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Inger-Maria Mahlke: Wie ihr wollt
Von weiblicher Macht und Ohnmacht

Die große Dramatik ist nicht ihr Stil, dafür aber das subtile Spiel mit dem Kleinen. Inger-Maria Mahlke gewann mit ihren Romanen "Silberfischchen" und "Rechnung offen" zuletzt wichtige Preise. Jetzt legt sie mit ihrem neuen Werk "Wie ihr wollt" nach.

Von Claudia Kramatschek | 19.10.2015
    Königskrone und Zepter liegen auf einem roten Kissen.
    Inger-Maria Mahlkes neuer Roman spielt im Großbritannien des 16. Jahrhundert. (picture alliance / dpa - Javier Lizón)
    "Es war einmal ein Mädchen namens Mary Grey. Das heiratete ohne ihre königliche Cousine um Erlaubnis zu fragen, den alten Keyes. Bald wurde in jeder Ecke darüber getuschelt, und die Eheleute wurden verhaftet, und Mary Grey kam in den Hausarrest nach Chequers und Keyes ins Fleet Gefängnis. Und dort rotten sie noch heute."
    Das klingt wie ein böses Märchen. Doch Mary Grey gab es tatsächlich: 1545 kommt sie in London als jüngste Tochter des Duke von Suffolk zur Welt und ist damit niemand Geringeres als eine mögliche Anwärterin auf die Thronfolge von Mary Tudor. Doch Mary Grey erweist sich als kleinwüchsig; die Tudor-Linie intrigiert - und am Ende wird Queen Elizabeth nicht nur die neue Königin, sondern Mary Grey wegen einer heimlichen Heirat inhaftiert. Sie verschwindet hinter den dicken Mauern eines 12-Fuß großen Raumes - und damit auch aus den Annalen der Geschichte. Erst 2010 entdeckt eine englische Forscherin unbekannte Manuskripte, in denen Mary Greys Schicksal Erwähnung findet: Es ist das Schicksal einer Frau, die der Macht zum Greifen nahe war - und von eben dieser Macht in die Unsichtbarkeit verdrängt worden ist. Der Zufall will es, dass Inger-Maria Mahlke im Internet auf ihre Geschichte stößt - und Feuer fängt für diese Frau:
    "Es gibt nur wenige Briefe von ihr überliefert und ihr Testament. Und dennoch hatte ich das Gefühl, dass man zwischen diesen Tudor-Floskeln dieser einfachen Liste, die das Testament ist, .eine Person zu spüren bekam. Man bekam so ein Gefühl, wer das gewesen sein musste. Eine sehr ergiebige Quelle war Thomas Gresham - das ist der Gründer der Londoner Börse, bei dem sie im Hausarrest saß und mit dessen Frau sie sich einen unglaublichen Zweikampf geliefert haben muss. Denn Thomas Gresham hat wirklich täglich an den Hof geschrieben mit der Bitte, man möge Lady Mary Grey entfernen. Und auch wenn es nur so eine kleine Seitennote in der Geschichte war, kam da unglaublich viel raus aus dieser zänkischen Verbindung zwischen dieser Kaufmannsfrau und der Adeligen, die in Schande ist sozusagen."
