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Infrastrukturprobleme
Sylts Bahnanbindung ist ein Albtraum

Seit fast zwei Jahren hakt es gewaltig auf der Bahnstrecke von Hamburg nach Sylt. Immer wieder sind Züge verspätet oder fallen ganz aus. Für Tausende Pendler und auch viele Urlauber wird die Fahrt auf die Insel zur Geduldsprobe. Die Ursachen für die Probleme aber liegen tiefer.

Von Johannes Kulms | 09.06.2018
    Reisende und Schülergruppen warten in Elmshorn, Schlewig-Holstein, auf einen Zug nach Sylt. Auf der Strecke von Hamburg nach Westerland auf Sylt kommt es immer wieder zu Zugausfällen.
    Reisende und Schülergruppen warten auf einen Zug nach Sylt (imago / Chris Emil Janßen)
    Eigentlich ist Rosangela Sieck medizinische Fußpflegerin. Doch von ihrer Praxis auf dem nordfriesischen Festland kann sie nicht leben. Seit einem knappen Jahr hat die 48-Jährige einen neuen Hauptberuf: Sie ist Taxifahrerin auf Sylt.
    "Ich arbeite gerne auf Sylt, ist was Besonderes, man hat viel zu tun mit Millionären, es gibt auch Menschen, die arm sind."
    Rosangela Sieck sitzt an diesem späten Nachmittag am Bahnhof von Westerland und gönnt sich eine Zigarettenpause.
    Nicht nur für Touristen ist der Bahnhof das Einfallstor, sondern auch für viele der rund 4.500 Pendler, die jeden Tag vom Festland zur Arbeit anreisen. Die Zugverbindung über den Hindenburgdamm macht es möglich.
    Chaos auf der Marschbahn beginnt im Herbst 2016
    Doch seit bald zwei Jahren hakt es gewaltig auf der Marschbahn - jener rund 240 Kilometer langen Trasse zwischen Hamburg und Sylt. Viele Züge fallen aus oder sind verspätet. Für eine Pendlerin wie Rosangela Alves Sieck ein Albtraum.
    "Also, das ist schon so, ich guck nicht mehr ins Internet, wann fährt der nächste Zug, ich fahr' einfach los von zu Hause und guck, was ich treff'. Kann sein, dass ich diesen Zug verpassen werde, aber ich krieg den gerade, weil er verspätet ist."
    Das Chaos auf der Marschbahn beginnt im Herbst 2016. Wegen Kupplungsdefekten zieht der damalige Betreiber Nord-Ostsee-Bahn kurzfristig alle 90 Wagen aus dem Verkehr.
    Im Dezember 2016 übernimmt die Deutsche Bahn die Strecke und damit auch die Waggons. Doch weil deren Reparatur viele Monate dauert, greift die DB auf alte Ersatzwaggons zurück. Für die Sylt-Pendler bedeutet das: eng zusammenquetschen! Wenn sie denn überhaupt an Bord kommen. Und auf die Insel. DB-Sprecher Egbert Meyer-Lovis spricht von einer "sehr extremen Gemengelage" auf der Marschbahn.
    "Wir sind mit der Leistung, die wir derzeit gegenüber unseren Kunden aufbringen, überhaupt nicht zufrieden und vor allem, für unsere Kunden überhaupt nicht befriedigend."
    Motoren der Loks müssten ausgetauscht werden
    Die zwischendurch aus dem Betrieb gezogenen 90 Waggons fahren inzwischen wieder. Doch seit Monaten sind es die neuen Bombardier-Dieselloks, die Stress machen. Sämtliche Motoren der Loks müssten ausgetauscht werden, so Bahnsprecher Meyer-Lovis.
    Schleswig-Holsteins Landesregierung versucht, den Druck zu erhöhen und hat in den letzten Monaten mehrfach Strafzahlungen gegen die DB verhängt. Alleine für den Mai werden 500.000 Euro fällig. Die Pünktlichkeitsquote lag im vergangenen Monat bei 63,9 Prozent, so das Kieler Verkehrsministerium. Die Zahl der Zugausfälle habe sich im Vergleich zu den Vormonaten verdreifacht. Ein Prozent aller festgelegten Zugkilometer dürfen pro Monat laut Vertrag wegfallen.
    Doch im Mai waren es 6,5 Prozent. Die Deutsche Bahn führt diesen starken Anstieg auf Schäden an der Strecke zurück, die Ende Mai entdeckt wurden und die Züge zum Langsamfahren zwangen. Doch diese Schäden seien nun beseitigt.
