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Inhaftiert und zerstritten

Vor einem Jahr löste ein Auftritt der Frauenpunkband Pussy Riot in der Moskauer Erlöserkirche eine weltweit beachtete Affäre aus: Drei der Bandmitglieder wurden wegen Gotteslästerung verurteilt, zwei sitzen noch immer im Straflager. Sie wurden zu Ikonen des Widerstandes gegen Putin, doch das Image und der Zusammenhalt der Aktivisten bröckeln.

Von Mareike Aden | 21.02.2013
    Jekaterina Samuzewitsch ist erleichtert: Das Video zum Punkgebet ist auch an diesem Tag noch im Internet zu sehen. Und das, obwohl ein russisches Gericht es vor Kurzem als extremistisch eingestuft und eine landesweite Sperre angeordnet. Aber dank internationaler Internet-Plattformen wie YouTube lässt sich das aber selbst in Russland nicht durchsetzen..

    Dieses Video ist Jekaterina Samuzewitsch wichtig: Sie sagt, es sei das Kernstück der Aktion, für die sie und ihre Freundinnen Marija Aljochina und Nadeschda Tolokonnikowa zu zwei Jahren Haft verurteilt worden waren - wegen Gotteslästerung und Hooliganismus. Ihre beiden Freundinnen befinden sich in Lagerhaft, nur die Strafe von Jekaterina Samuzewitsch wurde zur Bewährung ausgesetzt.

    "Selbst wenn nur eine von uns im Gefängnis geblieben wäre - so oder so war das kein fairer Prozess. Wir haben beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerde eingelegt - denn der ganze Prozess war eine einzige große Ungerechtigkeit. Im Moment dreht sich alles in meinem Leben um Gerichte, Urteile und die Erinnerungen an die Zeit in Untersuchungshaft. Und solange wir nicht alle drei freigesprochen sind, kann ich das nicht hinter mir lassen."

    An diesem Tag im Februar sitzt Jekaterina Samuzewitsch mit ihrer Freundin in einer Moskauer Hochhauswohnung. Das Einzimmerappartement ist karg eingerichtet, unaufgeräumt, staubig - es sei Unterschlupf für Pussy-Riot-Mitglieder, sagt Samuzewitsch. Mehr will sie nicht erzählen - es könnte ja sein, dass der Geheimdienst noch nicht von dieser Wohnung weiß. Aber das ist unwahrscheinlich. Jekaterina Samuzewitsch ist sich klar darüber, dass sie es leicht hat im Vergleich zu Marija Aljochina und Nadeschda Tolokonnikowa.

    "Ich fahre mit der Metro, gehe auf die Straße, ich verstecke mich nicht und habe keine Angst. Bisher hat es auch keine Probleme gegeben, keine Angriffe von religiösen Fanatikern oder so etwas. Wenn mich Leute ansprechen, dann eher, um mir zu sagen, dass sie unsere Aktion gut fanden. Aber ich merke, dass mir jemand folgt, das sind wohl Geheimdienstleute. Und sie verstecken sich gar nicht erst, sondern filmen mich mit ihren Handys."

    Warum Jekaterina Samuzewitsch überhaupt auf Bewährung freikam, darüber gibt es viele Spekulationen. Fakt ist: Mitten in der Berufungsanhörung hatte sie die von Pussy Riot beauftragten Anwälte von ihrem Mandat entbunden. Ihre neue Anwältin argumentierte, dass sie bei der Aktion gar nicht mitgemacht habe, weil Sicherheitsleute sie sofort am Kircheneingang abfingen. Das sei der Anfang vom Ende von Pussy Riot gewesen, sagt Mark Feigin, einer der ehemaligen Anwälte der Gruppe. Er ist überzeugt davon, dass Jekaterina Samuzewitsch eine Abmachung mit der Staatsanwaltschaft getroffen hat - angeblich Teil einer von oben gelenkten Aktion:

    "Sie hat sich unter dem Druck ihrer Zellen-Nachbarin auf diesen Deal eingelassen. Die Frau, Irina Orlowa heißt sie, hatte den Auftrag Jekaterina zu überreden, ihre Verteidigungsstrategie zu ändern - und im Grunde damit ihre Freundinnen zu verraten. Im Gegenzug wurde eine Mordanklage gegen Irina Orlowa fallen gelassen. Jekaterina hatte Angst vor der Lagerhaft, das verstehe ich. Aber dann ist sie zu weit gegangen. Um sich selbst reinzuwaschen, begann sie uns Anwälte zu beschuldigen. "

    Sie hätten auf Kosten der Frauen zu Geld und Ruhm kommen wollen, das wirft Jekaterina Samuzewitsch den Anwälten nun vor. Sie hätten sie überredet, Blanko-Verträge zu unterschreiben. Ohne ihr Wissen seien sie benutzt wurden, um Filmrechte zu verkaufen und Pussy Riot als Marke zu registrieren.

    Alles sei mit den Frauen abgestimmt gewesen, widerspricht Mark Feigin. Als Beweis dafür, dass seine Theorie über die Zellennachbarin stimmt, zeigt er Briefe, in denen sich die beiden anderen Pussy-Riot-Mitglieder um deren Einfluss auf Jekaterina Samuzewitsch Sorgen machen.

    Mark Feigin sagt, er habe gehofft mit Pussy Riot das russische Rechtssystem zu entlarven und damit allen zu helfen, die aus politischen Gründen inhaftiert sind:

    "Aber das ist uns ist nicht gelungen. Der Kreml hat Pussy Riot von innen zersetzt. Ich glaube, dass wir ohne den Konflikt mit Jekaterina Samuzewitsch länger hätten kämpfen können und - besser organisiert gewesen wären."

    Die öffentliche Schlammschlacht ist seit Monaten im Gang und die russische Führung kann triumphierend zuschauen. Sie hat gewonnen: Denn aus Sorge um den eigenen Ruf wollen selbst die meisten Putin-Gegner mit Pussy Riot nichts mehr zu tun haben.