    Zeitreise ins Jahr 1571
    Im vorliegenden Roman darf diese vermeintlich gefallene Frau nun ihre Geschichte selbst erzählen: Inger-Maria Mahlke verleiht ihr nämlich eine eigene Stimme, indem sie Mary Grey zur Ich-Erzählerin macht und uns zurückschickt in das Jahr 1571. Noch immer befindet Lady Mary sich in Gefangenschaft. Ihr Kontakt zur Außenwelt ist aufs Äußerste beschränkt: Da ist ihr Blick durch das Fenster auf die Livreen eintreffender Diener, die etwas verraten über den Rang der Gäste, deren Schritte sie in den Gängen hört. Und da sind all jene Gerüche, die an der Kleidung ihrer Zofe Ellen haften, wenn diese zurückkehrt von ihren Erledigungen in der Stadt. Auch mit Ellen - einer fiktiven Figur inmitten des ansonsten historisch verbürgten Personals - liefert Mary Grey sich in diesem Roman einen erbitterten Kampf: Mary schreibt nämlich heimlich an einem Journal, in dem sie festhält, was ihr widerfährt und widerfahren ist: Die Einsamkeit seit ihrer Geburt, weil selbst ihre Schwestern sich vor ihrer Gestalt fürchten; die Hänseleien und Erniedrigungen noch durch die Dienerschaft; die Ränkespiele der Macht, denen am Ende auch ihr Vater und ihre beiden Schwestern zum Opfer fallen. Im Roman ist diese Macht eindeutig weiblicher Natur - verkörpert durch Königin Elisabeth. Und doch - so Inger Maria Mahlke - handelt der Roman von weiblicher Ohnmacht zugleich:
    "Das Interessante ist eigentlich das Changieren zwischen Macht und Ohnmacht, das man sowohl im Verhältnis Mary Grey/Elisabeth hat, aber auch im Verhältnis Mary Grey und ihre Zofe Ellen, wo man einerseits strukturelle Macht hat zwischen Mary Grey und ihrer Zofe aufgrund von Mary Greys Herkunft usw. und so fort - aber gleichzeitig in der Innenperspektive beider Frauen ja eine eigentlich viel abhängiger von der anderen ist und die Machtvolle eigentlich abhängig von der Machtlosen. Und für mich ist das der Unterschied zwischen Herrschaft auf der einen Seite, struktureller Macht, und Macht. Und das kann etwas sehr Persönliches sein."
    "Hab den Schuhkrieg gewonnen. Elf zu null für mich. Ellen war kampfeslustig, die letzten Tage hat sie nicht einmal versucht, mir welche anzuziehen. Die Cremefarbenen - hätte ich auch genommen, leicht zu knöpfen, der Schaft oben schön weit. Anschleichen wollte sie sich, ist in die Hocke gegangen, auf alle viere, und unter den Tisch gekrochen, in jeder Hand ein Schuh. ... Hab still gehalten, gewartet, bis ihre Finger dicht an meinem Knöchel waren, ehe ich ihn hochzog, auf den Stuhl. Sie hat meine Wade gepackt, versucht, den Fuß wieder unter den Tisch zu zerren, ich hab nach ihr getreten. Ellen wollte ausweichen, ist mit dem Kopf gegen die Tischplatte gestoßen."
    Frau mit rebellischem Eigensinn
    Wieder und wieder setzt Mary Grey an, um ihre Geschichte in eine konsistente Form zu bringen - die mehr enthalten würde als das beschränkte Bild, das sich nicht nur die Zeitgenossen von ihr gemacht haben. Was wir lesen, ist Zeugnis ihres beharrlichen Versuchs - der am Ende allerdings nichts anderes abwirft als lose Brocken und Bröckchen. Dennoch nimmt man Mary Grey in diesem Roman nicht so sehr als Opfer wahr - sondern als eine Person mit Ecken und Kanten und vor allem: mit rebellischem Eigensinn.
    "Genau darum geht es eigentlich: dass sie nicht das Opfer sein möchte. Und zur Ohnmacht gehört ja auch das Ausgeliefertsein, die Fäden nicht in der Hand zu haben. Und eigentlich ist das ganze Buch ein Versuch von Mary Grey, die Fäden in die Hand zu kriegen: aus Ohmacht Macht zu machen oder zumindest die Kontrolle zurückzukriegen über ihre Situation. Und wenn nicht über ihre Situation, dann zumindest über ihre Identität. Also eine Identität zu haben, die der Erwartung der anderen entzogen ist, die nicht nur diesen Erwartungen entspricht", so Mahlke.
