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Informationen über Schwangerschaftsabbrüche
Paragraf 219a spaltet die Große Koalition

Seit Monaten streiten die Regierungsfraktionen über den Paragrafen 219a. Er regelt das sogenannte Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche, das Ärzten die öffentliche Information über den Eingriff verbietet. Nun erhöht die SPD den Druck: Zahlreiche Abgeordnete wollen die Abschaffung durchsetzen.

Von Mathias von Lieben | 10.12.2018
    Mit einem Transparent fordern Demonstranten in Gießen die Abschaffung des Paragrafen 219a.
    Mit einem Transparent fordern Demonstranten die Abschaffung des Paragrafen 219a. (dpa / Boris Roessler)
    Es ist die Woche der Entscheidung in der großen Koalition beim Streit über den umstrittenen Paragrafen 219a. In der SPD steigt der Druck auf die Vorsitzende Andrea Nahles, endlich zu einer Lösung zu kommen. Es sei ausgeschlossen, dass der Paragraf 219a bleibt, wie er ist, sagt zum Beispiel SPD-Vize Ralf Stegner heute dem Tagesspiegel: Es müsse eine Änderung und ernsthafte Bemühungen der Parteien um eine Einigung geben.
    Gewissensentscheidung im Bundestag?
    Der Bundestagsabgeordnete Florian Post hatte bereits in der Bild am Sonntag gewarnt: Wenn es bis Dienstag keine Einigung gebe, werde er mit einigen Kollegen in der Fraktionssitzung - ebenfalls am Dienstag - eine Gewissensentscheidung beantragen. Thorsten Schäfer-Gümbel, stellvertretender Vorsitzender der SPD, hatte sich gegenüber dem ZDF hingegen etwas optimistischer hinsichtlich einer Einigung geäußert. Er sei bei diesem Thema…
    "Erwartungsvoll, dass das auch gelingen kann, wenn alle Seiten dazu bereit sind, sich in dieser Frage der eigentlichen Aufgabe nämlich genau diesem Thema zu stellen und sich nicht ideologisch aufzustellen und das ist auch eine erste Bewährungsprobe für Frau Kramp-Karrenbauer."
    SPD-Chefin Andrea Nahles hatte ihrer Partei ein Ergebnis in dieser Frage vor Weihnachten angekündigt – ein Zugeständnis an die parteiinternen Kritiker des Paragrafen, zu denen auch die Jusos gehören. Sie sei optimistisch, dass es in dieser Woche zu einer Lösung komme, sagte sie am Sonntag am Rande der Delegiertenkonferenz für die Europawahl.
    Gemeinsame Suche nach einem Kompromissvorschlag
    Und tatsächlich: Im Koalitionsausschuss am Mittwoch soll nun über den umstrittenen Paragrafen beraten werden. Nach Informationen der Zeitungen der Funke-Mediengruppe haben Justizministerin Katarina Barley und Familienministerin Franziska Giffey für die SPD gemeinsam mit Kanzleramtschef Helge Braun, Gesundheitsminister Jens Spahn und Horst Seehofer für die Union bereits einen Kompromissvorschlag ausgehandelt. Aus Rücksicht auf den CDU-Parteitag wurde dieser bislang jedoch nicht öffentlich gemacht. Eine mögliche Lösung könnte sein, das Gesetz nicht anzufassen, aber Ärzten in der Beratungspraxis betroffener Frauen mehr Spielraum zu geben.
    Die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hatte beim Parteitag in Hamburg klargestellt, dass sie keine Abschaffung des Werbeverbots will. Am Sonntagabend bekräftigte sie in der ARD ihre Position:
    "Das Werbeverbot soll und darf nicht abgeschafft werden."
    Noch gestern Abend habe sie das erste Mal mit Andrea Nahles telefoniert. Dabei habe man sich auch über den Paragrafen 219 a gut ausgetauscht, das Ende der Diskussion sei aber noch nicht erreicht: Sie betonte jedoch Kompromissbereitschaft:
    "Es geht darum, dass Frauen, die in dieser Notlagensituation sind und sich für einen Abbruch sicherlich auch in einem inneren Konflikt entschieden haben, das Recht darauf haben, auch den entsprechenden Zugang – und zwar auch leichten Zugang, zu Informationen zu haben. Das ist vollkommen unzweifelhaft."
    Druck aus der Opposition
    Aus der Opposition wird der Druck auf die Große Koalition unterdessen immer größer. Die SPD müsse jetzt konsequent sein und die Abstimmung freigeben, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, ebenfalls den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, sagte dem Sender RTL, der bestehende Paragraf 219a habe nichts mehr mit der Lebensrealität zu tun. Auch sie sprach sich dafür aus, die Abstimmung im Bundestag freizugeben.
    Andrea Nahles hatte im März mit Rücksicht auf die Union einen Antrag zur Änderung des Paragrafen 219a zurückgezogen. Seitdem wird in der Bundesregierung über einen Kompromiss verhandelt. Auslöser der Debatte war ein Gerichtsurteil: Das Amtsgericht Gießen hatte die Ärztin Kristina Hänel wegen des Paragrafen 219a zu einer Geldstrafe verurteilt.