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Initiative "Choosing wisely"
Zuviel des Guten

"Choosing wisely" ("Klug entscheiden") heißt ein Thema beim 121. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin in Mannheim, der heute zu Ende geht. Dahinter verbirgt sich eine Initiative aus den Vereinigten Staaten, die medizinische Über- und Unterversorgung bekämpfen will.

Von Mirko Smiljanic | 21.04.2015
    Der Landarzt Wolfgang Dinslage behandelt am 31.01.2012 in seiner Praxis in Merzenich bei Düren einen Patienten.
    Oft hat der Arzt nicht viel Zeit für seine Patienten. (dpa / Oliver Berg)
    Der Patient war hartnäckig. Weil sein Schnupfen nicht heilte, verlangte er von seinem Hausarzt ein Medikament, das bei ihm angeblich immer hilft: Antibiotika. Weil der Mediziner unter Zeitdruck stand - im Wartezimmer drängelten sich die Kranken - erfüllte er schließlich seinen Wunsch. Natürlich mit negativem Ergebnis: Der Schnupfen blieb, Antibiotika helfen nicht bei Virusinfekten. Ein vergleichsweise harmloses Beispiel, wo es klüger gewesen wäre, dem Patienten das Medikament nicht zu verschreiben. Weitreichender sind Fälle aus der Krebstherapie. Wenn etwa "eine erfolglose Behandlung von ausgedehnten Tumorerkrankungen bei Patienten, die bereits eine deutlich reduzierte Leistungsfähigkeit haben, das sind viele Patienten mit Tumorkrankheiten, dann danach eine weitere vierte oder fünfte Chemotherapie zu machen, ist zum Beispiel eine Sache, die man hinterfragen muss."
    Sich klug zu entscheiden klingt einfacher als es ist
    Professor Michael Hallek, Onkologe am Universitätsklinikum Köln und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Die Liste überflüssiger medizinischer Maßnahmen ist lang, weshalb US-amerikanische Ärzte 2012 die Initiative "Choosing wisely" - "Klug entscheiden" gegründet haben. Regelmäßig veröffentlichen sie ärztliche Leistungen, die wirkungslos oder schädlich sind. "Klug entscheiden" bedeutet aber nicht nur, die Überversorgung abzubauen, sie richtet sich auch gegen eine Unterversorgung, wie man sie immer wieder in der Geriatrie beobachten kann.
    "Alt sein ist nicht so hype in unserer Gesellschaft, in einer jugendverliebten Gesellschaft ist auch eine Frage, werden solche Menschen nicht ausgegrenzt aus Diagnostik und Therapie. Und wir wissen natürlich, dass es sowohl Überversorgung als auch Unterversorgung nicht nur gibt, sondern bisweilen sogar beim gleichen Patienten."
    Professor Cornel Sieber, Chefarzt für Allgemeine Innere Medizin und Geriatrie am Krankenhaus Barmherzige Brüder in Regensburg. Sich klug zu entscheiden oder gar weise - so ließe sich "Choosing wisely" auch übersetzen - klingt einfacher, als es in der Praxis ist. Ziel dürfe nicht sein, dass erfahrene Ärzte medizinisch unerfahrenen - und bei schweren Leiden verunsicherten - Patienten sagen, was klug und weise ist. Schon aus juristischen Gründen müsse der Patient letztlich die Entscheidung treffen.
    "Es geht ja, um einen zweiten englischen Begriff zu nennen, es geht ja nicht nur um das "Choosing wisely", sondern auch, was wir heute als Konzept sehen, das "Shared decision making", also des Zusammenentscheidens zwischen dem Betroffenen selbst, Patient oder Patientin, in meinem Bereich natürlich unter Einbezug des familiären Umfelds."
    Der Faktor Zeit ist wichtig
    Solche Entscheidungsprozesse sind sinnvoll. Sie in einem Gesundheitssystem durchzusetzen, das Operationen, Röntgen- und MRT-Untersuchungen sowie das Verschreiben teurer Medikamenten dramatisch besser honoriert als langwierige Gespräche mit ungewissem Ausgang, erfordert einen sehr langen Atem. Michael Hallek vom Universitätsklinikum Köln setzt deshalb auf kleine Schritte.
    "Im Grunde geht es bei dieser Initiative darum, dass wir bewusst machen wollen, dass eines der wichtigsten Dinge in unserem ärztlichen Beruf die Zeit ist, die wir dem Patienten widmen können. Wir müssen wieder herausstellen, dass die Zeit, die wir ins Gespräch mit unseren Patienten investieren, wichtige Zeit ist, die wir verteidigen müssen, weil, dann können wir den Patienten viel zielgenauer und besser behandeln."
    Am 7. Mai 2015 treffen sich in Berlin die Vertreter der elf internistischen Schwerpunktgesellschaften. Im Gepäck haben sie eine Liste mit jeweils fünf überflüssigen medizinischen Leistungen und fünf Leistungen, die auf jeden Fall dem Patienten angeboten werden müssen. Ende des Jahres wird dann die erst Liste -"kluger Entscheidungen-" den Ärzten an die Hand gegeben.