    "Ich wollte, dass etwas von mir übrig bleibt. Nicht irgendetwas. Die Witwe Keyes, ich wollte, dass von mir die Witwe Keyes übrig bleibt. Die Kleine, die ihren Geliebten, den Riesen, geheiratet hat. Eine hübsche Geschichte eigentlich. Klingt wie irgendwas, das Ammen zum Einschlafen erzählen, Liebe überwindet sogar zweieinhalb Fuß. Mit tragischem Ende: Die Tochter der Harpyie sperrt die beiden ein, weit voneinander entfernt, der Riese stirbt an gebrochenem Herzen."
    Mit kriminalistischem Gespür und psychologischem Feingefühl entfaltet die Autorin dabei eine Welt, in der alles, aber auch wirklich alles Politik ist: die Frisur, die man trägt; die Farbe der Haare: Tudor-rot - nicht Stuart-Braun; die Religion, der man angehört; der Mann, den man heiratet. Und vor allem: der Körper, den man trägt und in den man - wie im Falle Mary Grey - gegebenenfalls eingesperrt ist. Inger-Maria Mahlke:
    "Das hat mich interessiert: .die Rolle des Körpers in dem Ganzen und die Rolle ihres Körpers in dem Ganzen und auch die Einschreibungen in den Körper von außen. Es gibt diese Zwei-Körper-Theorie zur Herrschaft. Das ist eine mittelalterliche Herrschaftstheorie: dass es den realen, also physischen Körper gibt des Herrschers und dann noch sozusagen einen geistigen Körper als Herrscher. Und das ist sozusagen die Verkörperung von Herrschaft. Und die beiden laufen zusammen bis zum Tod des Herrschers. Und im Falle Mary Greys: Mir fiel ganz früh dieser Satz auf: "Sehr wenig Körper". "Zu wenig Körper". Es ist zu wenig Körper für Herrschaft."
    Kein historischer Roman
    Wäre das heute anders, fragt man sich als Leserin? Auch Inger-Maria Mahlke hat sich die Frage gestellt - und beantwortet sie mit einem klaren Nein.
    "Das ist ein Aspekt, der bei uns in der Gesellschaft noch immer zu 100 % am Tragen ist. Wir glauben, wir sind in der Postmoderne, aber die zentrale Funktion des Körpers und auch die damit einhergehenden Zusprechungen auf diesen Körper oder Zumaßungen auf diesen Körper, das ist immer noch intakt."
    "Wie Ihr wollt" ist also mitnichten ein historischer Roman, sondern darf und muss gelesen werden als ein kritischer Blick auf die Gegenwart im Spiegel der Historie.
    "Wir sind ja offiziell komplett gleichberechtigt. Wir haben ja alle Möglichkeiten sozusagen. Es steht im Grundgesetz drin, es ist rechtlich auf ich weiß nicht wie vielen Ebenen verankert: Wir sind gleichberechtigt. Das ist sozusagen die strukturelle Frage. Das ist die Frage von Herrschaft. Auf der Macht-Seite erlebe ich was ganz anderes. Wir sind nicht gleichberechtigt. Es gibt immer noch eine andere Erwartungsrolle an unser Verhalten, weil wir Frauen sind."
    Den Preis, den Frauen dafür entrichten, nach der Macht zu streben, zeigt die Autorin dabei mit schonungsloser Radikalität: Ihnen bleibt entweder die Vermännlichung, oder das Zur-Ware-werden oder der Weg in die Rolle der Säulenheiligen. Alle drei Rollen aber sind entworfen vom anderen Geschlecht. Eben diese noch immer herrschenden Machtverhältnisse seziert Inger-Maria Mahlke mit ihrem formal so kühnen wie analytisch glasklaren Roman "Wie Ihr wollt" auf so wunderbare wie unterhaltsame Weise.
    Inger-Maria Mahlke: Wie Ihr wollt. Roman. Berlin Verlag 2015.
    270 Seiten. 19,99 €