Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Industriechemikalien
Gift für die Gesundheit

Die Industriechemikalien PFAS bieten attraktive Vorteile: die Abwehr von Wasser, Öl und Schmutz. Es hat ein paar Jahrzehnte gedauert, bis auch ihre Nachteile ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit gerückt sind. Derzeit befasst sich eine Tagung am Bundesinstitut für Risikobewertung mit der Frage, wie gefährlich PFAS für die Gesundheit sind.

Von Daniela Siebert | 07.03.2014
    Industriechemikalien wie Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) sind in unserem Alltag allgegenwärtig. Mit PFAS sind verschiedene Substanzen zusammengefasst, die seit den 50er-Jahren weltweit einen Siegeszug durch die industrielle Produktion gemacht haben. Denn die PFAS verleihen Artikeln wasserabweisende, fettabweisende und schmutzabweisende Eigenschaften. Entsprechend finden sie sich in Lebensmittelverpackungen, Teppichen, Kleidungsstücken, Lederprodukten, Feuerlöschschaum. Allerdings zeigen sich seit einigen Jahren auch bedenkliche Effekte.
    Sogar Tiere sind belastet
    Es hat ein paar Jahrzehnte gedauert, bis auch ihre Nachteile ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit gerückt sind. Zum einen fanden sich rund um den Globus Ansammlungen in menschlichen Blutproben und in der Muttermilch. Auch Pflanzen, Böden, Gewässer und Tiere bis hin zum Eisbär in der Arktis sind belastet. Zum andern gab es in den USA konkrete Hinweise auf Gesundheitsgefahren durch Perfluoroctansulfonsäure, kurz PFOS, einer Variante der PFAS. Dazu Annegret Biegel-Engler vom Umweltbundesamt: "Da gab es einen großen Hersteller 3M, die haben PFOS, also eine von diesen Substanzen hergestellt und man hat sehr viel von dieser Substanz im Blut gefunden, also im Blut der Mitarbeiter, und auch sehr hohe Krebsraten festgestellt, so dass dort die Firma freiwillig die Produktion sehr schnell eingestellt hat."
    PFOS und ähnliche fluorierte langkettige Substanzen sind sehr langlebig, reichern sich im Körper und in der Umwelt an und bauen sich nur langsam wieder ab. Immerhin: der Einsatz von PFOS wurde 2009 durch die Stockholm Konvention bis auf wenige Ausnahmen weltweit verboten.
    PFAS sind allgegenwärtig
    Doch noch immer ist die Stoffgruppe der PFAS allgegenwärtig. Wir nehmen sie über Rückstände in Nahrungsmitteln und Trinkwasser zu uns, wir atmen sie ein in belasteten Innenräumen, besonders stark in Outdoorgeschäften. Das Problem ist vielgestaltiger geworden. Denn die Industrie arbeitet immer mehr mit neuen kurzkettigen Molekülen aus dieser Stoffgruppe, die reichern sich nicht mehr so stark an wie etwa das langkettige PFOS, dafür bringen sie andere Nachteile mit: sie sind mobiler und gelangen so leichter ins Trinkwasser.
    "Auf lange Sicht könnte es sein, dass wir ein Problem bekommen mit dem Trinkwasser, dass wir halt tagtäglich diese Stoffe mit dem Trinkwasser aufnehmen. Man nutzt für viele Stoffe, die man aus dem Wasser herausbekommen möchte, Aktivkohle, das ist meistens halt der letzte Schritt, das ist sehr teuer, das wirkt bei den kurzkettigen Stoffen sehr gering bis gar nicht", so Biegler-Engler.
    Mensch baut Stoffe langsamer ab als Tiere
    Die meisten Erkenntnisse über die Wirkung von PFAS hat die Wissenschaft aus Tierversuchen an Ratten, Mäusen und Affen. Doch deren Übertragbarkeit auf Menschen ist fragwürdig, auch weil der Mensch diese Stoffe viel langsamer abbaut. Aus den Tierversuchen gibt es Indizien auf Krebsrisiken, Leberschäden, hormonelle Wirkungen und Beeinträchtigung des Immunsystems. Zu den wichtigsten Erkenntnissen über Wirkungen auf den Menschen trug eine US-amerikanische Studie bei. In einem Landstrich in Ohio sind Menschen, Umwelt und Trinkwasser rund um eine Fabrik über Jahre mit Perfluoroctansäure kontaminiert worden. Der Epidemiologe Tony Fletcher hat die Studie mit ausgewertet und stieß auf diese Gesundheitsrisiken: "Wir fanden sechs Krankheiten, die wahrscheinlich auf diese Exposition zurückzuführen waren: Hodenkrebs, Nierenkrebs, hohe Cholesterolspiegel, die chronische Darmerkrankung Colitis Ulcerosa, Schilddrüsenerkrankungen und Bluthochdruck während der Schwangerschaft."
    Eine allgemeingültige Schlussfolgerung will Fletcher daraus nicht ableiten, denn die Menschen hier seien 40-fach höheren Belastungen ausgesetzt gewesen als normalerweise. Viele Wissenschaftler halten die Datenlage zu den Gesundheitsgefahren durch PFAS noch für unzureichend. Doch die Politik beginnt langsam, die Substanzen auszubremsen. So hat die europäische Lebensmittelbehörde EFSA inzwischen Grenzwerte in Form von Tagesdosen für PFOS und Perfluoroctansäure festgesetzt. Und über die EU-Chemikalienverordnung REACH wurden diese beiden Substanzen auf die sogenannte Kandidatenliste gesetzt. Dadurch haben Verbraucher einen Anspruch, vom Hersteller auch Auskunft über die Verwendung der PFAS zu bekommen, wenn sie mehr als 0,1 Prozent des Produktes ausmachen.
    Radikalerer Ansatz gefordert
    Greenpeace und das Umweltbundesamt verfolgen aber aus Gründen der Gesundheitsprophylaxe einen radikaleren Ansatz. Dazu Manfred Santen von Greenpeace: "Wir fordern eindeutig, dass die gesamte Gruppe der fluorierten Kohlenwasserstoffe aus der Produktion von Gebrauchsgegenständen herausgenommen wird. Die Wissenschaft hat schon viele Hinweise gesammelt und wir können jetzt nicht noch zehn Jahre warten, bis die letzte Studie fertig geschrieben ist."
    Europa könnte beim Komplettverbot eine Vorreiterrolle übernehmen hofft Annegret Biegel-Engler vom Umweltbundesamt. Doch das ist Zukunftsmusik. Derzeit kann sie Konsumenten nur raten, typische Einsatzgebiete von PFAS zu meiden. Also beispielsweise keinen schmutzabweisenden Teppich kaufen oder "Coffee to go" im beschichteten Pappbecher: "Dann ist halt die Outdoor-Kleidung immer noch eine Quelle dieser Stoffe. Man muss sich als Verbraucher einfach mal bewusst machen: brauch ich das? Kann ich darauf verzichten? Und wenn ich das brauche, dann muss ich mir auch bewusst sein, dass ich dann auch wieder einen Eintrag habe in die Umwelt oder halt auch, dass ich das selber aufnehmen kann."