten. Da steckt sehr viel Liebe zum Detail drin auch von der Stahlkonstruktion her, die aus der Zeit stammt. Und auch von der Anmutung. Das findet man ja selten nur noch."
    Nicht nur die Schokoladenseiten
    Das Original ist auch heute noch im Ruhrgebiet zu besichtigen – die Zeche Zollern ist inzwischen ein Industriemuseum. Doch auch das Miniatur-Revier im Odenwald vermittelt einen großartigen Überblick über die einzigartige Industrielandschaft. Lobenswert auch, dass das Modell nicht nur die Schokoladenseiten der Industriearchitektur der Nachkriegsjahrzehnte zeigt. Michael Schumacher:
    "Damals in den 60er-Jahren noch diese typischen Baulücken, kriegsbedingt, die dann teilweise als Schrebergarten genutzt worden sind. Die Verdichtung ist ja teilweise erst in den 70er-Jahren erfolgt, wie auch immer. Das man aber dieses Gebilde, wie wir es hier aufgebaut haben, heute nicht mehr so antrifft."