    Zwei Häuser in den Dünen auf der nordfriesischen Insel Sylt,
    Wohnen auf Sylt können sich mittlerweile nur noch die Reichen leisten. (imago /Hohlfeld)
    Läden öffnen unpünktlich
    Auf der Insel sind viele müde angesichts solcher Aussagen. Zum Beispiel Benjamin Mazurkeevicz. Der 22-Jährige arbeitet in der Fußgängerzone von Westerland im Laden einer Bekleidungskette. Jeden Tag pendelt er von Niebüll nach Sylt.
    "Das Ding ist: Mich konnte man jetzt zum Beispiel gar nicht früher einplanen, dass ich den Laden aufmache, weil der Zug hat ständig Verspätung. Also, die wussten schon immer, dass ich halt später zur Arbeit komme. Also, man konnte jetzt mit mir nie pünktlich rechnen. Passiert häufig immer noch, da muss ich halt'n Zug früher nehmen, was jetzt auch nicht gut für mich ist."
    "Es schränkt halt sehr stark ein", wirft Filialleiterin Luljeta Smajlaj ein. Viele Geschäfte auf der Insel hätten in der Vergangenheit immer wieder unpünktlich eröffnet, weil das Personal zu spät kam, sagt die 28-Jährige.
    Insel an der Belastungsgrenze
    Vor zwei Jahren zog die gebürtige Berlinerin nach Norddeutschland. Sie ist froh, dass sie inzwischen auf der Insel in einer WG wohnt. Luljeta Smajlaj weiß, dass es ein Privileg ist, denn schon lange gehen auf Sylt die Immobilienpreise durch die Decke.
    "Also, da leiden meistens die sozial Schwächeren definitiv (mehr, Anm. d. A.) als die Bonzen, die hier leben. Weil die wissen, sie brauchen es. Und die haben vielleicht gar keine andere Möglichkeit in Niebüll oder auf dem Festland da einen festen Job mit dem Gehalt zu bekommen, also sind sie darauf angewiesen. Und dann finde ich es wirklich 'ne Frechheit, dass man dagegen nichts tun kann. Man will - aber man tut nichts dagegen. Und das finde ich'n bisschen schräg."
    Alle auf der Insel sind an der Belastungsgrenze, die Nerven liegen blank, heißt es vom Verein der Sylter Unternehmer, der nach eigenen Angaben mehr als 500 Kaufleute vertritt. Wie hoch der wirtschaftliche Schaden auf der Insel durch das Bahnchaos ist, ließe sich nur schwer sagen. Auch der Sylter Bürgermeister Nikolas Häckel kann dazu keine Angaben machen. Doch Häckel warnt davor, dass die Bahnprobleme den für die Nordsee-Insel so wichtigen Tourismus kaputtmachten.
    Lösung dauert noch Jahre
    Achim Bonnichsen leitet auf Sylt einen Fliesenbetrieb. Seit 30 Jahren pendelt er mit dem Zug auf die Insel. Bonnichsen ist Sprecher der Pendler-Initiative, die inzwischen rund 4.800 Mitglieder hat. Gerade erst ist er wieder zu Hause in Klinxbüll angekommen – sein Zug hatte 25 Minuten Verspätung. Doch die Bahn sei nun mal das einzige Verkehrsmittel auf dem Weg zur Arbeit, sagt Bonnichsen:
    "Dadurch sind wir halt so 'n bisschen ausgeliefert. Ich nenne es einfach auch manchmal 'Moderne Geiselnahme' und da hängen sehr viele Arbeitsplätze dran, muss man ganz ehrlich sagen. Und wenn diese Leute dann zum Teil 14 Stunden unterwegs sind und dann zum Teil nur sieben oder acht bezahlt bekommen, dann ist es momentan ziemlich hart das Pendlerleben auf dieser Strecke."
    Bonnichsen sieht die Trasse als Beispiel für den jahrzehntelangen Verfall der deutschen Infrastruktur. Diese Nachricht dringt offenbar langsam auch nach Berlin vor. Er kenne keinen Abschnitt bundesweit, "wo wir so ein Desaster auf der Schiene haben", sagte vor wenigen Tagen Enak Ferlemann der dpa. Ferlemann ist Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium. Und will sich jetzt für die beschleunigte Errichtung eines zweiten Gleises auf der Marschbahn einsetzen. Doch bis das steht, dürften noch viele Jahre vergehen.